"Die Anfeindungen haben mich motiviert"

Der deutsch-kurdische Fußballspieler Deniz Naki spricht mit mir über die Anfeindungen gegen ihn, über den Krieg gegen die Kurden und seine Zukunft.

Eigentlich hat er daran gedacht, mit dem Fußball ganz aufzuhören, nachdem er im türkischen Fußball von den Fans angefeindet wurde. Doch als der deutsch-kurde Deniz Naki ein Angebot aus Diyarbakir bekam und die Möglichkeit sah, die vom Konflikt gezeichneten Menschen glücklich zu machen, blieb er weiterhin am Ball. Vergangenen Sonntag solidarisierte er sich im Spiel gegen Bursaspor öffentlich mit der kurdischen Bevölkerung und wurde deswegen für vier Spiele gesperrt.

Onur Kas: Deniz, du bist 2013 von der deutschen Bundesliga in die türkische Süper Lig gewechselt. Was waren deine Motive?

Deniz Naki: Ich hatte einen Zweijahresvertrag beim SC Paderborn gehabt, bis ich ein Angebot von Gençlerbirliği Ankara bekam. Das hat mich gereizt, in der türkischen ersten Liga zu spielen, und ich bin dorthin gewechselt und bekam einen Dreijahresvertrag.

Weil du kurdischer Abstammung bist, wurdest du während deiner Zeit in Ankara oft angefeindet. Wie weit ging das?

Das fing auf Twitter und Facebook an. Weil ich Alevite bin und aus Dersim (Anm. der Redaktion: kurdische Bezeichnung für Tunceli) stamme, hatten die Leute an mir etwas auszusetzen. Sie starteten eine Rufmord- und Propagandakampagne gegen mich. Selbst die Medien sprangen auf diesen Zug auf. Während der Schlacht um Kobane im Sommer 2014 habe ich über Facebook meine Solidarität mit der dortigen Bevölkerung bekundet. Daraufhin lauerten mir eines Abends drei unbekannte Personen auf offener Straße auf und griffen mich an.

Was haben sie dir gesagt?

Sie bezogen sich zunächst auf meine Tattoos, etwa warum da „Dersim“ und nicht „Tunceli“ steht. Ich wurde aufgefordert, mich aus der Türkei zu verpissen und sie haben angekündigt, alle Aleviten abzuschlachten. Irgendwann wurde es mir zu gefährlich, in Ankara zu bleiben. Ich beschloss daraufhin, nach Deutschland zu meiner Familie zurückzukehren.

Aber dann bist du wieder in die Türkei gegangen, um für Amedspor in Diyarbakir zu spielen. Warum?

Eines Tages bekam ich überraschend ein Angebot von Amedspor. Ich wusste, dass die Situation in Amed (Anm. der Redaktion: kurdische Bezeichnung für Diyarbakir) gefährlich ist, weil dort Kriegszustand herrscht. Ich bekam auch Angebote aus der 2. Bundesliga in Deutschland sowie von belgischen und holländischen Clubs aus der 1. Liga. Letztlich habe ich mich doch für Amedspor entschieden, weil ich die Menschen dort, die von dem Konflikt gezeichnet sind, mit meiner Leistung glücklich machen wollte. Heute stehen wir im Viertelfinale des türkischen Pokals. Niemand hätte das erwartet. Auch wenn es ein kurzer Moment ist: Es macht mich glücklich mit unserem Sieg dazu beizutragen, dass sich die Menschen hier freuen. Das ist für mich wertvoller als der Pokal selbst.

Im Pokalspiel gegen Bursaspor am vergangenen Sonntag hast du den Siegestreffer erzielt und daraufhin mit deinen Fingern das Peace-Zeichen gezeigt, eine beliebte Geste unter Kurden. Wie haben die Fans und die türkische Öffentlichkeit darauf reagiert?

Die Fans von Bursaspor haben allergisch darauf reagiert, weil die Fans unserer Vereine verfeindet sind. Bei jedem Foul an mir haben sie extrem gejubelt. Aber diese Anfeindungen haben mich erst recht motiviert, bis ich mit meinem Siegestreffer eine Antwort darauf gab. Das Peace-Zeichen, das ich gezeigt habe, sollte meine Haltung signalisieren. Es steht für den Frieden, für die Freiheit und Gleichheit unserer Völker. Aber viele Menschen in der Türkei interpretieren diese Geste als Kriegserklärung, um daraufhin eine Hetzkampagne gegen die Kurden zu starten.

Der türkische Fußballverband hat daraufhin Amedspor wegen „ideologischer Propaganda“ zu einer Geldstrafe und einem Spiel ohne Zuschauer verurteilt.

Ich verstehe das überhaupt nicht. Das ist politisch motiviert. Der Verband hat uns auch verurteilt, weil unsere Fans im Spiel gegen Istanbul Başakşehir im Dezember skandiert haben, dass Kinder nicht sterben, sondern in den Stadien sein sollten. In der Türkei interpretiert man solche harmlosen Aussagen als PKK-Propaganda. Ich selbst wurde wegen eines Facebook-Posts für vier Spiele gesperrt. Man will ein Exempel an uns statuieren.

In Cizre und Diyarbakir geht das Militär hart gegen die kurdische Bevölkerung vor. Wie nimmst du die Ereignisse selber wahr?

Es ist schrecklich. Dadurch, dass ich in Diyarbakir lebe, bekomme ich das aus erster Hand mit. Ich war auch in Cizre, wo ich viele Familien besucht habe. Trotz des großen Leids, der vielen Toten und der brutalen Kämpfe, bleiben diese Familien stark. Sie haben meine größte Bewunderung, weil sie unter diesen Bedingungen weiterhin nach Frieden anstatt Vergeltung rufen. Man muss wirklich die Zustände selbst gesehen haben, um die Lage vor Ort nachvollziehen zu können.

Glaubst du, dass die Regierung eher daran interessiert ist, die Kurden zu bekämpfen als den IS?

Ich würde es drastischer ausdrücken. Der Staat führt Krieg in seinem eigenen Land und gegen seine eigene Bevölkerung. Kann man da allen Ernstes annehmen, dass er gegen den Islamischen Staat kämpft? Wenn die Welt das denkt, dann ist sie naiv.

Hast du den Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren?

Nein. Ich werde jetzt erst recht bleiben und mein Volk unterstützen. Die Lage in Diyarbakir ist ernst. Man hat wieder eine Hetzkampagne gegen mich gestartet, die von dem Ultranationalisten Sedat Peker angeführt wird. Wenn seine Anhänger glauben, dass er ein Held ist und ich ein Terrorist bin, tut das weh. Aber damit kann ich umgehen, weil ich nun mal kein Terrorist bin.

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