Demokratie made by Erdoğan

Autokraten anderer Staaten können bei Erdoğan lernen, wie sie eine Diktatur mit der Demokratie kombinieren können.

Wahl verlieren, nicht akzeptieren, Wählern Fehler attestieren. Koalitionsverhandlungen manipulieren, Neuwahlen initiieren. Krieg im Südosten führen, Hass gegen Minderheiten schüren. Medienhäuser besetzen, Pressefreiheit verletzen. Neuwahlen abhalten, Wahlergebnis basteln, Wählern recht geben und "Allahu Akhbar" (Gott ist groß) rufen lassen. Das ist Demokratie made by Erdoğan.

„Brot-und-Spiele-Politik“

Obwohl es bei dieser Wahl nicht um den Präsidenten ging, hat er sich wie schon bei der Wahl am 7. Juni aktiv in den Wahlkampf gemischt. Parteiveranstaltungen erinnern an Massenparaden in Nordkorea. Öffentliche Drohungen gegen unliebsame Journalisten gehören zum Alltag. Kritische Medien werden vor laufenden Kameras auf Parteilinie gebracht. Nur die Staatsform, angeblich eine Demokratie, wird beibehalten wie sie ist. Gleichzeitig werden Parteiloyale mit großzügigen Sozialleistungen und Pärchen-Verkupplungen belohnt. Eine Diktatur lässt sich halt besser führen, wenn es vom Volk legitimiert und diese wiederum großzügig beschenkt wird. „Brot-und-Spiele-Politik“ wie aus dem Lehrbuch. Viele Autokraten anderer Staaten können von Erdoğan lernen, wie sie ihre Diktatur mit einer Demokratie kombinieren können.

Verleumdungskampagnen

In den nächsten Tagen wird sich zudem herausstellen, ob diese Wahlen wirklich fair verlaufen sind. Noch am Wahltag wurden erste Betrugsvorwürfe geäußert. Allen voran von der prokurdischen HDP. Weil sie der Allmachtsfantasie des Präsidenten im Weg stand, war vor allem ihr charismatischer Co-Vorsitzender Selahattin Demirtaş das Ziel zahlreicher Verleumdungskampagnen der AKP geworden. Nur kurz  nach der Wahl am 7. Juni ermittelte die türkische Staatsanwaltschaft gegen Demirtaş, wegen seiner angeblichen Nähe zu Terroristen. Quasi über Nacht überrannten Soldaten und Panzer den Südosten des Landes. Nicht zu vergessen sind die verheerenden Terroranschläge gegen kurdische Friedensaktivisten in Suruç und Ankara, bei der insgesamt rund 130 junge Menschen ihr Leben verloren haben.

Pufferzone zwischen Orient und Okzident

Dass die Europäische Union zurückhaltend auf die „Erdoğanisierung“ Anatoliens reagiert ist nicht überraschend. Angesichts der verheerenden Lage im Nahen Osten, allen voran in Syrien, wäre eine Machtverschiebung nicht in ihrem Interesse. Europa ist auf eine Pufferzone zwischen dem Orient und Okzident angewiesen. Die Flüchtlinge müssen in Schach gehalten werden und dürfen nicht mehr den Weg in den gelobten Kontinent antreten. Anders lassen sich Angela Merkels Türkei-Besuch vor zwei Wochen, die 3-Milliarden-Euro-Hilfgelder für die AKP-Regierung und der zurückgehaltene (und kritische) EU-Bericht über die Beitrittsverhandlungen nicht erklären.

Zweifelsohne stehen der Türkei schwere Zeiten bevor. Die Wirtschaft ist ins Stottern geraten. Die Arbeitslosenquote ist mit 10,1 Prozent recht hoch. 6 Millionen Jugendliche sind auf Jobsuche. Davon ist jeder Vierte ein Student. Viele Türken stecken in einem tiefen Schuldenloch. Terrorangriffe des Islamischen Staates erschütterten das Land. Eine Parteiübergreifende Zusammenarbeit wäre mehr als angebracht. Aber von dieser Konsenskultur hat sich das Land zunehmend entfernt.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

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