...und er schreibt einen Wutbrief, adressiert an den „lieben Verbraucher“. Dieser Brief und sein Verfasser, der Bauer Willi, haben seither in unserem nördlichen Nachbarland bemerkenswerte Wellen geschlagen. So war Willi etwa bei Günther Jauch im Talk zu Gast. Mittlerweile kann man seine Gedanken sogar in einem recht dicken Buch mit dem schönen Titel „Sauerei“ nachlesen. Einer seiner bekanntesten Aussprüche lautet: „Wer für € 2,79 ein Hähnchen kauft, der gibt an der Supermarktkasse das Recht ab, sich über Massentierhaltung aufzuregen!“
Diesen streitbaren Bauern aus dem Rheinland, der auf seiner viel besuchten Webseite das Motto ausgibt und lebt: „Lieber Verbraucher – Wir wollen Dialog“ haben wir von Land schafft Leben zu uns nach Schladming eingeladen. Wir wollten mal reden mit dem Willi, uns beschnuppern. Ich persönlich habe in Dr. Willi Kremer Schillings – ja der Willi ist ein „gschtudierter“ Bauer – einen herzlichen, offenen, neugierigen Menschen mit großem Sachverstand kennen gelernt, der zu vielen Dingen zwar eine dezidierte, aber alles andere als einzementierte Ansicht hat, die er eloquent und mit viel Humor verteidigt, wo nötig, die er aber auch gern angesichts guter Argumente zu hinterfragen bereit ist. Ob er darin typisch für seinen Berufsstand ist, lasse ich mal dahin gestellt. Dass er eine Bereicherung ist, der Bauer Willi, als bäuerliche Stimme im öffentlichen Diskurs, das getraue ich mich ohne alle Einschränkung zu behaupten.
Für alle, die den Bauer Willi noch nicht kennen, darf ich mit ausdrücklicher Genehmigung desselben hier seinen berühmt-berüchtigten Brief wiedergeben.
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Lieber Verbraucher
Heute habe ich dermaßen die Schnauze voll. Habe heute Morgen die Abrechnung meines Nachbarn von Pommes-Kartoffeln außerhalb des Vertrages gesehen: 1 LKW = 25 t = 250 €. Für die, die nicht rechnen können: das ist 1 Cent pro Kilogramm! Und was 1 Kilo Tiefkühl-Pommes kostet, wisst ihr ja. Irgendeiner macht sich da gewaltig die Taschen voll. Dann habe ich im Internet die Preise an der MATIF für Getreide und Raps für 2015 gesehen. Und gelesen, dass die Hersteller von Dünger die Preise deutlich angehoben haben. Konsequenz: mir werden in diesem Jahr wohl 25% Gewinn fehlen werden. Wenn´s reicht! Aber mir reicht´s! Drum habe ich mich entschlossen, dir, dem Verbraucher diesen Brief zu schreiben:
Billig
Du, lieber Verbraucher, willst doch nur noch eines: billig. Und dann auch noch Ansprüche stellen! Deine Lebensmittel soll genfrei, glutenfrei, lactosefrei, cholesterinfrei, kalorienarm (oder doch besser kalorienfrei?) sein, möglichst nicht gedüngt und wenn, dann organisch. Aber stinken soll es auch nicht, und wenn organisch gedüngt wird, jedenfalls nicht bei dir. Gespritzt werden darf es natürlich nicht, muss aber top aussehen, ohne Flecken. Sind doch kleine Macken dran, lässt du es liegen. Die Landschaft soll aus vielen kleinen Parzellen bestehen, mit bunten Blumen und Schmetterlingen. Am liebsten wäre es Dir wahrscheinlich, wenn wir noch mit dem Pferd pflügen würden. Sieht doch so nett aus und Pferde findest du so süß! Und die Trecker würden dich auch nicht beim Joggen auf unseren Wirtschaftswegen behindern.
Null Ahnung
Du hast keine Ahnung und davon ganz viel. Ist dir eigentlich bewusst, dass wir Landwirte von unserer Hände Arbeit leben müssen? Dass auch wir Anspruch auf Urlaub haben, (den wir selten genug machen), dass auch wir Kinder haben, die genau wie deine, ein Smartphone haben wollen und Designerklamotten? Und studieren wollen? Wie sollen wir das den leisten, wenn wir unsere Produkte verramschen (müssen)?
Erkläre du mir mal, wie ich anders reagieren kann, als mit noch mehr ausgefeilter Technik einen noch höheren Naturalertrag zu erwirtschaften. Klar kann ich auf Bio umstellen, aber da bekomme ich genau das an Mehrerlös, was ich an Minderertrag habe. Und von einem „guten Gefühl“ allein kann ich nicht leben. Darüber lässt sich gut reden, wenn man davon keine Familie ernähren muss.
Formulare
Und was mir noch gewaltig auf den Zeiger geht: Für jeden Scheiß, den ich mache, kann ich ein Formular ausfüllen, werde von Satelliten überwacht ob meine Feldgrenze auch auf den Zentimeter genau eingehalten wird, muss jedes Kilo Dünger aufschreiben, damit das von Kontrolleuren nachgerechnet werden kann. Dafür, dass meine Produkte auf Rückstände untersucht werden, bezahle ich selbst. Natürlich findet man nichts, aber ist ja Vorschrift. Wie bei BSE damals. Noch heute werden dafür jährlich 400 Mio. ausgegeben. Weißt Du, wie viele Menschen an BSE in Europa gestorben sind? Keiner, nicht ein einziger! Wieviel waren es bei der Vogelgrippe, wie viele bei der Schweinepest? Aber wir kontrollieren uns zu Tode. Was ist eigentlich aus dem Waldsterben geworden? Im kollektiven Gedächtnis bleiben immer nur die (oft vermeintlichen) Katastrophen hängen. Und wir Bauern sollen es wieder gewesen sein. Da ist keiner, der es wieder zurechtrückt. Wir Bauern dürfen die Scherben alleine zusammenkehren.
