Als ich noch jünger war, habe ich immer daran geglaubt, dass die Werbungen für Mascaras auch gleichzeitig das Anwendungsresultat darstellen würden. Doch: kommt Zeit, kommt Rat. Irgendwann im Teenie-Alter – nachdem ich mit Fake Lashes (dt. unechte Wimpern) bekannt gemacht wurde – erkannte ich, dass diese ganzen zauberhaften Wimpern lediglich angeklebt waren und dass das kein Vermächtnis der beworbenen Mascara war. Nun – bald 10 Jahre später – hat sich an den irreführenden Werbungen nichts geändert. Das hüllt einen in wohlige Wärme aufgrund dieser, gegen jedwede Logik bestehenden Beständigkeit. Ich habe mir letztens wieder Gedanken zu dieser faszinierenden kleinen Lüge gemacht, die sich so gut innerhalb der Gesellschaft durchgesetzt hat. Wahrscheinlich hat sie sich einerseits auch durch ihre eigentliche Belanglosigkeit so gut manifestiert. Doch andererseits finde ich es verblüffend, wie viele Menschen diese Lüge unbewusst unterstützen und ihre Verbreitung sowie ihren Erhalt sichern.
Dabei war das nicht immer so, denn sieht man sich alte Mascara-Werbungen an, wurden damals tatsächlich noch echte Wimpern getuscht und mit dem echten Resultat geworben. Irgendwann scheint sich wohl jemand gedacht zu haben, dass mehr wirklich mehr ist und hat begonnen, den Models unechte Wimpern aufzukleben. Das hat sich dann auch bei den ganzen Instanzen, welche die Werbung vor der Veröffentlichung prüfen, als gute Idee bewiesen und ist seitdem normal geworden. Solche „kleinen Lügen“ findet man heutzutage aber in allen Werbungen. Auch die Modeindustrie passt ihre, nicht ganz passenden Kleidungsstücke mittels Stecknadeln und Wäscheklammern an. Wohingegen Putzmittel-Hersteller noch weiter gehen und mit lächerlich unechten Resultaten für ihre Produkte werben. Offenbar hat sich diese Toleranz für die ganzen „kleinen Lügen“ innerhalb unserer Gesellschaft so gut etabliert, dass wir Photoshop zwar immer mal wieder kritisieren, es uns aber irgendwo auch egal ist, ob das was wir sehen echt ist oder halt nicht. Echtheit hat irgendwann anscheinend ihren Wert komplett verloren, obwohl sie weiterhin was Positives ausstrahlt. Echt Bio oder echte Baumwolle – setzt man das Wort „echt“ davor, klingt alles viel besser und bekräftigender. Wieso ist also das wofür „echt“ steht, für uns so unwichtig geworden? Warum sagt keiner: „Hey Leute, Echtheit ist wirklich cool, hört auf mit diesem Missbrauch seiner Bedeutung!“
Sieht man sich unsere gesellschaftliche Entwicklung und die Eigenschaften von dem Menschen an sich an, kann man sagen, dass das Ganze aus unserem mangelnden Interesse sich gegen eine Masse und bestehende Gegebenheiten durchzusetzen, sowie der Schwäche, dass man womöglich auch zu solchen unechten Mitteln greifen würde, resultiert. Oft erfahren wir aber eine Insuffizienz durch die unechten Dinge und ihre kleinen Lügen. Trotz der Tatsache, dass keine gekaufte Mascara einem dieselben Wimpern verleiht, wie es in ihrer Werbung dargestellt wird, geben wir uns damit zufrieden und versuchen oft „das Beste daraus zu machen“. Das geschieht bereits indem wir Dinge sagen, wie: „die macht aber schon echt lange Wimpern, ist auch viel besser als meine Alte.“ Es gibt aber keinen Punkt, an welchem die zuvor gemachten Erwartungen, welche durch das Sehen der Werbung unterbewusste gemacht werden, auch wirklich erfüllt werden. Das führt auch ein Stück weit dazu, dass wir irgendwann denken, Erwartungen können sowieso selten erfüllt werden, es sei denn, man schraubt sie auf ein Minimum herunter. Es wäre interessant zu wissen, welche Folgen aus diesen unerfüllten Erwartungen für die Menschen aktuell resultieren und resultieren, und inwiefern diese veränderte Einstellung unser weiteres Leben beeinflusst.
Doch es gibt auch eine positive Nachricht für die Menschen, denen Echtheit noch wirklich was bedeutet: Echtheit wird immer einen eigenen unvergleichlichen Glow haben. Denn sie übertrifft immer wieder Unechtes und kann mit nichts Unechtem verglichen werden. Sie übt eine unglaubliche Faszination auf uns aus und gibt uns etwas Erfüllendes, was das Leben auf eigene Weise bereichert. Auch ihre mittlerweile seltene Vorkommnis macht sie für uns begehrenswert und gibt ihr einen höheren Stellenwert als je zuvor.