EM und Grillsaison. Der Fleischkonsum wird in den nächsten Wochen in die Höhe schnellen.
Ich bin selber passionierter Griller. Letzten Sonntag beim Familiengrillfest: ich gehe in meiner archaischen Rolle als Grillmeister und "Familienernährer" auf, lass mich durch das Grillmeisterbier und mehr noch das herrlich auf den Punkt gegarte Roastbeef vom Tiroler Almochsen inspirieren, während ich in lauter zufriedene Gesichter blicke. Meine vegetarische Tochter sitzt natürlich mit am Grill, genießt ihr gegrilltes Gemüse und den Nudelsalat und hat kein Problem mit uns Fleischfressern. Die Gedanken, die mir dabei gekommen sind, möchte ich heute mit dir teilen.
Wir saturierten Wohlständler haben keinen Fleischbedarf,...
keinen Fleischhunger, wir haben eine (schlechte) Gewohnheit, nämlich die, „schlechtes Fleisch“ zu essen – oder besser gesagt: Fleisch „schlecht zu essen“, nämlich ohne Bewusstsein, ohne Ehrfurcht, ohne (echten) Genuss. Ich sage deshalb „wir“, weil das auch bei mir bis vor gar nicht allzu langer Zeit so war. Heute begegne ich Fleisch wieder mit der ihm gebührenden Achtung. Ausgezeichnete österreichische Fleischprodukte machen mir das leicht, wenngleich natürlich schon erheblich teurer als früher. Ich esse dafür weniger davon. Vor allem in der Gastronomie, wo ich Kellner und Kellnerinnen regelmäßig nerve mit der Gretchenfrage: „Wo habt‘s es denn her?“
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Trendforscher, die natürlich für alles einen treffenden Namen parat haben, bezeichnen solcherart vom Fleischfresser-Saulus zum tierwohl- und umweltbewegten Paulus Geläuterte neuerdings mit dem Kunstwort „Flexitarier“. Wir Flexitarier essen Fleisch nur mehr dann, wenn wir dabei nicht das Gefühl haben müssen, unsere Fleischeslust beruht auf Ausbeutung von Erde, Tier und Mensch in der industriellen Fleischproduktion. Natürlich sind wir dabei nicht so naiv, zu glauben, dass unser bewusster Fleischkonsum die letztgenannte Pest von der Erde tilgt – jedenfalls nicht sofort.
Tierleid, Umweltzerstörung, unmenschliche Arbeitsbedingungen usw. usw. in der industriellen Fleischproduktion feiern natürlich weiterhin fröhliche Urständ. Aber: als massentaugliches Rezept erscheint mir bewusster Fleischkonsum mittel- bis langfristig der mit Abstand erfolgversprechendste Weg raus aus jener Sackgasse. Ja, liebe Vegetarier und Veganer, das glaube ich wirklich! Und ich kann es auch begründen. Übrigens treffe ich mich darin mit keiner geringeren als Österreichs charmantester kulinarischer Botschafterin in Deutschland, Sarah Wiener, die unter dem Titel „Vegan ist auch keine Lösung“ ihr Statement zu veganen Weltrettungsphantasien abgegeben hat.
Als Hauptargument gegen Alternativen zur industriellen Fleischproduktion...
hört man oft reflexartig, mit diesen extensiven Methoden könne der weltweit unheimlich wachsende Fleischbedarf nicht gestillt werden. Folglich gebe es keine Alternativen im großen Stil und all jene Praktiken, die heute immer noch, oder wieder gelebte Realität sind, wie die extensive Weidehaltung, werden als etwas hingestellt, das nur eine Premiumnische bediene, niemals aber den „Fleischbedarf“ der Massen decken werde können. Also, weiter gewirtschaftet wie bisher, schließlich muss dieser Hunger ja gestillt werden.
