Die Vorgänge der letzten 36 Stunden haben gezeigt, dass niemand mit dem Finger auf dem roten Knopf nur auf eine Gelegenheit wartet.
Wenn ich mir heute vieles auf Social Media an Statements durchlese, frage ich mich ständig: „Wovon reden die“?
Die Psychologie besagt, dass wir Organisationen und Instanzen wie eine Person verarbeiten. Das Gericht, die Polizei, das Arbeitsamt, die Grünen… alles wird zu einer Person verdichtet. Weil es sonst zu komplex für uns ist.
Und auch die NATO wird als eine Person gesehen und kommuniziert. Das ist völlig absurd.
Ich bin sicher, die letzten 20 Jahre der Kommunikation im Netz 2.0 haben diesen Eindruck verstärkt. Zumal ja fast immer von der NATO gesprochen wird, als handele es sich um ein Land.
Vielen Kommentatoren, die der NATO irgendwas unterstellen oder etwas fordern, würde ich gerne antworten, dass die NATO gar kein eigenes Militär hat.
Die NATO ist kein Land, sondern ein Verteidigungsbündnis von 30 Nationen. Klar haben sie eine eigene Verwaltung und eigene politische Vertreter. Aber die können ohne diese Mitgliedsstaaten nichts machen. Kein NATO-Generalsekretär kann mal eben den Krieg erklären.
Egal von welcher Seite und aus welcher Motivation, es wurde ein falsches Bild etabliert.
Beispielsweise die NATO hätte eigene Interessen, die über die militärische Verteidigung hinausgingen. Gerne genommen ist der Krieg für Öl.
Natürlich versuchen Mitgliedsstaaten wie die USA, Deutschland, Frankreich, UK und andere, ihre politischen Interessen in der NATO zu vertreten. Aber damit sind sie in der Regel nicht sonderlich erfolgreich. Weil ja alle anderen auch noch zustimmen müssen.
Ein Problem daran ist, dass die NATO mit den Einsätzen und Kriegen, die dann häufig genannt werden, gar nichts zu tun hat.
Mit Syrien hatte die NATO nichts zu tun. Im Falle von Libyen wollte die NATO zwar eingreifen. Aber die Türkei hat sich geweigert und u.a. Deutschland hat sich nicht beteiligt. Später übernahm die NATO zwar das Kommando, aber eben nicht die ganze NATO. Auf Bitte der UN.
Ganz ähnlich im Irak, wo die USA sich dann gezwungen sahen eine „Koalition der Willigen“ zusammenzusammeln. In Afghanistan war die Sache noch komplizierter.
Bei einigen Einsätzen war Russland sogar mit dabei. Beispielsweise bei der Operation Active Endeavour im Mittelmeer oder in Syrien.
Erst 2007 äußerte Putin sich auf der Sicherheitskonferenz in München ablehnend zur NATO. Deshalb ist das Datum so interessant, wenn man versuchen will, das Handeln Putins einzuordnen. Da wurden die wirklichen Experten hellhörig. Und 2010 änderte Medwedew die Militärdoktrin und erklärte die NATO zum Feind.
Und ständig wird die NATO mit den USA gleichgesetzt.
Natürlich sind die USA der stärkste Mitgliedstaat. Aber eben nur einer von vielen. (Vor allem UK wird ständig unterschätzt.) Dank Trumps kritischer Haltung zu NATO war die Rolle der USA in der NATO noch nie so schwach wie heute. Es findet längst ein europäischer Emanzipationsprozess statt.
Der einzige Fall, in dem die NATO mal „Scheiße gebaut“ hat, war der nicht einmal dreimonatige Einsatz während des Kosovokrieges. Es heißt zwar immer „gegen die Republik Jugoslawien“, das waren zu dem Zeitpunkt aber nur Serbien und Montenegro.
Dieser Einsatz wird als völkerrechtswidrig angesehen. Ziel war jedoch nicht, irgendein Land zu besetzen. Und Öl gibt es da auch nicht. Es ging darum Kriegsverbrechen und ein serbisches Großreich zu verhindern.
Darüber kann man lange diskutieren. Es führt jedoch nirgendwohin. Und nach meiner sehr persönlichen Erfahrung diskutieren darüber auch nur Menschen, die einen Antiamerikanismus pflegen.
Es wird ständig ausgeblendet, dass die NATO 30 Staaten mit eigener Stimme und eigenen Interessen sind. Weil es von der russischen Propaganda auch gerne anders dargestellt wird.
Nun konnte man heute häufig lesen, die NATO solle eine Flugverbotszone über der Ukraine durchsetzen.
Ich bin inzwischen sicher: Leute, die so etwas fordern, haben keine Ahnung, was das bedeutet. Das sind in meinen Augen keine „Kriegstreiber“, sondern Prechts. Viel Meinung für wenig Ahnung.
Ich muss und möchte die NATO gar nicht verteidigen. Wozu auch?
Ich möchte verdeutlichen, dass die Sache mit der NATO eben nicht so leicht ist, wie viele es sich machen.
Denn genau diese Vereinfachungen führen dazu, dass viele Laien Angst bekommen. Weil sie das Gefühl haben, die NATO stünde mit „ihren Truppen“ an der Grenze und warte nur darauf irgendwo einzumarschieren. Oder auf den roten Knopf zu drücken.
Was in den letzten Stunden passiert ist, zeigt viel deutlicher die Realitäten:
Man spricht miteinander, man tauscht Informationen aus, man berät sich.
Und nun wurde auch von der NATO, den USA und Polen das bestätigt, was ich nach schlafloser Nacht bereits heute Morgen gesagt habe: Nichts deutet auf einen Angriff hin.
Und damit ist eine Intervention der NATO gar nicht auf dem Zettel.
Niemand redet darüber. Außer "Experten" auf Social Media.
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