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Nach der mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution über den Armenier-Genozid im Osmanischen Reich konnte man kaum bis zehn zählen, bis die Türkei ihren Botschafter aus Berlin abzog und dessen deutsches Pendant zu einer Standpauke nach Ankara einbestellte.
Es dauerte nur unwesentlich länger, vermutlich bis elf oder zwölf, bis die Welle der Empörung das türkische Parlament erfasste. Besonders die türkischstämmigen Abgeordneten des Bundestages bekamen eine ordentliche Breitseite: Sie bezeichnete der türkische Präsident Erdoğan als „verlängerten Arm der PKK“. Weiter führte er gegenüber Cem Özdemir und anderen türkischstämmigen Abgeordneten aus: "Manche sagen, das seien Türken. Was denn für Türken bitte?" Das Blut der Abgeordneten müsse "durch einen Labortest untersucht werden“.
In weiteren Drohszenarien gegenüber Deutschland und der EU sagte Erdoğan unter anderem: "Ey, Deutschland, ich sage es noch mal: Leg erst mal Rechenschaft ab für den Holocaust, leg erst mal Rechenschaft darüber ab, wie du in Namibia 100.000 Menschen umgebracht hast. Ihr seid das letzte Land, das die Türkei mit dem sogenannten Völkermord an den Armeniern beschuldigen kann".
Das ist, einmal mehr, das klassische Verhalten der türkischen Regierung – ein Verhalten, das übrigens auch hierzulande von Vertretern der Islamverbände immer wieder zu beobachten ist: Unmittelbares Schlüpfen in die Opferrolle und Verdrängen der eigentlichen Thematik.
Leider hakt zudem auch die Argumentation, die Erdoğan & Co. benutzen: Deutschland hat sich nicht nur klar zum Genozid an 6 Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs bekannt, es hat für diese Taten nicht nur moralisch und finanziell gebüßt, es ist schon fast traumatisiert und wird immer wieder auf diese abscheulichen Verbrechen hingewiesen. Der positive Effekt: Ein solches Szenario ist aus meiner Sicht in Deutschland in keinster Weise mehr denkbar. Der negative Effekt: Man beraubt sich ein Stück weit des Stolzes auf die eigene Nation, auf das, was seit 1945 aus Deutschland wurde. Bis 2006 wäre doch kaum jemand auf die Idee gekommen, öffentlich eine Deutschlandfahne zu zeigen. Da bedurfte es erst einer Fußballweltmeisterschaft und der Ermutigung der ausländischen Gäste zu ein bisschen mehr Nationalstolz. Was uns das Ausland längst verziehen hat ist jedoch in den Köpfen der deutschen Bevölkerung nach wie vor eingebrannt. Und das ist im Prinzip auch gut so. Ein wenig mehr Lockerheit in Sachen Patriotismus täte uns dennoch ganz gut.
Zurück zum Thema! Nun hat der Istanbuler Abgeordnete Metin Külünk von der Regierungspartei AKP ein tolle Idee: Damit das unsägliche Thema „Armenier-Genozid“ aus den Schlagzeilen verschwindet, lenkt man mal mehr oder minder elegant vom Thema ab: Sollen die Deutschen doch erst einmal das Massaker an Zehntausenden Herero in Südwestafrika eingestehen. Problem ist nur: Das hat Deutschland, wenn auch mit viel zu langer Vorlaufzeit, im vergangenen Sommer getan: Das Auswärtige Amt hielt seinerzeit diese Sprachregelung fest: "Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord." Warum also diese Reaktionen aus Ankara?
Man hat den Eindruck, die Türkei verhält sich wie ein kleines Kind, das man geschimpft hat und das einem daraufhin trotzig den Rücken zudreht: „Mit Dir spiele ich nicht mehr!“. Anstatt die Geschichte gegebenenfalls gemeinsam mit EU- und/oder deutschen Wissenschaftlern aufzuarbeiten, zieht man sich beleidigt zurück. In Deutschland spräche man von einer beleidigten Leberwurst, das türkische Parlament darf gerne als „beleidigte Sucuk-Wurst“ bezeichnet werden.
Deren Verhalten zeigt einmal mehr, dass sie in politischen Fragen derzeit keinesfalls ein gleichberechtigter Ansprechpartner sind. Mit ihrem kindischen Trotzverhalten (diverse ebenso kindische Prügeleien im eigenen Repräsentantenhaus in der Vergangenheit inklusive) hat man sich ein weiteres Eigentor geschossen. Es darf gespannt beobachtet werden, wann dieses Verhalten in eine Art Pubertät mündet (das dürfte wohl noch brisanter werden) und aus der Türkei letztlich einen „erwachsenen“ Partner auf Augenhöhe macht. Man wird ja noch hoffen dürfen... In diesem Sinne: Mahlzeit!