Am Sonntag wird in der Türkei wieder einmal ein neues Parlament gewählt. Die Wahlwerbungen der Parteien bewegen sich in den Sphären zwischen Hoffnung, Resignation und Pathos. Eine Analyse der Wahlwerbespots.
Wahlkampf ist ein Volkssport in der Türkei. Auch außerhalb von Parlaments-, Provinz- und Kommunalwahlen, verzieren Parteiflaggen, Riesenporträts der Spitzenkandidaten und angekündigte Megaprojekte in Form von Werbeplakaten die Straßenbilder. Zu Wahlkampfzeiten fahren spezielle PKWs durch die Innenstädte, um mit einem Lautsprecher die Botschaften der Parteien zu verbreiten, meist mit türkischer Folklore untermalt.
Aufwendige Werbespots
Im Fernsehen, wenn die Lieblingssoaps der Zuschauer ein romantisiertes Bild der inneren Istanbuler Bezirke vorgaukeln, werden in den Werbeblöcken regelmäßig die Kampagnenspots der Parteien ausgestrahlt. Da die Spots mit so großem Aufwand betrieben werden, sind sie auf den ersten Blick kaum von herkömmlichen Werbesendungen zu unterscheiden. Für die Kampagnen werden sogar eigene Songs geschrieben, die in der Werbung abgespielt werden.
AKP: Werte und Gott
Beginnen wir mit der Präsidentenpartei. Die AKP setzt auf Patriotismus, Werte und Gott. Zu sehen sind Helden des Alltags, wie eine Mutter, die ihr Kind in die Schule schickt, ein Zusteller, der die aktuellen (Regierungs-) Zeitungen bringt sowie der Teestubenbesitzer, ohne den der türkische Mann mehr Freizeit hätte und der Bäcker, der hochqualitative Brote zubereitet. Sie sorgen alle für ein starkes Vaterland. Die Sänger erinnern die Zuschauer daran, dass viele Projekte noch bevorstehen und dieser Weg mit Gottes Segen gemeinsam beschritten wird.
CHP: Schuldenerlass und profitfreie Bildung
Die sozialdemokratische CHP wirbt dagegen mit konkreten Punkten aus ihrem Wahlprogramm. Auf der Straße werden Passanten angesprochen. Etwa eine Frau, die mit ihren Kreditkarten hantiert und Probleme hat, ihre Schulden zurückzuzahlen. Der Sprecher entgegnet ihr, dass die Partei mit den Banken gesprochen habe und deswegen 80% der Schulden erlassen werden können. Eine Mutter macht sich Sorgen um die Schulbildung ihrer Kinder, weil ein Lehrer aus finanziellen Gründen entlassen wurde. Damit es dazu nicht mehr kommt, will die CHP die Profitgier aus den Schulen verbannen. Mit dem Slogan „Biz Varıs. Yaparız.“ – „Wir sind da. Wir machen es.“, endet der Spot mit dem in die Ferne schauenden Spitzenkandidaten Kemal Kılıcdaroğlu.
MHP: „Du weißt, wen du wählen wirst.“
Auch die ultranationalistische MHP thematisiert die Sorgen ihrer Wähler, betreibt aber ein „negative campaigning“, also das Schlechtmachen des politischen Gegners (hauptsächlich die AKP). Ein älterer Herr beklagt sich über schwere Zeiten und dass ausgerechnet jetzt Neuwahlen ausgerufen wurden. Eine andere Person fragt den Herrn, wen man nun wählen sollte. Dieser antwortet Weise: „Korrupten und unheilbringenden Dieben darf man die Stimme nicht geben. Du weißt, wen du wählen wirst.“ Daraufhin erscheint das Logo der MHP.
HDP: „Jetzt erst Recht“
Die prokurdische HDP versucht mit einer „Jetzt-erst-recht-Kampagne“ die Zehn-Prozent-Hürde wieder zu überspringen. In ihrem Spot setzt sie auf die Themen Vielfalt, Frieden und Gerechtigkeit. Jede Einblendung wird mit dem Schlagwort „Indadına“, „Jetzt erst recht“ kommentiert und ein Attribut hinzugefügt, etwa „Jetzt erst Recht: Geschlechtergleichheit.“ Am Ende des Videos treten die Spitzenkandidaten Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ lächelnd auf. Abschließend heißt es „Inadına HDP“.