Die AKP versprach, eine Garantie für den Frieden zu sein. Stattdessen verbreitet sie Terror in den Kurdengebieten.
Noch im Juni, nach den ersten Parlamentswahlen in diesem Jahr, standen die Zeichen auf eine neue politische Ära in Anatolien. Die Kurdenpartei HDP trat mit dem Versprechen an, den friedlichen Dialog zwischen Türken und Kurden zu verstärken und ein demokratisches Bewusstsein zu fördern. Die AKP versprach dagegen, der Garant für Frieden und Stabilität und den Kurdenkonflikt zu beenden.
Verschärfte Tonlage
Der Co-Vorsitzende der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtaş, bezeichnete neulich die regierende AKP als „die IS der Türkei“. Die HDP kämpfe gegen das faschistische Gesellschaftsverständnis der Erdoğan-Partei. Ungewohnt harte Worte von einem charismatischen Politiker. Premierminister Ahmet Davutoğlu kündigte vor einer AKP-Versammlung an, die Berge Südostanatoliens vom kurdischen Terror zu säubern. Seit dem Wiederaufflammen des Kurdenkonflikts hat sich die Tonlage extrem verschärft. Die türkische Regierung geht verstärkt gegen die kurdische Untergrundorganisation PKK vor, nachdem sie im Juni ihre absolute Mehrheit verloren hatte und es zu vereinzelten Bombenanschlägen im Land kam. Laut Regierungsnahen Medien, sollen mehr als 200 PKK-Kämpfer getötet worden sein.
Tote Kinder
Kurdische Medien sprechen von massiven Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch das türkische Militär. Seit Wochen herrschen in den südosttürkischen Städten Cizre, Mardin, Nusaybin, Şırnak und Sur Ausgangssperren für die Bevölkerung. Wer dies ignoriert und auf den Straßen protestiert, wird zum Ziel von Schafschützen. Wenn die Regierung von 200 getöteten PKK-Kämpfern spricht, dann handelt es sich laut HDP auch um 38 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. Ein älterer Herr wollte etwa seinen verletzten sechs Monate alten Enkel in ein Krankenhaus bringen. Die Polizei hinderte ihn daran. Als sich der Mann wehrte wurden Schüsse abgegeben. Der Enkel wurde von einer Kugel getroffen und starb. Der ältere Herr wurde verletzt. Die Bevölkerung wird eingekesselt. Sie sollen Hunger leiden, damit die Widerstandsmoral sinkt. Um diese Katastrophe auf den Punkt zu bringen: Was die Erdoğan-Administration hier macht, ist eine systematische Eliminierung eines Volkes, die sich dem selbsternannten „Sultan vom Bosporus“ nicht unterwerfen und lieber unabhängig über ihr Schicksal entscheiden wollen.
In mehreren Pressekonferenzen, Versammlungen und Interviews, wendet sich Demirtaş direkt an die türkische Bevölkerung. Da sich die Medien zum größten Teil in der Hand der Regierung befinden, werden jedoch Daily Soaps und Kuppelshows ausgestrahlt. Der Westen der Türkei ist sich nicht einmal bewusst, was im Osten passiert. Das ist moralisch verwerflich. Immerhin haben sie einer Partei die absolute Mehrheit wiederverliehen, die eine Garantie für den Frieden sei. Das Gegenteil ist der Fall. Von ihren Ministerbüros im sicheren Ankara aus, terrorisieren diese Krawattenbürokraten die kurdische Bevölkerung. Sie geben vor am Wohl der Menschen interessiert zu sein, trauen sich jedoch nicht vor Ort zu erscheinen und sich ein Bild von der Lage zu machen. Sie würden wissen, was das Beste für die Region sei, lassen kurdische Aktivisten und Politiker nicht zu Wort kommen und bezeichnen sie gleich als Terroristen.
Unabhängigkeit?
In so einem Moment denkt man freilich nicht an eine baldige Unabhängigkeit der Kurden von der Türkei. Aber die Zeichen könnten nicht besser stehen. Die Selbstverwaltung, das hohe demokratische Bewusstsein, die fortgeschrittene Gleichstellung der Geschlechter sowie das Bedürfnis einer friedlichen Koexistenz der Volksgruppen besitzen in dieser Region einen einzigartigen und professionellen Charakter. Dies wird der türkische Staat jedoch unter allen Umständen verhindern. Nicht nur aus falschem Nationalstolz, sondern auch aus Furcht, den Zugang zu wichtigen Handelsrouten und eine strategische Vormachtstellung im Nahen Osten zu verlieren.