Die Eingangshalle des Krankenhauses sah nicht sehr einladend aus. Der typische sterile, mit allerlei Körperausdünstungen gemischte Krankenhausduft umfing die beiden. Es war weit nach Mitternacht. Maria bereute dass sie mitgefahren war auf die Party von Ex-Studienkollegen ihres besten schwulen Freundes Josef. Nun war sie in einer Stadt, die sie nicht kannte und die vor allem viel zu weit weg war von IHREM Krankenhaus in dem sie sich angemeldet hatte. Gut dass Josef, der auch ihr Mitbewohner und Leih-Papa in spe war, mitkam. Es war seit langem so abgemacht dass er sie begleiten würde und sich auch als Kindsvater ausgeben würde. Eine junge Gebärende ohne dazugehörigen Vater, da konnte Maria sich schon vorstellen, was für Blicke kommen würden und spitze Bemerkungen.

Der Mann an der Infotheke ist nicht besonders freundlich und schickt die beiden auf die Geburtsstation im dritten Stock, wo sie eine Schwester in Empfang nimmt. Sie ist zwar nett, aber Maria fühlt sich nicht wohl. Wie auch wenn alle zehn Minuten ein stechender Schmerz durch Ihren Unterbauch fährt. "Aha, sie haben keine Anmeldung in unserem Krankenhaus, aha, nein das ist zu weit zum heimfahren, da haben sie recht. Na dann kommen sie mal mit." Die Schwester führt die beiden in einen kleinen Raum, mit einem Gynäkologenstuhl und allerlei Gerätschaften. Maria ist der Anblick vertraut, Josef nicht. Sie setzen sich und warten auf den Arzt, der nach ungfähr 20 Minuten eintrifft. Er ist jung, spindeldürr und sieht müde aus. Er untersucht Maria, sagt, dass es sicher noch bis morgen dauern wird und dass extrem viel los ist, heute Nacht. Er legt Maria einen Venenzugang am Unterarm und sagt ihr dass sie gleich mal Vitamine und vorbeugend ein Antibiotikum als Infusion bekommt, weil nicht alle Testergebnisse die eigentlich vorliegen sollten im Mutterpass vermerkt sind. Maria protestiert schwach, aber eine neue Wehe hindert sie daran, durchzusetzen was sie sich eigentlich vorgenommen hat. Eine Geburt so natürlich wie möglich.

Die Station ist voll, Maria bekommt ein Bett zugewiesen, aber da in den beiden Nebenbetten bereits Mütter mit ihren neugeborenen liegen, darf Josef nicht bleiben. Maria und er gehen in die Eingangshalle. Müdigkeit und Schmerzen prägen die Gedanken von Maria. Sie denkt ein paarmal an den Vater des Kindes. Er weiß von nichts und wird auch nie etwas erfahren, das hat sie sich geschworen. Sie sitzen mutterseelenallein in der großen Halle des Krankenhauses. Kalt ist es und das bläuliche Licht verleiht der Situation etwas unwirkliches, geträumtes.

Nach zwei Stunden, es ist schon halb vier Morgens werden die Wehen von Maria stärker. Sie geht in das Zimmer und Josef bleibt in der Eingangshalle sitzen. Die Babies schreien beide ziemlich oft. Hoffentlich wird ihres besser schlafen. Maria geht in das kleine Klo, eine weitere Wehe erfasst sie. Es tut so weh. Elend sitzt sie da und fühlt sich von allen guten Mächten verlassen.

Im Bett liegend versucht sie die Wehen zu veratmen wie sie es gelernt hat. Sie bräuchte jemand, der ihr sagt ob es richtig ist. Sie traut sich die frisch entbundenen Mütter neben ihr nicht zu fragen, die sind auch zu beschäftigt. Es kehrt noch einmal Ruhe ein. Das CTG Gerät an ihrem Bauch hindert sie am schlafen. Bei jeder Wehe die sie davonträgt möchte sie schreien vor Schmerz, doch aus Rücksicht auf die schlafenden verkneift sie es. Ihr Handy ist jetzt ihr Weggefährte. Josef schreibt ob alles ok ist. Ihre beste Freundin hat sie auch informiert, die Eltern nicht. Die haben die Nachricht, dass ihre Tochter das Kind allein großziehen will noch nicht verkraftet und halten sich bedeckt. Irgendwann ist sie wohl doch weggedämmert und als die Schwester um sieben Uhr zum Blutdruckmessen und CTG prüfen kommt, schrickt Maria auf. Nun ist auch endlich eine Hebamme da. Maria wird nochmal untersucht und es wird ihr nahegelegt, die Geburt ein wenig mit wehenfördernden Mitteln zu unterstützen. Maria wehrt sich und geht in die Halle zu Josef. Alle 5 Minuten Wehen, aber es ist noch kein Kreissaal und auch kein eigenes Wehenzimmer frei. Sie ist irgendwie traurig, weil sie sich die Geburt anders vorgestellt hat und weil sie sich ärgert, dass sie schon während der Geburt mit dem Erlebnis nicht zufrieden ist. Sie fühlt sich mit ihrem Baby hier nicht willkommen und im hintersten Winkel ihrer Seele fragt sie sich ob sie das richtige getan hat. Aber diesen Gedanken drängt sie ganz schnell wieder weg. Sie mustert Josef. Sein sonst so gepflegtes Äußeres lässt zu wünschen übrig und nun muss sie doch schmunzeln. Gut dass er zu ihr hält.

