Nach Köln: Die Erde bleibt eine Scheibe, aber es gibt Hoffnung

Hat Köln am Flüchtlingsdiskurs etwas verändert? Einerseits nein: De üblichen Verdächtigen verharren in ihren Schützengräben. Andererseits ja: Für die Medien könnte es ein heilsamer Schock gewesen sein.

Am vorhersehbarsten war natürlich die Reaktion der rechten Recken: Sie haben´s ja schon immer gewusst. Nicht nur, dass die Zuwanderer gefährlich sind, sondern auch, dass die Medien lügen. Die dreiste Vertuschung durch die Polizei auf Druck der Politik und die verspätete Berichterstattung der Medien sind für die Demokratie in der Tat ein Desaster, dessen Ausmaß noch gar nicht abzusehen ist. Zu befürchten ist zudem, dass nun auch andere Verschwörungstheorien neue Anhänger gewinnen.

Gemäß dem Spruch „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass du nicht verfolgt wirst“ hatten die Rechten also diesmal Recht. Ansonsten bleiben sie in Wort und Tat jedoch hasserfüllt und gewalttätig wie immer, und tragen daher nichts zur Lösung bei. Die gesellschaftliche Mitte schweigt wie gehabt, sie weiß nicht, was sie denken soll und hofft einfach, dass alles nochmal gutgeht.

Interessanter sind daher die Reaktionen der Träger der „Willkommenskultur“. Für sie war Köln definitiv der SuperGAU, und die erste Reaktion war entsprechend Fassungs- und Sprachlosigkeit. Zu den sympathischeren Reaktionen gehörte ein glaubwürdiges Entsetzen und zumindest ein Andeuten von Lernfähigkeit: „Wir mussten in den letzten Tagen schmerzvoll lernen, dass die vielgerühmte Willkommenskultur von einigen ausgenutzt wird“, beginnt der Kommentar von Anja Reschke in der ARD am 8. Jänner. „Die Übergriffe von Köln waren furchtbar. ... Sie haben gezeigt, dass die Sache mit der Integration verdammt schwer wird. Für uns alle. Vielleicht haben wir uns das zu schöngeredet.“

Mit der trotzigen und selbstverständlich rein rhetorischen Frage „Aber knicken wir jetzt ein?“ geht Reschke jedoch schon wieder in die Offensive, wenn auch mit erstaunlichen Argumenten. „Wenn wir den Rechtsruck mitmachen, den einige unserer Nachbarländer schon vollzogen haben, dann geben wir all das auf, was wir erreicht haben“, schreibt sie uns ins Stammbuch – und das eine Woche, nachdem Frauen in Deutschland gerade etwas aufgegeben haben, was schon weitgehend erreicht zu sein schien, nämlich: gefahrlos in der Innenstadt feiern zu können. „In Polen ist man gerade dabei – getragen von Angst vor Fremden – Medien und Justiz einzuschränken.“ Auch dieser Satz ist seltsam, wenn man bedenkt, dass sich die deutschen Medien gerade selbst eingeschränkt haben. Noch dazu hat die Knebelung von Medien und Justiz in Polen rein gar nichts mit der Angst vor Fremden zu tun, sondern schlicht mit der beabsichtigten Schwächung der Opposition.

„Es ist so verlockend einfach, jetzt den Rufen der Rechtspopulisten zu folgen. Aber wenn wir das tun“, bekommt Reschkes Stimme nun einen drohenden Unterton, „dann verlieren wir unsere Freiheit“. Was genau sie damit meint, sagt sie nicht, doch auch diese Passage ist bizarr, wurden in Köln doch gerade Freiheiten aufgegeben.

