Bundesmusikkapellen sind fester Bestandteil der Tiroler Alltagskultur. Wer unter „Blasmusik-Allergie“ leidet, wird Überraschungen erleben.
Blasmusik ist Marschmusik, „Umptata“, „Humbahumba Täterä“, Bierzeltblechkatastrophe, Touristenbeschallungsgedüdel, militaristisch-akustische, nationalistisch-deutschtümelnde Umweltverschmutzung. Mit diesen und anderen Vorurteilen – „Schubladen im Kopf“ – kommt so mancher „Zuag’roaßte“ aus Deutschland nach Tirol. Vor allem, wenn er sich – wie ich – in der Pubertät vom Schlagermief der späten 1960er-Jahre und elterlichen Vorlieben u.a. für „Schlager“, Egerländer Marschmusik, Heino, Oberkrainer etc. „befreien“ musste. Kleiner dokumentarischer Kurzdurchlauf gefällig? Erste (Vinyl!-)Single: So blau blüht der Enzian/Heino; zweite Single: El Condor Pasa & Cecilia / Simon & Garfunkel; dritte Single: Hey Tonight/Creedance Clearwater Revival ... und dann ganz rasant weiter zu den Rolling Stones, den Beatles, Deep Purple, The Doors, Led Zeppelin, Grateful Dead bis hin zu Jazz, Free Jazz usw. und das alles in dem Bewusstsein „open minded“ und frei von Vorurteilen zu sein. Aber Blasmusik? Nein danke! Igitt!
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Kein Wunder also, dass in meinen frühen Jahren in Tirol und anlässlich eines Besuches meiner Schwiegereltern deren Wunsch nach einem Besuch eines Platzkonzertes der Bundesmusik-kapelle in Going bei mir auf eher „nicht wirklich“ große Begeisterung stieß. „Nona, geh ich halt mit ...“, so das – eher gelangweilte – Motto.
Es war ein wunderschöner, lauer Frühherbstabend in Going vor der Kulisse des Wilden Kaisers. Erste Überraschung: Die futuristische ausfahrbare „Schallmuschel“ des Musikpavillons am Dorfplatz. Zweite Überraschung: Die Kapelle – lauter junge Leute – spielt ... auch Klassik und Jazz! Brillant, klar, virtuos ... Ok. Dritte Überraschung: Was ist DAS denn jetzt? Klingt wie ... nein, das kann (darf?) nicht sein ... das IST ... „Child in Time“ von Deep Purple ... Wow! In einer wunderbaren, konzertanten, über 20-minütigen Version. Offener Mund und musik-ideologische „Schublade“ schwer beschädigt.
Derart vorgewärmt folgten später dann Platzkonzerte der „Nuaracher“ (St. Ulrich) Bundesmusikkapelle. Da stand dann immer wieder ein (langhaariger!) Trompeter auf der Bühne und legte Soli hin, dass jeder geschulte Klassikkenner mit der Zunge schnalzen würde. Schublade komplett gesprengt! Musikalische Qualität: Insgesamt sensationell! Ähnliches später dann bei der St. Johanner und Kitzbüheler Bundesmusikkapelle.
Tirol ist anders
Heute „wundere“ ich mich nicht mehr, wenn die Sainihonser zusammen mit Soul-Queen Gail Anderson den St. Johanner Hauptplatz zum „kochen“ bringen oder die Kitzbüheler Musikkapelle beim „Jahrmarkt der Stadtmusik“ das „Stadl“ rockt. Und noch weniger, wenn Mitglieder dieser Kapellen andernorts auch in Rock-, Pop-, Jazz- oder HipHop-Bands auf der Bühne stehen. Oder wenn Solisten dieser Kapellen von den Berliner (!) Philharmonikern (!) gecastet werden, Preise bei hochkarätigen Wettbewerben gewinnen, oder wenn ein virtuoser klassischer Zitherspieler mit seinen Stücken in Avantgarde-Kreisen Furore macht.
Ich glaube, dass es bei uns in Tirol (viel) weniger ideologische „Scheuklappen“ gibt, nicht nur im musikalischen Bereich. Wenn es gute Musik ist, ist es gute Musik, egal welchen Genres. Deshalb: Wenn wieder einmal ein Platzkonzert einer Bundesmusikkapelle angesagt ist: gehen sie einfach hin! It’s just good music! Positive Überraschungen inklusive ...
Anders ausgedrückt:
„Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte. Es kommt nicht darauf an was du spielst, sondern wie du spielst.“ (Louis Armstrong).
Text: © Klaus Dörre