Bauer-Sein heute: Auf der Suche nach der neuen „Bodenständigkeit“

In der vierten Klasse Volksschule hat uns die Lehrerin gefragt, was wir später einmal werden wollen. Damals, Ende der 1970er-Jahre gab ich zur Antwort „Knecht beim Unterrain-Bauern“, meinem zweiten Zuhause in Kindheitstagen. Etwas Erfüllenderes konnte ich mir nicht denken und logisch war es auch – Bauer konnte ich ja nicht werden, ich hatte schließlich keinen Hof. Dass mich meine verehrte Lehrerin etwas verständnislos ansah dabei und die Klassenkameraden mich wohl auch ein bisschen mitleidig auslachten, verstand ich zwar nicht, aber es verunsicherte mich nicht weiter. Wenn ich heute mehr als 40 Jahre später mit jungen angehenden Hofnachfolgern rede, dann ist von Freude und Zuversicht leider oft wenig spürbar. In den zur Schau getragenen Zweckoptimismus und Standesstolz mischen sich unverkennbar Zweifel und Zukunftsängste. Ehrlich gesagt, kann ich das sehr gut verstehen. Will man heute noch aus ganzem Herzen Bauer werden?

Bodenständigkeit?

Ich denke, dass viele Bauern heute eine Art Entwurzelung erfahren. Sie spüren, dass Altes, nicht mehr Tragfähiges sich ihnen entzieht. Ihre Bodenständigkeit steht auf gefährdeten Füßen und weiß noch nicht, wohin es gehen soll. Ich meine zuallererst den gesicherten Boden, wo der Bauer innerhalb der Gemeinschaft zum Stehen kommt und der die Basis sein muss für das bäuerliche Selbstverständnis. Was mit Image, Ansehen, gesellschaftlicher Akzeptanz, mit dem Bild, das die Gesellschaft vom Bauern hat, nur unzulänglich beschrieben ist. Die Bauern hören es freilich nicht gern, aber hier auf diesem immer wieder vom Zeitgeist umgepflügten „Boden“ entscheidet sich ihre Zukunft weit mehr als auf ihren realen Äckern, Wiesen und Weiden.

Jungbauer, Bauer und Altbauer - drei Generationen - wohin geht der Blick?

Mag das für viele Bauern nur bedrohlich klingen, sehe ich schlicht eine unumgängliche Aufgabe und nicht weniger als eine historische Chance darin. Dazu ist es zunächst notwendig, dass sich Bauern von so manchem verabschieden. Die althergebrachte, traditionelle, unhinterfragte, bäuerliche Identität zum Beispiel. Zusammen mit dieser müsste meines Erachtens einiges den Bach runter gehen, dem man nicht unbedingt viele Träne nachweinen wird: Nicht-über-den-Tellerrand-schauen-Wollen, eine gewisse Sturheit, enden wollende Flexibilität und Innovationsbereitschaft zum Beispiel. Leider sehe ich vor allem bäuerliche Standesvertreter noch immer viel zu oft mit diesen althergebrachten „bäuerlichen Tugenden“ gewappnet und einer „Mia san Mia“-Mentalität auf das gesellschaftliche Spielfeld auflaufen.

Anders als dem FC Bayern bleibt dem „FC Bauern“ aber die Champions League seit vielen Jahren verwehrt. Welche bäuerliche Stimme wird heute im medialen Konzert wirklich gehört? Was, wie ich zu zeigen versuche, auch an einem unzeitgemäßen Selbstverständnis liegt, einer nur mehr scheinbaren „Bodenständigkeit“. Man verstehe mich bitte nicht falsch! Ich will keine pauschale Bauernbeschimpfung betreiben. Ganz im Gegenteil: Ich kenne und liebe meine Bauern, mir geht das Herz auf, wenn ich bei ihnen im Stall auf dem Feld oder wo auch immer mit ihnen ins Gespräch komme. Gerade weil mein Herz für den Bauernstand schlägt, sagt mir mein Kopf, dass ich ihm unverblümt ein paar „Wahrheiten“ an seinen Kopf schmeißen muss.

Bauer öffne Dich!

