Bist du Vegetarier oder isst du „nur“ kein Fleisch?

Nein, die Frage ist nicht sinnlos.

Im ersten Fall definiere ich einen ganz wesentlichen Aspekt meiner Persönlichkeit über meine Ernährung. Ich fühle und bezeichne mich als Vegetarier, gehöre damit einer genau definierten Gruppe an, unterwerfe mich aus meiner Sicht höheren ethischen Ansprüchen an meine Ernährung, verfolge damit womöglich weitreichende Ziele, zu deren Erfüllung mir die Mitwirkung möglichst vieler, wenn nicht sogar aller anderen Menschen wünschenswert erscheint. Mit anderen Worten: Vegetarier bin ich (zumeist) nicht nur für mich allein.

Gelebter Vegetarismus und seine verschärfte – manche sagen konsequente – Ausdehnung hin zum Veganismus tendiert deshalb zum Missionieren mit den sattsam bekannten Folgen für das soziale Umfeld des Vegetariers/Veganers: Mein Ernährungsstil wird zur Ideologie, wird moralisch überfrachtet, oft geradezu religiös aufgeladen.

Bilder wie dieses transportieren die gefühlte moralische Dimension fleischloser Ernährung eindrucksvoll

Im zweiten Fall hingegen...

verzichte ich ganz einfach auf den Genuss von Fleisch und mache weiters kein großes Aufhebens davon. Ich esse kein Fleisch. That’s it.

Als einer, der ab und zu Fleisch isst - ohne deshalb schon ein Fleischesser zu sein! - mache ich kein Hehl daraus, dass mir der letztere Typus sympathischer ist. Als mitfühlendem Menschen macht er es mir leichter mich für ihn und seine „Ernährungs-Marotte“ zu interessieren. Er erscheint mir zwangloser und deshalb auch gesünder, sowohl für sich selbst als auch seine Umgebung. Leider ist er nach meiner Erfahrung weit seltener.

Meine 17 jährige Tochter beispielsweise ist so ein Typ.

Sie isst seit zwei Jahren kein Fleisch mehr. Die vegetarische Moralkeule zu schleudern, ist ihr in dieser Zeit aber nicht eingefallen. Wenn ich sie frage, warum sie kein Fleisch isst, bekomme ich Antworten, wie sie mir wohl auch ein gestandener Vegetarier geben könnte: Wie Tiere gehalten und getötet werden, findet sie schlicht nicht ok. „Wie“ wohlgemerkt, nicht „dass“. Sie, die Nutztiere, tun ihr Leid und deshalb hat sie für sich selbst diese Konsequenz gezogen. Ob sie dann aber nicht streng genommen vegan leben müsste, frage ich weiter. Das mag schon sein, aber vegan wolle sie nicht leben. Es sei sehr schwierig, vielleicht sogar gesundheitsschädlich, man müsse sich extrem gut auskennen und außerdem liebe sie Käse. Tja, meine Tochter, genauso konsequent und eisern wie ihr Vater, habe ich mir gedacht…

Meine Tochter isst also kein Fleisch mehr.

Für mich ist das total ok. Ich kann ihre Beweggründe sehr gut nachvollziehen. Wir reden entspannt über das Thema. Meine einschlägigen Erfahrungen als Almhirt, welche sie als Kind ja zeitweise geteilt hat, bringe ich ebenso ein, wie meine Eindrücke aus erster Hand, sprich von meinen Filmdrehs aus Ställen, Schlachthäusern, meinen Gesprächen mit Bauern und Verarbeitern. Sie liest meine Blogs zum Thema und findet sie interessant. Sie hat noch nie versucht mich zum Fleischverzicht zu bekehren. Sie macht mir keine Vorhaltungen. Sie hat auch kein Problem mit der versammelten Familie beim Festbraten zusammen zu sitzen und verspürt offenbar keinerlei Verlangen, den Fleischessern die Lust zu verderben durch vegetarische Predigten. Meine Tochter ernährt sich fleischlos, sie tut es aus den grundsätzlich selben Motiven heraus, wie es auch Vegetarier tun und trotzdem verhält sie sich ganz anders als diese. Warum?

