MAN GILT SCHON ALS TERRORIST, WENN MAN TÜRKISCHEN TEE KRITISIERT

Angeblich habe am 15. Juli die Demokratie gesiegt. In Wirklichkeit fällt sie einem machtbesessenem Herrscher zum Opfer und das türkische Volk befürwortet es sogar. Ein Land trägt seine Freiheit freiwillig zu Grabe.

Der Freitag ist noch sehr jung. 35 Minuten nach Mitternacht und ich switche mich durch Facebook, bis mir ein Posting vom HDP-Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas ins Auge fällt: „Vor meiner Haustür stehen Polizisten, die mich festnehmen möchten.“ Das Erste was ich mir gedacht habe war, warum es so weit kommen musste. Da wird ein Mann, da wird eine ganze Partei, die aus mutigen Männern und Frauen besteht zum Schweigen gebracht, weil sie laut gegen die Unterdrückung von Volksgruppen in der Türkei protestieren. Auch zahlreiche Journalisten von regierungskritischen Medien, wie die Cumhuriyet, mussten ihren Mut, ihre Gedanken frei zu äußern, mit ihrer Freiheit bezahlen. Wer in der Türkei seine Meinung frei äußert, lebt gefährlich.

Bislang erlebten wir die Entstehung von Diktaturen in Geschichtsbüchern. Man denke da an den Nationalsozialismus, den Sowjetkommunismus oder die Militärdiktaturen in Lateinamerika. Doch zum ersten Mal erlebt meine Altersgeneration live mit, wie eine Diktatur in einem Land errichtet wird, das von der Welt irrtümlicherweise als demokratisch eingeschätzt wird.

Seit dem 15. Juli 2016, geht ein Mythos um die Welt. Nämlich, dass das türkische Volk sich mutig gegen einen Putsch gewährt habe und damit ihr Demokratiebewusstsein gestärkten haben soll. Doch in Wirklichkeit erlebte die Welt mit, wie eine türkische Version der Reichstagsbrandverordnung, bekannt auch als Hitlers Ermächtigungsgesetz, in Gang gesetzt wurde. Wie Adolf Hitler und die anderen Nationalsozialisten, hat Präsident Recep Tayyip Erdogan und die AKP die Putschnacht dazu genutzt, um ihre ersehnten Machtbefugnisse auszubauen und einen totalen Herrscherstaat zu errichten. Seit dieser Nacht wurden mehrere Zehntausend unliebsame Staatsbedienstete, politische Oppositionelle und kritische Journalisten wie Krebsgeschwüre aus dem öffentlichen Leben entfernt. Zahlreiche kurdische Fernsehender wurden geschlossen, um die Kurden vom politischen Prozess systematisch zu isolieren. Alles Anzeichen einer Ein-Mann-Diktatur, die höchst wahrscheinlich mit der Einführung der Todesstrafe und mit der Hinrichtung von politischen Gegnern abgeschlossen wird. Ich fürchte, dass so manch einem HDP-Abgeordneten dieses Schicksal droht.

Was mich aber besonders wütend macht, ist die Haltung zahlreicher Türken zum politischen Geschehen in ihrem Heimatland. Denn sie tragen ihre Freiheit jubelnd zu Grabe und beseitigen jegliche Formen einer selbstbewussten Zivilgesellschaft. Eine Kultur der Dekadenz macht sich breit. Sie regen sich mehr über das Nicht-Zusammenkommen zweier Menschen in einer Fernseh-Kuppelshow auf, als über die korrupten Vorgehensweise innerhalb der Regierung. Sie argumentieren, dass der Terror das Land bedrohe und die HDP-Abgeordneten der verlängerte Arm der PKK sei.

Um ehrlich zu sein, sind für Türken alles eine Bedrohung, die ihr Dasein kritisieren. Man gilt schon bereits als Terrorist und Volksverräter, wenn man den türkischen Tee kritisiert. Es existiert eine Kultur der Einschüchterung unter Türken, sobald man von der vorherrschenden Meinung der Gruppe abweicht. Es reicht ein Blick auf die Türken in Deutschland und Österreich, um festzustellen, dass sie ihre ganz eigene Interpretation vom politischen Weltgeschehen und historischen Ereignissen haben. Wenn es danach ginge, sind die Türken Opfer von Weltverschwörern, die das Ziel haben, die Nation zu spalten. Dabei hat ein Mann für ihre eigene Spaltung gesorgt, nämlich ein Präsident, den sie selbst gewählt haben.

Shutterstock/Urheberrecht: thomas koch

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