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Was ist nur los mit der deutschsprachigen Presse? Seit Wochen liest man davon, dass die russische Armee vor dem Zusammenbruch stünde und es nur eine Frage der Zeit ist, wann die tapferen Ukrainer die russischen Invasoren vertrieben haben. Alleine die schweren Waffen, Panzer und Artillerie, würden fehlen, dem Spuk der russischen Besatzung ein Ende zu machen.
Das alles wird garniert mit der Behauptung, die russischen Reserven seien erschöpft, schließlich müsse die russische Armee bereits auf veraltetes Material zurückgreifen. Die russischen Pläne der Vernichtung der Ukraine wären gescheitert, und die Besetzung des Donbass sei faktisch das Minimalziel und käme einer Blamage gleich.
Und neben der Forderung nach schweren Waffen, bleibt die Sanktionsspirale, an der ununterbrochen gedreht wird, obwohl es von Tag zu Tag deutlicher wird, dass die Sanktionen den Russen zwar schaden, aber weitaus weniger, als es der Wertewesten wahrhaben will. Und Scholz hat in Südafrika erfahren müssen, dass es mit einer weltweiten Ablehnung des russischen Angriffskrieges nicht so weit her ist. Viele afrikanische und südostasiatische Staaten beteiligen sich nicht an den Boykottmaßnahmen.
China, Indien, Pakistan. Das sind gewaltige Märkte, die jeden weiteren Sanktionsschritt verpuffen lassen. Am Ende wird Europas Wirtschaft unter den Folgen der Sanktionenmehr leiden, als diejenigen, denen man damit Mores lehren will.
Aber zurück zu den Unterstellungen in der deutschen Presse. Ich behaupte mal ganz frech, dass Putin seine wirklichen Kriegsziele bereits erreicht hat. Die aus meiner Sicht waren:
1. Sicherung der Trinkwasserversorgung der Krim
2. Sicherung einer Landverbindung zur Krim
3. Besetzung des Rebellengebietes im Donbass
4. Kontrolle über die ukrainischen AKW
5. Kontrolle über die ukrainischen Häfen
Das alles hat Putin erreicht. Und zwar mit altem Material. Auf die Idee, dass Russland seine modernen Waffensysteme deshalb nicht einsetzt, weil sie gar nicht gebraucht werden, um die Ukraine zu besiegen, scheint niemand zu kommen. Angenommen mein These trifft zu, dann bedeutet dass für die Ukraine nichts Gutes, wenn sie im Glauben auf eine vermeintliche Schwäche der russischen Armee den Kampf fortsetzt.
Das der Angriff Anfang Februar auf Kiew allein dem Zweck gedient haben könnte, die ukrainische Armee bei der Verteidigung der Hauptstadt zu binden, und damit vom Donbass fernzuhalten, will wohl auch niemand kommen. Es wäre allerdings eine Erklärung dafür, weshalb der Rückzug erfolgte . Denn zu Beginn des Krieges hatte Russland eine überwältigende Luftüberlegenheit. Warum hat Russland die nicht genutzt, wenn es um die Eroberung der gesamten Ukraine und die Besetzung Kiews ging? Das ist einfach ein Widerspruch, der im Raum steht.
Wer sich heute eine Karte der Ukraine anschaut, sieht deutlich, dass Russland eine zusammenhängende Landfläche okkupiert hat, die in den kommenden Jahren in das russische Staatsgebiet integriert werden wird. Es stellt sich die Frage, wie die Ukraine diese Gebiete zurückerobern will. Wäre das für die NATO akzeptabel, wenn ein potentielles Mitglied den Versuch startet, besetzte Gebiete zurück zu erobern? Würde Europas Bevölkerung auch in einer solchen Situation das Maß an Solidarität zeigen, wie es heute der Fall ist?
Aus meiner persönlichen Sicht wird das nicht geschehen.
Es wäre also an der Zeit, den Konflikt realistisch zu betrachten und darüber nachzudenken, was auf den Krieg folgt. Kissinger hat mit seiner Anmerkung, die Ukraine müsse Gebiete aufgeben, nicht unrecht. Denn was ist die Alternative, wenn nicht die völlige Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit durch Vernichtung der Infrastruktur und einem erheblichen Verlust von Menschen, die das Land verlassen werden, um sich anderswo in Europa oder Übersee niederzulassen?
https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-05/ukraine-infrastruktur-zerstoerung-oleksandr-kubrakov
Nach dem medialen Hurrageschrei der Presse und dem billigen Versuch, den sozialdemokratischen Kanzler unter Druck zu setzen, und Deutschland zur Kriegspartei zu machen, will ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass bald die Vernunft über die Kriegsrhetorik siegen wird. Allerdings hat sich die deutschsprachige Presse von seriöser Berichterstattung, die dem Leser die Möglichkeit gibt, sich eine eigene Meinung zu bilden, entfernt. Heute beherrscht die Sprache der Propaganda die Berichterstattung. Und das erinnert dann doch sehr an den Sommer 1914.