Sehr geehrter Herr Kurz,
es ist mir ein Anliegen, ihnen mitzuteilen was im Moment in meinem Kopf vorgeht. Ganz ehrlich gesagt, habe ich Sie in den letzten Jahren nicht so wahrgenommen, das liegt wahrscheinlich daran dass ich schon seit 5 Jahren in Deutschland lebe und nicht mehr so genau aufpasse was in Österreich vorgeht. Gerade deswegen ist es mir unverständlich, dass viele Landeskollegen die Meinung vertreten, nicht stolz auf ihr Land zu sein. Ich habe oft Sehnsucht nach dem Ort wo ich herkomme. Immerhin ist das eine Komponente die bleibt in meinem Leben, in einer Welt in der sich alles rasend schnell verändert.
Vielleicht ist Stolz auch ein etwas antiquierter Ausdruck um ein positives Gefühl seinem Land gegenüber in Worte zu fassen. Ich denke das wollten Sie mit ihrer Kampagne aber erreichen. Einfach mal positiv zum eigenen Land eingestellt sein, würde nämlich vieles erleichtern. Warum muss man immer das Negative hervorheben? Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt - so reich, dass es sogar einen Minister gibt der sich um Ingegration kümmert. Ist das nicht an sich eine wundervolle Sache? Wien ist in Sachen Lebensqualität weltweit in den Rankings vorne dabei. Die Chancen eines kleinen Landes exportorientiert zu agieren, werden genutzt, junge Leute sind engagiert und sprechen mehrere Sprachen.
Wenn ich näher hinsehe in meinen persönlichen Mikrokosmos im Ort wo ich herkomme in Oberösterreich, stellen Frauen eine eigene Genossenschaft auf, um gute, ursprüngliche Lebensmittel gemeinsam einzukaufen, unterstützen Migranten im Ort mit einem eigenen Stammtisch, sammeln Spenden und sind so viel mehr bemüht, im Kleinen eine lebenswerte Umgebung aufrechtzuerhalten. Also meine Elterngeneration war da sicher nicht so engagiert. Und ja, ich bin stolz darauf dass das in meinem Heimatland so betrieben wird.
Als ich im September 2012 im Ernst-Happel Stadion dem Qualifikationsspiel Österreich : Deutschland beiwohnen durfte, dies gemeinsam mit meinem deutschen Lebensgefährten und ein paar deutschen Freunden, sind mir die Tränen in Sturzbächen aus den Augen gelaufen als der Reihe nach die Bundeshymne (ich singe sie übrigens mit dem alten Text, weil das doch i-Tüpferlreiterei ist, einen historischen Text zu ändern, Emanzipation sollte woanders stattfinden,...), der Radezkymarsch und I am from Austria gespielt wurden. Mein deutscher Lebensgefährte konnte dies gut verstehen und meinte voller Anerkennung, dass er so etwas schönes, emotionales in Deutschland noch nicht gesehen hat. Bindung erkennt man oft erst aus der Entfernung.
Ich will hier nicht behaupten dass in Österreich alles gut ist - im Gegenteil. Die Innenpolitik läuft wirklich nicht rund, man hat das Gefühl es geht nichts weiter und keiner traut sich auf den Tisch hauen. Verstehen kann ich es schon, dass viele Bürger angefressen sind. Es sind enorm viel Steuergelder missbraucht worden und die Steuern sind ja nicht gerade niedrig. Charismatiker fehlen irgendwie. Ich weiß nicht ob Sie ein Charismatiker sind, vielleicht werden Sie noch einer, wenn Sie sich nicht zu viel dreinreden lassen und vertrauenswürdig bleiben. Ich würde es Österreich wünschen. Es gibt so viel Gutes hier.
Ach ja was ich noch loswerden wollte. Ich bin auch stolz drauf Österreicherin zu sein. Ich bin stolz drauf ein paar Jahre gute, ehrliche Arbeit in einem guten ehrlichen Betrieb geleistet zu haben und somit zum Funktionieren des Staates beigetragen zu haben. Ich bin stolz drauf noch immer bei jedem Heimatbesuch ein paar ausgesuchte Waren, die es nur hier gibt mit nach Hause zu nehmen und somit im kleinen zum Bruttoinlandsprodukt beizutragen. Ich bin stolz drauf dass ich immer wählen ging, auch wenn die Auswahl manchmal mager war. Ich bin stolz drauf, dass meine Kinder gern nach Österreich fahren und dass ich sie im Bewusstsein erziehe, dass sie auch Österreicher sind obwohl sie woanders aufwachsen.
Dass sie den Gabalier da mit reingezogen haben ist irgendwie seltsam, vielleicht wollten Sie ja die breite blaue Masse ansprechen, die sich ja sonst nicht mit Integration abgeben würde? Ist irgendwie in die Hose gegangen, aber eigentlich auch nicht, immerhin haben Sie jede Menge Publicity, ich bin mir sicher Sie werden Sie nutzen.
Eine Anregung hätte ich noch, erweitern sie Ihre Kampagne doch mit dem Zusatz - was tue ich persönlich für Integration? Dann können die Leute Fotos vom Nachbarschaftsfest mit den Kroaten, oder dem türkisch - österreichischen Stammtisch für Muttis oder der persönlichen Einladung einer syrischen Flüchtlingsfamilie nach Hause posten. Vielleicht kapieren die Leute dann, dass das Gute bei jedem zu Hause anfängt und nicht beim schlecht machen von gut gemeinten Kampagnen.
Herr Kurz, ich wünsche Ihnen alles Gute, ich denke ich brauche ihnen ja nicht zu sagen, dass die Privatwirtschaft sich um sie reißen würde, wenn sie irgendwann den Hut drauf schmeissen weil sie laufend Prügel zwischen die Beine geworfen bekommen. Die erfolgreichen Leute wissen nämlich dass vom blöd daherreden und kritisieren nichts herauskommt und dass nur die Entscheidung etwas zu tun und dies dann in die Tat umzusetzen zählt.