Es sind Zahlen und Fakten, die im viertreichsten Land der EU gleichzeitig traurig und zornig machen. In Österreich waren 2021 – also noch mitten in der Corona-Pandemie und vor der Inflationskrise – 368.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Würde man diese nebeneinanderstellen, ergäbe das laut Volkshilfe eine Menschenschlange von Wien nach Klagenfurt. Betroffen sind vor allem Kinder in Ein-Eltern-Haushalten, Mehr-Kinder-Haushalten, Kinder von Langzeitsarbeitslosen und Familien, bei denen eine Person eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung aufweist.
Die Zeiten haben sich für diese Personengruppen jetzt noch drastisch verschlechtert. Die Inflation lag 2022 bei 8,6 Prozent, bei Energie (36,8 Prozent) und Lebensmittel noch weit höher. Betroffen sind hier vor allem die unteren Einkommensbezieher, da diese auf die Grundbedürfnisse des Lebens nicht einfach verzichten können. Jede zweite armutsgefährdete Person gibt drei Viertel ihres Einkommens alleine für Wohnkosten aus.
Armutsgefährdung
Als armutsgefährdet gilt laut einer EU-Definition jemand, der in einem Haushalt lebt, dem weniger als 60 Prozent des Nettomedianeinkommens (2021: 2484 Euro) zur Verfügung steht. Die Armutsgefährdungsschwelle beträgt dementsprechend bei 2 Erwachsenen und 1 Kind aktuell 2467,8 Euro, bei 2 Kindern 2879 Euro, bei Alleinerziehenden und 1 Kind 1782,3, bei 2 Kindern 2193,6 Euro.
Telefonbefragung
Die GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) hat gemeinsam mit der Volkshilfe und Fachkräften der Sozialen Arbeit zwischen 21. Februar und 13. März 2023 eine nichtrepräsentative Telefonbefragung bei von Armut betroffenen Eltern durchgeführt. Befragt wurden 103 Haushalte, die bereits bei einem Existenzsicherungs-Projekt der Volkshilfe mitgewirkt haben. 80 % davon waren weiblich, 61 % alleinerziehend, 39 % erhielten die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Der Fragebogen enthielt 40 Fragen über die Wohn- und Lebensbedingungen, die psychischen Belastungen und den Schutz der Kinder vor Kälte in armutsbetroffenen Familien.
Wohnverhältnisse
Die Mängel in den Wohnungen reichen von undichten Fenstern, einer energieintensiven Heizung, schlecht isolierten Böden bis hin zu Schimmel und Feuchtigkeit. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass sie aufgrund der explodierenden Heizkosten ihre Kinder nur eingeschränkt vor Kälte in der Wohnung schützen können.
Die Heizkosten sind allerdings nicht die einzigen Sorgen, die die armutsgefährdeten Haushalte belasten. Dazu kommen noch die steigenden Kosten für Essen, Verkehr, Schule, aber auch die mangelnde Unterstützung durch die Politik. Gleich 41 % fühlen sich von den Volksvertretern im Stich gelassen.
Trotz der finanziellen Probleme wurde mehrheitlich aber mehr geheizt, wenn die Kinder gefroren haben. Als Alternative mussten die Kinder warme Kleidung (inkl. Straßenwinterkleidung wie Mäntel und Jacken) anziehen, warme Getränke trinken, Wärmeflaschen verwenden oder warm duschen.
Einschränkungen für Kinder
Die steigenden Energiekosten führten innerhalb der Familie allerdings dazu, dass andere Bedürfnisse der Kinder eingeschränkt werden mussten. Dies betrifft vor allem Freizeitaktivitäten, Gewand, Essen und soziale Kontakte. So mussten u.a. auch die Betreuungskosten für den Kindergarten oder die Nachmittagsbetreuung eingespart werden, um über die Runden zu kommen.
Öffentlicher Raum
Der öffentliche Raum wird von einem Viertel der Familien genutzt, um die Kinder aufzuwärmen. Beliebte Orte sind vorwiegend Einkaufszentren, Geschäfte, Cafes, Büchereien und Schwimmbäder, aber auch wärmere Wohnungen von Bekannten, Verwandten und Freundinnen. Der Hauptgrund, warum diese Räume nicht öfter genutzt werden, liegt an den teuren Eintrittspreisen. Müdigkeit, teurer Sprit, mangelnde Zeit aufgrund der Arbeit, keine Angebote in der Umgebung oder eine Abneigung der Kinder sind weitere Gründe. Die befragten Haushalte wünschen sich in diesem Zusammenhang vor allem öffentliche (Indoor)-Spielplätze, kostenlose warme Räume, Büchereien und Gemeindezentren. Bedenklich: Jede fünfter bzw. jeder 10. Haushalt gab an, dass ein Bedarf nach warmer Kleidung bzw. Winterschuhen besteht.
Kindergrundsicherung
Die politischen Lösungsalternativen liegen auf der Hand. Von seiten der Infrastruktur müssen konsumfreie Räume geschaffen werden, die laut der Armutsforschung nicht nur gegen Kälte schützen, sondern auch soziale Teilhabe ermöglichen und Einsamkeit und Isolation verhindern. Bundesweit sollte endlich eine Kindergrundsicherung eingeführt werden, die sich an den monatlichen Kinderkosten orientiert. Ein von der SPÖ unterstütztes Modell der Volkshilfe liegt vor. Sollte sich dafür im Parlament keine Mehrheit finden, dann ist Österreich noch ärmer dran als bisher. In jeder Hinsicht.