Ganz armselig und allein, so sitzt ein Bettler an der Ecke. Es ist seine Ecke, wo er tagtäglich sitzt, mit seiner Harmonika, die er schon seit seinen Kindertagen besitzt. Damals war er noch wohlhabend, hatte seinen Besitz durch einen dummen Fehler verloren – seine Spielsucht hatte ihn in die Armut getrieben. Irgendwann konnte ihm seine Frau nicht mehr helfen, verlies ihn, denn er brachte Schande über die Familie, sein Arbeitsgeber, der ihn überdurchschnittlich bezahlte, der war auch nicht mehr zufrieden mit seiner Leistung. Kein Alkohol ruinierte ihn, keine Scheidung, lediglich ein dummer Fehler bei Black Jack ruinierte seinen wohlhabenden Besitz, lies ihm lediglich seine Mundharmonika und seinen Platz an der Ecke.
Er sieht zerlumpt, schmutzig aus. Das ganze Gegenteil dessen Mannes, der im Wohlstand gelebt hatte. Ja, er hatte sich Fragen gestellt, wie: „Warum war ich so dumm!“ oder „Hätte ich doch die Finger davon gelassen!“ Doch diese Fragen hatten schon Jahre gesehen. Mittlerweile hat er sich mit seiner Situation abgefunden, sich eingelebt im Bettlerleben. Es sind schon Jahre vergangen, der Wohlstand ist vergessen, als ob er nie etwas anderes getan hätte als gebettelt. Ja, früher war es für ihn eine Schande gewesen, brauchte er doch nur seine Hände zu öffnen – kaum etwas zu sagen – einfach seine Hände zu öffnen. Doch sein Stolz, der verbot es ihm und dennoch zwang ihn das Schicksal, es zu tun, um ihn satt zu machen. „Seht den zerlumpten Kerl an! Braucht das Geld sicher für eine Flasche Wein!“ „Der tut doch nur so – geht heim und lebt in seinem erbettelnden Schloss!“ „Geht weiter, seht ihn nicht an!“ Mit diesen Meldungen muss der Bettler leben. Hatte er sich doch selbst in diese Situation hineingeritten. Am Anfang hatte es ihm Tränen gekostet. Tränen, die in den Jahren des Leides längst getrocknet sind. In seinem Gesicht ist Leere; eine Wüste des Leides. Er hatte sich oft in seinem Selbstmitleid gebadet. Hin und wieder macht er es heute noch. Er ist in den Kreis des Vergessens, des Armuts geraten.
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Seine Familie schämt sich zu sehr für den Mann, um noch Kontakt zu halten, seine Freunde drehten sich um, zeigten ihm den Rücken, als er ohne Hab und Gut vor ihrer Tür stand. Er hatte eben Pech und mit diesem Pech muss er alleine zurechtkommen. Zu lange sitzt er an seiner Ecke, um sich aufzurappeln und wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Zu sehr verletzten ihn die Worte der Menschen, die seine Situation nicht verstanden, um an die Worte zu glauben, die ihm Menschen sagten, die es gut mit ihm meinten. Fünf Euro hat er heute verdient. Fünf Euro für sein Flehen, für sein Spiel auf seiner Mundharmonika, die eher traurige Lieder erklingen lässt, als fröhliche, heitere. Um diese fünf Euro wird er sich zwei Wurstsemmeln und ein Getränk kaufen können. Er wird dankbar sein, dankbar wird er an die Leute denken, die ihm es möglich gemacht haben, sich dieses Mahl zu gönnen. Es ist nicht alle Tage so, dass er etwas verdient.
Manchmal ist es sogar mehr, manchmal ist es nichts. So teilt er sich seinen „Lohn“ ein – er hat es in all den Jahren gelernt, sich sein Geld einzuteilen. Und er fragt sich, ob es nicht zu spät ist, daraus gelernt zu haben, sich das Geld einzuteilen. Oft fragt er sich, aus welchem Grund er das nicht schon in dieser Zeit tat, als er noch wohlhabend war. Genug gab er seiner Frau die Schuld – seiner Exfrau – die sich ab und zu gerne neu einkleidete. Nein, diese Schuld muss er selbst tragen. Nicht seine Frau führte ihn zur Spielsucht, sondern er selbst tat es. Das letzte Spiel war eben etwas übertrieben gewesen, er konnte – er wollte nicht aufhören, war sich seines Sieges sicher, setzte sein Haus und seinen Wagen aufs Spiel, verlor, konnte seiner Frau nicht mehr genug geben, wurde arbeitslos und war zu dickköpfig um eine gewöhnliche Arbeit anzunehmen. Dann wurden die Chancen immer weniger, es blieb ihm nur mehr seine Ecke, seine geliebte Ecke, wo ihn keiner vertrieb.
