Vieles passt nicht, vieles macht derzeit keinen Sinn. Die offiziellen Verlautbarungen beider Seite sind in sich nicht schlüssig. Schon bei der Kharkiv Offensive was es ähnlich, bestimmte Infos und Video-Material kam erst ein paar Tage später. Sollten sich die Russen in den nächsten Tagen tatsächlich von der Landzunge der Dnipro Mündung zurückziehen und den Hafen von Mykolaiv frei geben, dann gab es im Hintergrund einen Deal.
Es gibt mittlerweile eine ganz gute Vorstellung, wie der Deal aussehen könnte, welche Vorteile beide Seiten davon gehabt haben könnten und an welche weiter bestehenden Bedingungen er geknüpft ist. Wahrscheinlich ist er durch 3. „Kräfte“ abgesichert, die die Einhaltung durch beide Seiten überwachen.
— Warum gab es seit Kherson keine Missile- und Drohnen-Attacken mehr auf zivile Infrastruktur?
— Warum wird Kherson selbst nicht von russischer Artillerie beschossen?
— Warum scheinen Material und Personalverluste der Russen nach jetzigem Standpunkt extrem gering zu sein?
— Warum sind 1000ende russische Infanteriesoldaten noch bei Nacht nahezu unbehelligt über die Pontoonbrücke gelaufen?
— Warum gibt es nur minimale Anzahl an russischen Kriegsgefangenen?
— Warum gibt es plötzlich positive Meldungen um eine Erweiterung des „Weizen-Deals“ über den Hafen von Mykolaiv?
— Warum verüben die Russen derzeit keine „Racheakte“ auf Zivilisten als Reaktion auf die strategische Niederlage in Kherson, was sie bisher immer getan haben?
— Warum wurden die Fährsammelpunkte am Dnipro am Westufer beim Abzug der russichen Kräfte eben nicht massiv durch ukrainischen Kräfte vernichtet, obwohl sie in Artillerie-Reichweite lagen, genügend HIMARS vorhanden waren und alle Übergänge per Satelliten Aufnahmen seit Wochen überwacht wurden.
— Warum haben die Russen über Wochen die Kommunikation aufgebaut, dass sie Kherson verlassen.
— Warum gehen Surovikin und Shoigu erst vor die Presse und verkünden den Abzug öffentlich, nachdem er de facto nahezu bereits erfolgt sein muss?
— Warum verbreiten die Ukrainer über Wochen im selben Zeitraum, dass sie nicht an den Abzug glauben? Ein Abzug von ca. 40.000 Soldaten über einen Kilometer breiten Fluss, erfolgt nicht ohne dass die Satelliten, Drohnen, Partisanen und Aufklärungskräfte aller Seiten inklusive der NATO das just in time mitbekommen.
— Warum gab es erstmalig in diesem Krieg genau für diesen Zeitraum parallel von beiden Seiten eine komplette Nachrichtensperre? Nahezu Totenstille von beiden Seiten per Order von ganz oben. — wie hatten wir keinerlei Infos?
— Warum hat die Ukraine die Geschwindigkeit nach der ersten Eroberungswelle im Norden von Kherson abrupt gestoppt und ist ohne signifikante Fortschritte verharrt?
Um es mal auf den Punkt zu bringen, die ukrainischen Armee hätten die Möglichkeiten gehabt, das Westufer mit russischen Leichen zu übersähen und den Rückzug mit Artillerie einzudecken, aber nichts spricht wirklich dafür. Das Angebot von Surovikin (Russland) an Zalushny (Ukraine) muss also verdammt gut gewesen sein.
Mal im Ernst, wenns da keinen Deal gab?
Ich bin sehr gespannt, wann neue Infos und Bildmaterial die Fragen anderweitig in den nächsten Tagen beantworten.
— Spricht das für einen Waffenstillstand in Zukunft? NEIN!
— Geht die Befreiung durch die Ukrainische Armee weiter? JA!
— Sind solche Deals auf allen militärischen Ebenen historisch üblich? Klares JA! Sie sind sogar ausdrücklich im Kriegsrecht vorgesehen und können auf jeder Kommando-Ebene durchgeführt werden, z.B. zum Bergen von Verletzen und Toten.
— Gibt es auf militärischer Ebene eine Kommunikation zwischen den befeindeten Parteien? Fast immer. Denkt an Gefangenenaustausch.
— Haben Garantiemächte ggf. einen solchen Deal nach hinten abgesichert? In dieser Größenordnung sehr wahrscheinlich, JA!
Derzeit kommen erste Meldungen über einen Rückzug der Russen aus der im Dnjeprdelta liegende Halbinsel, von der aus Mykolaiv blockiert werden könnten rein. Auch der Abzug von russischen Kräfte vom Staudamm bei Nowa Kahkova wird berichtet.
An der Landenge zur Krim baut Russland die Verteidigungsanlange massiv aus.
Lautet der Deal ein ukrainisches Vorrücken bis zum Krim-Isthmus?
Die Kherson Frage bleibt also in den nächsten Tagen spannend.