Ein interessantes Phänomen zieht sich durch die Europäische Union: die Politik wird immer mehr zur POP-Art. POPulisten, denen in guten wirtschaftlichen und politisch stabilen Zeiten niemand ein Gehör geschenkt hätte (sowohl von der Politik, wie auch den Journalisten und damit den Wählern), werden in Zeiten von Social Media zu POP Stars hochstilisiert. Handlungen wie zB das Händchenhalten zwischen dem EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker und dem neuen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras werden genauso symbolträchtig aufgeladen wie Krawattenübergaben oder die Tatsache, dass der neuen griechische Finanzminister in der Economy Class nach Brüssel fliegt (übrigens keaine Seltenheit unter den europäischen Finanzministern). Und diese Maßnahmen werden auch bewusst deswegen so gesetzt.
Und der Inhalt? Die politischen Forderungen? Diese sind verwässert, die sogenannte radikale Linke tönte in Griechenland populäre Töne gegen die Troika und die EU, um in den ersten direkten Konfrontationen aufgrund der unrealistischen Forderungen einzubrechen. Der griechische Finanzminister Varoufakis, der neue „Star“ der europäischen Linken, fordert einen weiteren Schuldenschnitt. Ohne darauf hin zuweisen, dass bereits der vorangegangene den europäischen Banken und institutionellen Anlegern 105 Milliarden Euro gekostet hat. Und damit auch unmittelbar sowohl die griechische als auch die europäische Bevölkerung betroffen war. In den Kommentaren wird diese sehr populistische Argumentation von Varoufakis unkritisch übernommen - teils durch bewusst gesteuerte Subjektvierung des Inhalts, teils aus Unkenntnis der Materie.
320 Milliarden Euro schuldet Griechenland zu 80% öffentlichen Institutionen wie der EZB, diversen Rettungsschirmen oder sogar einzelnen Ländern. Das ist das Geld des europäischen Steuerzahlers, das hier auf dem Spiel steht. Und bei Nichttilgung einschneidende Nachteile brächte. Für Haushaltskonsolidierungen anderer Länder und damit deren Steuerquote. Die Auswirkungen auf andere Krisenländer ist auch nicht zu unterschätzen: Spanien, Portugal, Irland und nun auch Frankreich müssen ihre Aufgaben der Haushaltskonsolidierung lösen. Ohne Kompromisse. Diese Staaten haben es geschafft bzw müssen es schaffen, ohne Haircuts in Anspruch nehmen zu können.
Bei der Kritik an den bestehenden politischen Systemen verschwinden die Grenzen zwischen linken und rechten Populismus zusehends. Das Antisystem wehrt sich gegen das System, um im Falle der Systemwerdung die aggressiven Töne des antisystemischen Wahlkampfes schnell aus Ernüchterung hinter sich zu lassen.
Pablo Iglesias in Spanien, der seine Antisystem Bewegung „Podemos“ (Name einer südamerikanischen Landarbeitergesellschaft) bereits jetzt als Wahlsieger in den spanischen Parlamentswahlen sieht, verspricht einen neuen Politikstil, direkte parteiinterne Demokratie über das Internet, ähnlich dem Programm der Piraten. Er verlangt auch Transparenz der Politik, woran es in der Tat in Spanien erheblich mangelt.
Vor allem steht Iglesias (äusserlich mehr Messias als Popstar) für auf den ersten Blick klassisch linke Forderungen - Beschränkung der Macht der Finanzwirtschaft, Reichensteuer, Ausbau des Sozialsystems, Verstaatlichung der Energieriesen - sowie für grüne Kernziele: Umweltschutz, erneuerbare Energien, Öko-Landwirtschaft.
Er argumentiert streng rational, hat Daten und Fakten im Kopf. Dabei bedient er sich einer einfachen Sprache, auf diese Weise findet Iglesias ein Echo auch in Wählerschichten, die mit linker Ideologie nichts im Sinn haben, aber der etablierten großen Parteien überdrüssig sind. Denn die gelten als politisch inkompetent und als nahezu durchgängig korrupt. Seinen Erfolg bei den EU Wahlen im Mai mit 5 Sitzen, hat er den Sozialen Netzwerken und dessen viralen Marketing seiner Ideen zu verdanken. Ist er aber regierungsfähig?
Und zu beachten ist weiters: während die EU Kommission sich in diesen populistischen Machtdemonstrationen selbst einbringt, sich kompromissbereit zeigt, um auch von Defiziten im eigenen Land abzulenken (Juncker, LuxLeaks), versucht das EU Parlament unter seinem Präsident Martin Schulz die Linie Angela Merkels und Wolfgang Schäubles zu unterstützen. Die neue EU Kommission zeigt in allen Konflikten seit ihrem Regierungsantritt eine grosse politische Schwäche. Die europäische Innenpolitik bzw deren Aussenpolitik werden von Deutschland in wechselnder Partnerkooperation gemacht.
Nationalistisch teils chauvinistische Politik also vor dem gemeinsamen Interesse der Europäischen Politik? Angela Merkel als POP-Star der Austerität? Angela Merkel als Friedensstifterin? Und vor allem, wenn die Regierung der grössten Volkswirtschaft Europas, die Arbeit der EU Kommission übernimmt, wer kümmert sich dann um die deutsche Innenpolitik? Gabriel? Oder ist es doch die Chance für Parteien wie AfD oder einer neuen endradikalisierten Pegida Bewegung.
„Ich sage immer: einer ist Gesellschaft, zwei sind eine Menge und drei sind eine Party)“, Andy Warhol, POP Art Künstler