Niemand kannte ihn mehr, er war alt geworden. Seine Haare, die einmal gepflegt und gekürzt waren, trug er nun schulterlang, waren verschmutzt, und er schnitt sie mit einer alten Rasierklinge, die er einmal gefunden hatte zu dieser Länge. Auch sein Bart wurde so geschnitten. Er musste niemanden mehr gefallen, musste sich nur mehr durchs Leben kämpfen. Den Sinn des Lebens hatte er längst verloren.
Einmal kam ein Junge zu ihm. Er war so um die acht Jahre alt, ein aufgeweckter Knirps. Der Junge sollte im Auto auf seine Mutter warten, die einen Einkauf tätigte, doch er war zu aufgeweckt, um still zu sitzen, wollte raus und die Welt erkunden. Eher das, was draußen vor sich geht. Da entdeckte er den Bettler und setzte sich ohne Worte neben ihm. Der Bettler wandte sich erstaunt zu ihm, mit Zögern fragte er den Knirps: „Sag, fürchtest du dich nicht vor mir?“ Der Junge antwortete: „Wovor soll ich mich fürchten? Sag, wie ist das, wenn man arm ist?“ Der Bettler roch an den Duft des Jungen. Frisch gebadet, seine Mutter muss einen großen Wert auf Pflege haben. „Tja, ich würde dir empfehlen, die Schule brav abzuschließen und etwas Ordentliches zu lernen. Und niemals im Leben das Kartenspielen anzufangen!“ Der Junge sah ihn fragend an. Er verstand es noch nicht, weshalb er niemals Karten spielen sollte. Aber er stellte wieder eine Frage: „Sag, wie heißt du eigentlich, wie bekommst du Geld? Hast du Freunde?“ Er wollte wissen, wissen, wissen. Konnte sich mit seinen Fragen nicht mehr zügeln. „Na, na, na“, antwortete der Bettler, „du solltest nicht so viele Fragen stellen. Wie heißt du eigentlich?“ „Ich bin der Tobias. Aber …“ Der kleine Junge wurde von den Rufen seiner Mutter unterbrochen. Doch er konnte sich gerade noch erheben, als sie ihn entdeckte. Schockiert kam die Frau entgegen und schimpfte gleich darauf los: „Was machst du ganz alleine bei diesem Kerl, Tobias? Hab ich dir nicht gesagt, dass du im Auto warten sollst? Ich habe dir doch gesagt, dass du warten sollst.“ „Aber Mama, …“, wollte der Junge erwidern, doch seine Mutter unterbrach ihn, dass er endlich kommen solle. Da erkannte der Bettler seine Frau. Seine Exfrau. Sie war die Mutter des Kindes! Ob es sein Kind war? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Ob sie ihn wieder erkannte? Er hat sich in all den Jahren so stark verändert, dass sie ihn sicher nicht mehr erkennen würde. Vielleicht wollte sie ihn nicht mehr kennen. Es ist eben viel zu spät. Die Frau sah den Bettler an. Musterte ihn von oben bis nach unten, war beschämt, sah dabei kurz in seine Augen, und er hatte das Gefühl, als ob sie noch wisse, wer er war. Als sie sich mit ihrem Sohn abwandte und zum Auto eilen wollte, rief ihr der Bettler noch nach: „Miss, eine Frage: Hat der Sohn einen Vater?“ Die Frau drehte sich überrascht um und meinte erschrocken und spontan: „Nein, den hat er schon bei seiner Geburt verloren.“ Und weg waren sie.
Am nächsten Tag saß der Bettler wieder an seiner Ecke. Mit seiner Mundharmonika, wartete auf Spenden, auf etwas Geld, das ihm die Leute zuschmissen. Er war wie immer, müde und erschöpft, doch er hatte etwas Strahlendes an sich, etwas Erleichtertes, Stolzes. Es war gestern sein Sohn gewesen; sein Sohn, von dem er acht Jahre nichts wusste, nicht wusste, dass es ihn gab. Und gestern hatte ihm das Schicksal diese kleine Freude gegeben. Er wusste, dass es ihm gut ging, bei seiner Mutter und er wusste, dass er dazu beigetragen hatte, ihm dieses Leben zu schenken.
(Umo)