Der Tag, an dem ich den Tsunami überlebte – es geschah am 26. Dezember 2004...

Es ist früh, ich mache einen Strandspaziergang. Morgensonne, Sand an den Füßen, streunende Hunde, einige Fischer. Sonst nur Stille, Meer und blauer Himmel. 26. Dezember 2004. Mein fünfter Urlaubstag in Khao Lak /Thailand. Ich frühstücke mit meiner Freundin Nana, die mir erzählt, dass sie von Erdstößen geweckt wurde. Bei meinem Spaziergang habe ich davon nichts gemerkt. Wir gehen an den Strand, gehen schwimmen, legen uns in die sanfte Vormittagssonne. Und plötzlich spüre ich es, die Stimmung ändert sich.

Es passieren eigenartige Dinge. Das Meer zieht sich zurück und es entsteht eine Art Ebbe, wie ich sie zuvor noch nie gesehen hatte. Schnell, sehr schnell, ist das Wasser weg. Wie von einem Riesenstaubsauger eingesaugt. Ich bin fasziniert, beobachte den Horizont, auf dem ein weißer Streifen sichtbar wird. Sehe die Schaumkronen der längsten Welle die ich jemals gesehen hatte – weit weg und sehr flach. Immer mehr Einheimische kommen, laufen ins Wasser und schreien. Plötzlich packt mich meine Freundin bei der Hand und brüllt: „Wir müssen hier weg, jetzt sofort!“ Sie spürt die Gefahr, reißt mich mit und hält meine Hand ganz fest. Und dann höre ich es. Dieses schreckliche Donnern. Ich drehe mich um und sehe sie. Diese riesige Welle, ganz dicht hinter uns. Wir rennen und rennen und schaffen es gerade bis hinter die Mauer des Restaurants, dort drücken wir uns gegen die Wand. Ein paar Sekunden später ist die Welle da, reißt uns mit, katapultiert uns in die Höhe. Wir hanteln uns unter das offene Dach, aber dort treiben Stühle und Tische mit einer Höllenwucht auf uns zu und drohen uns zu erschlagen.

Wir müssen hier wieder raus und es gelingt uns, wir treiben an der Wasseroberfläche, ich sehe und spüre überall nur Wasser. Meterhoch und es kommt immer mehr. Das ist der Augenblick wo ich erstmals denke, dass ich diesem Inferno nicht entkommen kann, dass ich streben würde. Ich beginne mich dem Schicksal und dem Wasser zu ergeben. Wäre da nicht Nanas eiserner Überlebenswille. Sie krallt sich trotz stärkster Strömung an einem Dach fest und zieht uns beide hinauf. Wir robben zum Giebel und sind fürs Erste in Sicherheit. Ich fange zu zittern an, zu schreien. Wo sind all die Menschen, die vor wenigen Minuten noch hier gelebt, gebadet, gearbeitet haben? Niemand da, keiner zu sehen. Ich kann es nur ahnen, dass sie tot sind, begraben unter Trümmern und Schlamm, weggerissen von der Riesenwelle. Es ist ein Albtraum, surreal gnadenlos und ein Szenario, das ich nur aus Filmen kannte. Kurz darauf fängt unser Dach an, sich zu bewegen. Wir treiben in Richtung offenes Meer. Wir können zum Glück auf ein anderes Strohdach springen, wo wir ausharren bis das Wasser aufhört zu steigen. Stunden später, das Wasser ist zurückgeflossen, kommt ein Thai und hilft uns herunter zu steigen. Die ersten Schritte am Boden, ich versinke bis zur Taille im Schlamm. Wir klettern über Mauertrümmer, Stromkabel, Möbel, Autos, entwurzelte Bäume, waten durch die komplett verwüstete Hotelanlage, als lebende Zeugen des Todes. Wir schleppen uns zur nächsten Straße. Wir sind entkommen. Gerettet. Begleitet von der Gnade des Schicksals.

Die Wochen und Monate danach sind geprägt von Dankbarkeit, Erschöpfung und Euphorie über das Geschenk des zweiten Lebens. Es gibt für mich ein Leben vor und ein Leben nach dem Tsunami. Es ist wie ein Riss in einem Film.

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fischundfleisch

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