„Sendungsbewusstsein“ häufig ein Indiz für fehlende innere „Gelassenheit“

Es gibt eine Reihe sehr guter Gründe kein Fleisch zu essen. Ich behaupte gleichzeitig: Es gibt eine Reihe sehr guter Gründe Fleisch zu essen. (Ich will an dieser Stelle nicht im Detail auf die jeweiligen Gründe eingehen. Wen es interessiert, am Ende des Beitrags habe ich zwei Blogs von mir verlinkt, die sich genau damit befassen. An dieser Stelle dazu nur zwei Aussagen: Fleisch ist nicht gleich Fleisch und die Dosis macht das Gift.)

Ich behaupte also etwas und gleichzeitig scheinbar (!) das Gegenteil davon. Ich kann so der Entscheidung kein Fleisch zu essen sehr viel abgewinnen, mich entspannt in einer Diskussion den Argumenten für Fleischverzicht aussetzen und ebenso entspannt zustimmen, oder gegebenenfalls aus einer anderen Perspektive, einer anderen Erfahrung heraus, dagegen halten. Ich kann das, weil ich ein unaufgeregtes, nicht ideologisches Verhältnis zu meinem sehr selektiven und bewussten Fleischkonsum habe (zumindest meistens!). Ich schließe für mich auch gar nicht aus, dass ich eines Tages selbst den Fleischverzicht leisten könnte. Vielleicht aber auch nie. Diese Frage beschäftigt mich gar nicht.

ein kleiner Test auf Gelassenheit: Findest du das Bild noch witzig oder schon anstößig?

Ich esse zurzeit moderat und ausgewählt Fleisch. Das geht in Ordnung für mich. Niemals würde ich auf die Idee kommen, mich vor mir oder auch jemand anderen dafür großartig zu rechtfertigen. Und dabei weiß ich, dass es ganz und gar nicht egal ist, ob ich und welches und wieviel Fleisch ich esse. Dass es nicht egal ist, ob ich mich dafür interessiere, wie das Fleisch auf welchen Wegen zu mir auf den Teller gekommen ist. Das ist alles wirklich wichtig. Ich könnte auch sagen: ich fühle mich nicht sündig ob meiner Fleischeslust, ich verspüre keinen Drang diese zu beichten, mir von wem oder was auch immer die Absolution zu holen. Ich könnte auch sagen: ich koche und esse (zumeist!) mit Gelassenheit. Gelassenheit, nicht Gleichgültigkeit!

Genau diese Art Gelassenheit spüre ich auch bei meiner Tochter, die kein Fleisch isst und vermisse ich oft bei „eingefleischten Vegetariern“. Die Anhänger des Vegetarismus und seiner Speerspitze, des Veganismus begegnen mir in ihren Aussagen, ihren Statements, ihren öffentlichen Kommentaren und im privaten Gespräch häufig so wenig gelassen, unentspannt. Sie begegnen mir mit diesem „heiligen“ Eifer, der (zumindest in mir) eher Unheiliges befördert und herauf beschwört.

Hohe "Rückfallquote": Religionszugehörigkeit überwiegend nur auf Zeit

So felsenfest überzeugt einer zum Vegetarismus oder gar Veganismus Bekehrter sich auch geben mag, einschlägige Untersuchungen sprechen eine klare Sprache: Die Bekehrung hält in der überwiegenden Mehrzahl nicht ein Leben lang. Auf Vegetarismus oder Veganismus „Getaufte“ werden sehr häufig rückfällig. Erhebungen aus den USA belegen, dass 86 % der Vegetarier und ca. 70 % der Veganer früher oder später zu den sprichwörtlichen Fleischtöpfen zurückkehren. Für mich ein weiteres Indiz dafür, dass mit dem nach außen zur Schau gestellten missionarischen Eifer die innere Übereinstimmung, Ruhe und Gelassenheit häufig nicht Hand in Hand gehen. Freud würde gesagt haben: Vegetarier und Veganer sind oft „schlecht getauft“…

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