Ich glaube, dass Gewalt und totale Kontrolle in der Hundeerziehung nichts zu suchen haben. Das war nicht immer so. Seit zwei Jahren lebe ich mit einem Hund und mehr als die Hälfte der Zeit wurde ich mit gut gemeinten Ratschlägen bombardiert. Ich müsse härter zu ihm sein, immer zeigen, dass ich das Alphatier bin. Auf der Couch sitzen lassen gehe gar nicht und immer schön vor dem Hund aus der Tür gehen. Seine Dominanz brechen. Sonst hast du verloren, der tanzt dir auf der Nase rum, sagten sie. Viele davon brave Hundeflüsterergucker. Aber auch diejenigen, die ins andere Extrem gerutscht waren, also die VerfechterInnen des komplett stressfreien Hundelebens zerrten an mir, ohne es zu wissen. Ich dürfe auf gar keinen Fall Ball- oder Stockwerfen spielen. Zu viel Stress für den Hund. Und wenn ein riesiger Mensch einen kleinen Hund frontal am Kopf streichelt sei das sowieso wie die reinste Provokation, also am besten komplett weglassen. Gewalt oder totale Stressvermeidung, entweder oder.
Durch meine „Die anderen wissen es sicher besser als ich“-Einstellung häuften sich die Probleme mit Maxi mit der Zeit so sehr, dass ich mit den Nerven am Ende war. Er haute immer wieder ab, zog sich stark zurück und bellte aus unerfindlichen Gründen exzessiv. Durch eigene Gewalterfahrungen war ich gegen all die Unterwerfungspraktiken, konnte auf der anderen Seite aber auch kein „Nein“ aussprechen, wenn mich was störte. Hin und hergerissen kam ich an einem Punkt, an dem ich vergessen hatte, dass da ein komplett fertiges und fühlendes Gegenüber am anderen Ende der Leine war, der nur darauf wartete, dass ich endlich mal IHM zuhöre und nicht den selbst ernannten ExpertInnen.
Die Situation war total unnatürlich und schlecht für uns beide. Bis ich dann plötzlich die Bücher von Turid Rugaas und Martin Balluch in die Finger bekam, die mir die Augen öffneten. Wie Wörterbücher waren sie der Schlüssel zum liebevollen und offenen Zugang, den ich heute zu Maxi habe: Hunde sind Freunde.
Maxi konnte trotz unserer Startschwierigkeiten und meinem teilweise absurden und wechselhaften Verhalten seinen Charakter bewahren, ich habe ihn nicht mit Gewalt gebrochen. Aber was ist Gewalt? Es beginnt schon am Equipment, sagen viele. Auch wenn ich lieber ein Geschirr benutze denke ich, es ist egal, ob ein Hund ein Halsband oder ein Brustgeschirr anhat. Solange sich die Person am anderen Ende der Leine bewusst ist, dass auch Hunde blaue Flecken haben können. Das Fell verdeckt sie, aber sie sind da. Viele Hunde, denen ich täglich auf der Straße begegne, werden mittels heftigem Leinenruck am Halsband zum Weitergehen gezwungen. Wenn ich mir diese Vierbeiner nackt vorstelle, haben sie grüne, rote und blaue Flecken an einer Stelle, die permanent gereizt wird. Wenn ich einen blauen Fleck habe und jemand berührt mich da tut das irrsinnig weh. Und die Hunde haben das täglich. Natürlich überlegen sie sich dann zwei Mal, ob sie sich dem Befehl weiterzugehen widersetzen. Aber will ich, dass mein Hund mit mir diese schmerzvollen Erfahrungen verbindet? Will ich, dass er durch verschiedene, in Fernsehserien zelebrierte Methoden wie Tritte oder Würgen, die gegen Menschen angewandt als reine Folter gelten würden, zu einer Sitz-Platz-Fuß-Komm-Maschine wird? Ich glaube meine Antwort darauf ist bereits erahnbar.
Seit ich ihn als das sehe, was er ist, einen tierisch guten Freund und ich mich nicht als „Frauli“ aufspiele, sondern als das, was ich für ihn sein will, eine Seelenfreundin, sind unsere Tage so wie sie unter Freunden sind: Voll Freude, Kompromissen, Streitereien, zeitweiser Ignoranz und das alles mit dem allergrößten Vertrauen, dass wir uns so gern haben wie wir sind. Plötzlich schienen die meisten Probleme sich in Luft aufgelöst zu haben. Unsere täglichen Streifzüge durch Wälder und Wiesen wurden etwas ganz Besonderes, auch wenn ich zu Beginn damit kämpfte, ihm ohne Leine einfach zu vertrauen.
Und dann kam der Tag, wo er bei einem Gruppenspaziergang nach den üblichen paar Minuten im Walddickicht nicht mehr auftauchte. Ich starb vor Angst und schwor meiner Freundin: So, jetzt such ich mir eine gescheite Hundeschule wo er immer auf Pfiff zu mir kommt und alles Drum und Dran. Das war’s, dachte ich. Nie wieder ohne Leine. Falls er überhaupt noch lebendig zurückkommt! Panisch rufend durchstreifte der spontan zusammengetrommelte Suchtrupp den Wald und ich wusste weder ein noch aus. Eineinhalb Stunden vergingen, es wurde gleich dunkel und dann wäre die Suche noch schwerer bei einem schwarzen Hund. Panik, Vorwürfe, Selbstbemitleidung.
Dann der erlösende Anruf: Maxi war in dem benachbarten Tennisplatz. Passanten hatten mir vorher erzählt, dass er panisch umherlaufend alle mir ähnlich sehenden Frauen beschnüffelt hatte, dann aber erfolglos in die Bar rein marschierte und sich dort gut sichtbar hinpflanzte. Ein paar Gäste wunderten sich über diesen einsamen Hund, sahen seine Hundemarke und kontaktierten mich. Ich schwankte zwischen Wut und Freude, aber auch ein bisschen Stolz. Insgeheim dachte ich: Irgendwie auch gscheit.
Wenn er auf Rückruf und Gehorsam konditioniert gewesen wäre, wäre er vielleicht nie so weit weg gelaufen. Aus Angst vor Konsequenzen oder weil er auf die Leckerlis konditioniert war. Aber Hunde können immer irgendwie entlaufen, egal wie gut sie erzogen sind. Bei Maxi kann ich mir auf jeden Fall sicher sein, dass er sein Gehirn benutzt. Er sieht sich als eigenständiges Lebewesen, weil er es gewohnt ist eigene Lösungen für Probleme zu finden und nicht darauf zu warten, dass ich ihm sage, was er zu tun hat. Deshalb bin ich froh, dass ich mich endgültig entschieden habe, auf seine Zeichen und meine innere Stimme zu achten. Gewalt und totale Kontrolle haben nichts in der Hundeerziehung zu suchen und werden für immer in meine nie-wieder-öffnen-Schublade weggesperrt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann liegen sie dort noch heute.