Beide gehen wieder hoch auf die Entbindungsstation, wo bereits eine Hebamme auf sie wartet. Verärgert meint sie, dass sie nun in Reichweite bleiben müssen. Maria wird noch einmal untersucht und die Hebamme meint, dass sie nun eigentlich in Kreissstation sollten, aber leider noch immer nichts frei ist. Vollmond wahrscheinlich, meint die Hebamme, die einen Akzent hat, den Maria nicht einordnen kann, nun schon einen Tick freundlicher und zwinkert. Maria weigert sich nach wie vor die angebotene PDA (Schmerzunterdrückung mittels Narkotikum irgendwie neben die Wirbelsäule gespritzt) obwohl sie alle paar Minuten schmerzverkrümmt in die Knie geht. Josef versteht gar nicht warum sie sich so quält. Na gut, dann lass ich mir das eben machen, gibt Maria auf. Josef erklärt ihr, dass er dieses künstliche Heldinnentum nicht versteht. Wenn er ein Kind bekommen könnte, würde es es sich per Vollnarkose rausschneiden lassen, basta. Maria lächelt und sie werden zum Anästhesisten gebracht. Er ist ein kauziger, furchtbar aus dem Mund stinkender, aber freundlicher kleiner Glatzkopf. Schnell ist die Sache erledigt und die Spritze schmerzt nur kurz. Ja so ist es wirklich leichter. Als kleine Nebenwirkung der PDA werden die Wehenabstände nicht kürzer, sprich es geht nichts weiter. Die Hebamme erklärt, dass es bei Erstgebärenden, bis zu 30 Stunden dauern kann, bis das Kind da ist. Maria schluckt. Josef sagt ausnahmsweise nichts. Die Hebamme, meint auch, dass ein warmes Vollbad jetzt sicher gut wäre, aber leider es ist noch immer kein Platz. Man merkt ihr an, dass sie merkt dass Josef wahrscheinlich nicht der Vater des Kindes ist. Aber fragen tut sie nicht. Die beiden halten sich vorwiegend auf dem Gang auf, weil das Zimmer voll ist, mit Besuchern der kleinen Babies und ihren Müttern. Jeder will die Neugeborenen sehen. Ob die Mütter das so toll finden, interessiert keinen.

Am späten Nachmittag, Josef und Maria haben einen Snack in der Cafeteria eingenommen, wird endlich der Kreissaal frei. Die Hebamme bringt sie hin und erklärt auf dem Weg, dass es gut wäre, nun eine wehenfördernde Infusion zu geben, dass es nicht nochmal 12 Stunden dauert. Maria, die nun vor allem müde ist, die Wehen nimmt sie nur noch als Druck in ihrem Unterbauch wahr, stimmt zu. Die wehenfördernde Infusion schlägt voll ein, für ein entspanntes Vollbad ist es nun zu spät. Die Druckwellen kommen jede Minute und die Hebamme meint, dass nun bald Presswehen kommen würden. Maria hat wieder das Gefühl, dass es so nicht stimmig ist und denkt wieder an den Kindsvater. Wahrscheinlich sind es die Gedanken, die nun für den Geburtsstillstand verantwortlich sind. Die Hebamme holt einen Arzt, sie fühlt sich alleine mit der Situation nicht mehr wohl. Der Arzt ordnet eine weitere Infusion an, die die Wehen fördern. Josef ist ziemlich bleich um die Nase. So hat er sich das auch nicht vorgestellt. Als der Arzt die Saugglocke bringen lässt, weil die Herztöne des Kindes immer schwächer werden, landet Josef in den Armen der Hebamme. Sein Kreislauf macht das nicht mit. Fluchend lässt ihn die Hebamme von einer Schwester nach Draußen bringen. Maria denkt nun nur noch an das Kind. Bitte machen sie was richtig ist, wenn nötig auch einen Kaiserschnitt. Der Arzt wollte genau darauf hinaus. Ein Vorhang wird vor ihrer Brust aufgehängt, weitere Ärzte gehen aus und ein. Sie lässt geschehen und hört wie ihre Bauchhaut aufgeschnitten wird. Und dann hört sie ihn. Ihr Sohn. Ihr Kind. Das Kind ist da.

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Kristallfrau

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fischundfleisch

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