Wert
Und dann noch was: dir sind Lebensmittel nichts wert. Sonst würdest Du nicht so viel wegschmeißen. Und: Mindesthaltbarkeitsdatum heißt nichts anderes, als dass es bis zu diesem Datum mindestens haltbar ist. Ich esse den Joghurt auch noch eine Woche danach. Mindesthaltbarkeitsdatum bei Haferflocken: Was soll der Schwachsinn? Leute, das ist gequetschtes Getreide. In den ägyptischen Pharaonengräbern hat man Getreidekörner gefunden, die waren 3000 Jahre alt. Wahrscheinlich muss ich demnächst bei meiner selbstgemachter Marmelade auch noch einen Stempel drauf machen…
Regional
Du sagst, du würdest regional einkaufen? Stimmt doch nicht! Wer kauft denn jetzt, im Januar (!) die Weintrauben aus Chile, den Spargel aus Südafrika, die Mangos aus Brasilien und Äpfel aus China? Du doch! Sonst würden die beim REWE das längst nicht mehr anbieten. Aber unsere Möhren bleiben liegen. Schon mal was von Wirsing gehört, oder Weißkohl? Nein, Artischockenherzen müssen es sein. Falls du dein Essen überhaupt noch selbst zubereitest! Es gibt in der Tiefkühltheke ja so viele leckere Fertiggerichte mit so viel leckeren Zutaten wie E 222 = Natriumhydrogensulfit oder E 310 = Propylgallat. Da klingt ja schon der Name eklig.
Qualität
Auch sonst behauptest du viel: dass Du auf Qualität achtest, dir die Inhaltsstoffe auf der Packung jedes Mal durchliest, auf Nachhaltigkeit achtest und überwiegend fair einkaufst. Alles Quatsch: was du liest sind die Wurfzettel vom Discounter: 10 Eier für 1 Euro. Jetzt aber schnell los, bevor die weg sind. Freiland-Eier sind teurer? Egal, die billigen sind ja nur zum Backen.
Gefühl
Warum ich das schreibe? Um dir mal ein Gefühl für meine Situation zu vermitteln. Gefühle sind etwas irreales, da gibt es kein richtig oder falsch. Die hat man einfach. Aber das mir manchmal die Lust an meinen Beruf vergeht, kannst Du jetzt vielleicht etwas nachvollziehen. Ich weiß auch, dass wir Landwirte keine Heiligen sind, dass es da auch schwarze Schafe gibt. Aber auch nicht alle Ärzte sind Pfuscher, nicht alle Handwerker Gauner, nicht alle Politiker korrupt und nicht alle Polizisten Schläger. Wir Landwirte wirtschaften aus eigenem Interesse nachhaltig. Das brauchen wir uns von keinem noch so klugen Politiker, noch so schlauem Journalisten oder irgendeinem ahnungslosen Verwaltungsfuzzi sagen zu lassen. Die bekommen ihr Gehalt nämlich jeden Monat, ohne unternehmerisches Risiko.
Statthalter
Ich sehe mich als Statthalter, als Verwalter unseres Hofes, den ich von meinem Vater bekommen habe, um ihn an unseren Sohn zu übergeben. Deshalbunternehme ich alles, um ihn – die Gebäude, die Äcker, den Boden – für die nächsten Generationen zu erhalten. Ja, wir sind Unternehmer. Aber wir sind keine Heuschrecken, wir können (und wollen) nicht weiterziehen, wenn alles abgegrast ist. Wir können (und wollen) unsere Produktionsstätte nicht nach Asien verlagern. Wir bleiben hier. Und produzieren weiter so gut wie wir es können. Und man uns lässt.
Das musste jetzt einfach mal gesagt werden.
Euer Bauer Willi
Wir von Land schafft Leben haben uns entschlossen, diesen Brief, der mittlerweile über 340.000 mal aufgerufen wurde, auch auf unserer Webseite zu bringen, weil wir von vielen heimischen Bauern wissen, dass die darin angesprochene Problematik ganz ähnlich empfunden wird und weil dieser Brief der Auftakt war zu einem bis heute andauernden Dialog zwischen der Landwirtschaft und ihren Verbrauchern. Auch betont Willi ausdrücklich "die Macht des Verbrauchers" und apelliert an diesen als an einen bewusst Entscheidenden. In diesen Anliegen treffen wir uns mit dem Autor. Der bewusst provokative Ton von Willi hat sein Ziel möglichst viele Menschen zu erreichen und zum Dialog - sicher auch teils zum Widerspruch - anzuregen jedenfalls erreicht und erscheint dadurch im Nachhinein gerechtfertigt.
Dieser BLog erschien ursprünglich auf der Webseite des Vereins Land schafft Leben. Wir freuen uns über jeden Besuch und jedes Like auf unserer Facebook-Seite!