Ein junger Mann ist mit der politischen Situation in seinem Land alles andere als zufrieden. Er beschließt, einer aufstrebenden Partei beizutreten und schafft es im Laufe der Jahre an deren Spitze. Zwischenzeitlich schlägt er jedoch etwas über die Stränge und landet im Gefängnis. Er sitzt seine Haftstrafe ab und kehrt zurück in die Politik. Jedoch keinesfalls geläutert, sondern eher bestärkt im Glauben, dass seine Vision der Zukunft seines Heimatlandes die einzig richtige ist. In wenigen Jahren wird er demokratisch an die Spitze der Nation gewählt und fährt hierbei beeindruckende Wahlergebnisse ein.

Erst mal an der Macht, lässt er diese nicht mehr los und transformiert den Staat nach seiner Ideologie. Er denunziert politische Gegner, lässt sie teilweise verhaften. Er entledigt sich unliebsamer Journalisten, die seine Politik und Weltanschauung kritisch hinterfragen. Er schafft es in kürzester Zeit, die Medien unter seine Kontrolle zu bringen und schaltet sie weitestgehend gleich. Auch in der Öffentlichkeit trauen sich nur noch die wenigsten unter vorgehaltener Hand, den Anführer der stolzen Nation kritisch zu hinterfragen. Das Ausland beobachtet diesen Politikwandel mit Sorge, macht aber lieber ein paar Zugeständnisse, als einen Konflikt mit der aufstrebenden Wirtschafts- und Militärmacht zu riskieren, man betreibt Appeasementpolitik. Schließlich ist man in manchen Fragen eng an die Zusammenarbeit mit der aufstrebenden Nation gebunden.

Deren Anführer verfolgt unterdessen Minderheiten innerhalb des Landes, denunziert sie, vertreibt sie und lässt sie teilweise unter widrigen Argumentationen brutal ermorden. Die Presse, die in diesem Klima der Angst mittlerweile weitgehend unter staatlicher Kontrolle steht, berichtet hierüber wohlwollend mit den Methoden von Verschleierung, Relativierung und schlicht bewusster Fehlinformation der Öffentlichkeit. Die Pressefreiheit im Land erreicht unterdessen ein Rekordtief. Und auch die Justiz folgt mittlerweile in großen Teilen den Vorgaben des Staatsoberhauptes.

Die Ideologie dieses „Führers“ erfasst innerhalb seiner Regentschaft auch immer größere Teile des eigenen Volkes. Vergangene Fortschritte hinsichlich Liberalität und Demokratie im Lande werden nach und nach ausradiert. Das Ziel ist klar: Eine Präsidialrepublik unter der Führung eines einzigen Mannes und ausgerichtet nach dessen persönlicher Ideologie, die beispielsweise keinen Platz für freiheitliches Denken oder Minderheiten wie Homosexuelle vorsieht. Gegen letztere wird brutal vorgegangen, sie gelten als Menschen zweiter Klasse. Zudem fördert die Ideologie einen extremen Antisemitismus, der sich auch im Volk immer mehr verbreitet.

Wer nun immer noch glaubt, die Rede sei vom ehemaligen GröFaZ, Adolf Hitler, der sieht sich getäuscht. Alle oben beschriebenen Attribute und Werdegänge beschreiben den Aufstieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Es ist auffallend und beängstigend zugleich, dass man hier gewisse Parallelen zwischen dem Diktator des Dritten Reiches und dem türkischen Präsidenten findet. Es gibt natürlich auch Unterschiede: So leugnet Erdoğan nach wie vor den Genozid an den Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts. Es ist müßig zu fragen, ob Hitler, sein Überleben vorausgesetzt, den Holocaust leugnen würde. Vermutlich würde er ihn eher noch als seine größte Errungenschaft feiern. So oder so sind es jedoch zwei Staatsmänner, die einer Ideologie verfallen sind. Bei Hitler war dies sein nationalistisches Denken und sein „Arierkult“ sowie das Feindbild Judentum, dem er mit aller Härte entgegen trat. Bei Erdoğan ist es der orthodoxe Islam und dessen rückwärtsgerichtetes Gesellschaftsprinzip, dem der Präsident alles unterzuordnen scheint. Beides sind Ideoligien mit Weltmachtanspruch. Eine von ist bereits gescheitert, es bleibt zu hoffen, dass dies irgendwann auch für die zweite gilt.

Update I: Unterdessen passt auch der "Reichstagsbrand"-Vergleich wunderbar ins Schema. Inszeniert oder nicht, in jedem Falle ermöglicht der gescheiterte "Putschversuch" Erdoğan ebenfalls eine immense Ausweitung seiner Macht und die systematische Ausschaltung seiner Gegner. So etwas zeigt einmal mehr, dass Geschichte sich offenbar tatsächlich wiederholt. Die Lehren, die Deutschland aus dem Dritten Reich gezogen hat, muss die Türkei offenbar erst am eigenen Leib erfahren, um einzusehen, dass man derzeit sehenden Auges in eine Diktatur rennt...

Update II: Mittlerweile ist auch der Traum vom neuen Lebensraum real. Ebenfalls verbunden mit dem Wunsch, eine Minderheit von der Landkarte zu "säubern". Konkret ist die Türkei seit dem Abzug der USA letzte Woche in Nordostsyrien einmarschiert. Offiziell, um eine "Schutzzone" zu errichten. Der wahre Grund ist allerdings mehr als deutlich: Die Kurden, die dem großen Sultan schon immer ein Dorn im Auge waren, sollen ausradiert werden. Es gab bereits eine dreistellige Zahl ziviler Verluste und das wird nur der Anfang sein. Jene Kurden, die die Islamisten des IS besiegt haben, werden nun von der Trumpschen Regierung dem Despoten Erdoğan zum Fraß vorgeworfen. Nebenbei fliehen bei diesem Feldzug zahlreiche inhaftiere IS-Kämpfer. Heißt: Der IS bekommt die Chance, sich wieder zu formieren. Wer sich mit Erdoğan und seinem Islamverständnis befasst, dürfte ahnen, dass ihm das nicht ungelegen kommt. Darüberhinaus droht er bereits der EU, 3 Millionen Flüchtlingen die Tore aufzusperren, sollte man seinen Feldzug weiter als das bezeichnen, was es ist: eine Invasion. Vollkommen irreal wird die Situation nun werden, wenn der syrische Präsident Assad seine Truppen aufmarschieren lässt und sein Land verteidigt. Das könnte theoretisch einen "Bündnisfall" der NATO auslösen. Soll die freie Welt wirklich einem Islamisten helfen, der einen Aggressionskrieg führt? Ein schauderhaftes Szenario...

8
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Claudia56

Claudia56 bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 19:18:11

Julian Tumasewitsch Baranyan

Julian Tumasewitsch Baranyan bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 16:19:29

Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 15:50:31

Stephan Hof

Stephan Hof bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 15:33:41

Livia

Livia bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 08:32:22

pirandello

pirandello bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 01:52:01

Reinhard "Hardy" Rupsch

Reinhard "Hardy" Rupsch bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 00:35:58

Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 19.05.2016 22:13:55

12 Kommentare

Mehr von onkelotti