Eine andere Gruppe hält sich erst gar nicht mit Empathie für die betroffenen Frauen auf (viel mehr leidet sie darunter, so scheint es, dass nun die „Rassisten“ neue Munition bekämen), sondern geht gleich in den Empörungs- und Beschimpfungsmodus. So sind Bernhard Heinzlmaier die Kölner Frauen im standard genau einen Satz wert: „Keine Frage, die Übergriffe sind zu verurteilen“, eher er das befreiende „aber“ setzt. Nun legt er ausführlich dar, was ihm wirklich wichtig ist. Im Prinzip lassen sich seine Ausführungen aber so zusammenfassen: „Die Erde ist trotzdem eine Scheibe!!! Und im übrigen könnt ihr mich alle!!!“

Andere machen sich zumindest die Mühe, sich ein Gegenargument zu überlegen. In der Regel lautet es, dass Köln in Sachen Übergriffe auf Frauen und Inbesitznahme des öffentlichen Raumes nichts Neues war, sondern dass so etwas ja ständig passiere. In der Regel folgen nun Jahresstatistiken über Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen in Köln oder Deutschland, die dann mit dem, was in Köln in wenigen Stunden passiert ist, verglichen werden (siehe Jürgen Todenhöfer auf Facebook oder die feministische Initiative #ausnahmslos). Oder es kommt wieder einmal das Oktoberfest zu Ehren. Was man damit jeweils sagen will: Die einheimischen Männer sind doch genauso schlimm!

In diesem Sinn widerspricht auch Doris Knecht im online-Kurier zunächst energisch einer Behauptung, die allerdings niemand aufgestellt hat: „Denn so zu tun, als wären Frauen vor den Ereignissen von Köln sicher gewesen und keinerlei Gefahr ausgesetzt, als hätte es sexuelle Gewalt gegenüber Frauen zuvor nicht gegeben und als gehe die Gefahr ausschließlich von Zuwandern aus: Das ist schlicht und einfach falsch.“ Und ist im Übrigen danach höchst erzürnt darüber, dass sie der Verharmlosung sexueller Übergriffe geziehen wird.

Mit diesen rhetorischen Tricks hat man die Diskussion nun endlich dort, wo man sie haben will. Folgerichtig waren die Plakate bei der Anti-Sexismus-Demo in Köln bizarrerweise auch nur auf Deutsch formuliert – obwohl die Täter von Köln doch arabisch und französisch sprachen. Für die Haltung „Da ich Flüchtlinge nicht kritisieren kann, pflaum’ ich halt die Deutschen an“ braucht es allerdings ein enormes Maß an Chuzpe.

Die Willkommenskulturys schaffen es einfach nicht, anzuerkennen, dass Köln eine neue Dimension sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum darstellte. Oder wie es Samuel Schirmbeck in der FAZ formulierte: „Der Unterschied (zum Oktoberfest, Anm. PN) liegt darin, dass sexuelle Gewalt in Nordafrika und im Nahen Osten zum Alltag gehört und dass in dieser Hinsicht dort permanent ‚Oktoberfest’ und ‚Karneval’ ist, denen sich keine Frau entziehen kann, indem sie diese Veranstaltungen meidet.“

Es geht hier um kulturell bzw. religiös erlernte Einstellungen, die nun auch in Europa wirksam werden. Wer das kulturell Besondere nicht anerkennt, kann auch nicht entsprechend gegensteuern. Man hält im wahrsten Sinne des Wortes einem Arabischsprachigen ein deutschsprachiges Plakat vors Gesicht. Das Denken der Willkommenskulturys hat somit schon etwas Autistisches, womit sie für eine fruchtbringende Diskussion fast denselben Totalausfall darstellen wie die rechten Recken.

Aber es gibt Hoffnung: Die mediale Berichterstattung, auch von ARD und ZDF, war in den letzten Wochen in Ordnung. In Österreich sind viele luzide Artikel zum Thema erschienen, (Judith Belfkih in der Wiener Zeitung, besonders berührend: Bianca Tschaikner im Falter). Es schien, als wäre vielen Journalisten eine Last von den Schultern gefallen – die Last des „Nur ein falsches Wort und unser Publikum verwandelt sich in einen fremdenfeindlichen Mob“.

Das ist gut für die Demokratie und gut für das Publikum – letzteres ist nämlich gewöhnlich differenzierungsfähiger als die selbsternannten medialen Pädagogen glauben.

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