Der „neue Bauer“ wird sich – und da bin ich mir absolut sicher – selbst auf die Suche nach seiner neuen Bodenständigkeit machen müssen. Und zwar indem er sich öffnet. Dem Gespräch zuerst. Etwas, das er nie recht gelernt hat. Dem Gespräch mit dem ganz „Anderen“, den Anderen. Das sind für den „gestandenen Bauern“ oft genug schon die anderen Bauern. Der Volksmund ist da nicht zimperlich in seiner Ausdrucksweise, wenn er spottet, dass man erst zwei Bauern erschlagen müsse, bevor man drei unter einen Hut bringt. Wenn aber Bauern untereinander schon zu wenig miteinander reden, wie kann das Gespräch mit den „normalen“ Bürgern gelingen, die den Bauern letztlich ihre Produkte abkaufen? Wo und wie kommen Bauern gar mit den „Influencern“ der Gesellschaft, wie es neudeutsch heißt: mit Journalisten, Bloggern, Intellektuellen, Künstlern, Denkern, spirituell Suchenden, ins Gespräch?

Bauer, öffne Dich!

Wer kennt Bauer Willi?

Ich könnte auch fragen, wer kennt ihn nicht? Bauer Willi, obwohl offiziell bereits Ruheständler, steht für mich beispielhaft für den neuen Typ Bauern, der diesen schwierigen, oft mühsamen, manchmal gewiss frustrierenden, aber in Summe höchst befruchtenden und immer wieder inspirierenden Weg vorgeht. Es müssen nicht alle Bauer Willis werden. Es müssen auch nicht alle Bauern alle Möglichkeiten nutzen, die die sozialen Medien bieten. Es müssen nicht alle nebenher zum Blogger werden – das meine ich nicht. Aber wie Willi in seinen Vorträgen nicht müde wird zu betonen, jeder Bauer kann und sollte sich bewegen. Jeder kann und sollte sich einer Bewegung, die auf ihn zukommt, nicht länger entziehen, so feindlich sie eventuell auch zunächst empfunden wird. Diese Bewegung ist eine gesamtgesellschaftliche. Sie ist Ausdruck einer fundamentalen Verunsicherung und basiert auf vollkommener Entfremdung. Sie schreit am lautesten in den sozialen Medien, aber auch „auf der Straße“, wo sie sich zusehends Gehör verschafft.

Bauer Willi auf seiner Vortragstour in Oberösterreich

Veganer, Tierrechtsaktivisten, Klimakatastrophen-Apokalyptiker oder auch von diversen Food Trends Ergriffene sind es, die hier ihre Breitseiten gegen die Landwirtschaft abschießen – und ihr „Feuer“ wird vom oft unreflektierten Echoeffekt vervielfacht. Nicht wenige NGOs haben meines Erachtens längst berechtigte Kritik an gewissen landwirtschaftlichen Praktiken und Auswüchsen mit einer einträglichen Sündenbockstrategie vertauscht und beteiligten sich ebenfalls fleißig am undifferenzierten Bauernbashing. All das ist Fakt und all das nimmt zu. Nimmt auch deshalb zu, weil die Bauern zu wenig dagegen tun, davon bin ich zu tiefst überzeugt. Zu wenig und/oder das Falsche: Sich über unzulässige Pauschalverurteilungen beschweren, beleidigte Leberwurst spielen oder gar selbst beleidigen und/oder sich wie ein Igel in Verteidigungshaltung begeben wird nicht reichen!

Was ich mir für und von unsere(n) Bauern wünsche

Der offene Bauer beginnt damit, dass er seine Bauern-Blase verlässt. Dass er sich umsieht in der Welt. Dass er mit der alten gewachsenen bäuerlichen Zuversicht ein neues Kapitel aufschlägt. Dass sich seine anfängliche Irritation in der Begegnung mit dem „Fremden“ in Inspiration verwandelt. Dass diese Inspiration als gegenseitig erfahren wird, dass man einander sucht. Das ganz Fremde will sich endlich kennenlernen. In diesem Boden werden die neuen bäuerlichen Wurzeln zu einer neuen Bodenständigkeit vordringen. Gegen Widerstände, eigene und äußere, die werden nicht ausbleiben. Das wünsche ich unseren Bauern und uns allen. Nur dann, davon bin ich überzeugt, werden zukünftige Hofübernehmer mit fester und sicherer Stimme schon in der Volksschule auf die entsprechende Frage antworten können: „Ich will Bauer werden!“

Dieser Blog erschien zuerst auf der Webseite von Land schafft Leben und im Rahmen einer Kooperation zeitgleich in der Ausgabe Nr. 22 des Landwirtschaftlichen Wochenblatts.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Tourix

Tourix bewertete diesen Eintrag 14.04.2018 02:19:38

baur peter

baur peter bewertete diesen Eintrag 13.04.2018 19:15:20

12 Kommentare

Mehr von Peter Fuchs