Aber fragen wir doch mal ein bisschen anders: gibt es diesen „Fleischbedarf“, diesen „Fleischhunger“ überhaupt? Objektive Antwort: Nein! Der Mensch bedarf des Fleisches überhaupt nicht, wie Millionen von Vegetariern und Veganern beweisen. Bedarf ist das falsche Wort. Geschäft trifft’s schon eher. Fleisch, so wie es heute im globalen Stil produziert und gehandelt wird, ist ein Geschäft, schlicht und einfach! Und zwar eines mit ganz ganz wenigen Gewinnern und einer ganzen Latte an Verlierern. Allen voran: „Mutter Erde“, die uns alle ernährt. Der enorme Ressourcenverbrauch der globalen industrialisierten Fleischproduktion ist ganz klar eine Sackgasse! Sollten wir also nicht folgerichtig überhaupt kein Fleisch mehr essen? Und zwar alle, ausnahmslos? Wie es eben jene Gruppierungen längst fordern. Wiederum objektive Antwort: Nein! Das ist die falsche Schlussfolgerung. Ich will noch nicht einmal in den Chor all jener Vernünftigen einstimmen, deren Mantra „Wir müssen weniger Fleisch essen!“ seit Jahr und Tag erklingt. Dass ich nicht besonders glücklich bin über jene, die mit bestem Gewissen mir und allen Tiertötern und Fleischessern ins Gewissen reden: „Ihr dürft überhaupt kein Fleisch mehr essen!“, dürfte inzwischen klar geworden sein.
Ich sage dagegen: Iss mehr gutes Fleisch und iss es so gut wie möglich! Das tut dir gut, dem Tier gut und der Umwelt. Das läuft zwar ebenfalls auf weniger Fleisch hinaus, betont aber viel stärker die aktive Rolle, die mir als Konsument dabei zufällt. Schließlich heißt das, dass ich mich aktiv dafür interessieren muss, woher mein Fleisch kommt, wie es produziert und gehandelt wurde – und: wie ich es am genussvollsten zubereite, wie ich es wieder zu einem kulinarischen Ereignis mache, wie und mit wem ich den Fleischgenuss zelebriere, wie ich ihn „heilige“ (man denke nur an die vielen religiös rituellen Gebräuche rund um Fleisch und den Verzehr davon: das „Festessen“, „das Osterlamm“, „die Weihnachtsgans“, „den Sonntagsbraten“ usw.)
Mach doch deine nächste Grillparty zu so einem Fest! Und nicht zu einer Aktionsfleischvertilgung!
Das halte ich für eine wirklich zielführende und revolutionäre Herangehensweise. Stell dir vor, was alles passiert, wenn das Kreise zieht! Wenn Produktion und Handel hier aufgefordert werden im großen Stil umzudenken, wenn sie nicht auf ihrem billigen Fleisch sitzen bleiben wollen. Ein leichter Trend in diese Richtung ist spürbar. Wir Flexitarier, die Fleisch nur mit gutem Gewissen genießen, stehen vor der Tür. Ist Österreich nicht dafür prädestiniert, uns Flexitariern Tür und Tor zu öffnen? Uns willkommen zu heißen? Uns zu Ehren, das beste Fleisch anzubieten und immer mehr davon? Sind die Voraussetzungen dafür nicht denkbar günstig – noch? So wie unsere Landwirtschaft aufgestellt ist?
Freilich ist hier nach oben noch viel Luft – da will ich mir und dir nichts vormachen! Ich wünsche mir, dass immer mehr Konsumenten immer mehr Bauern dazu animieren, in dieser Höhenluft zu produzieren. Verarbeiter und Handel werden den Weg mit Freuden mitgehen. Warum sollte das nicht möglich sein?
Damit du mich nicht falsch verstehst: Ich sage umgekehrt keinem, der sich für fleischlose Ernährung entschieden hat, er solle doch gefälligst Fleisch essen. Ganz sicher nicht. Diese Welt verträgt noch eine ganze Menge mehr Vegetarier und Veganer. Was sie jedoch nicht vertragen, weil nicht ernähren können würde, wäre eine vegetarische oder gar vegane Menschheit. Diese „blasphemische Behauptung“ werde ich demnächst in einem zweiten Teil ausführen. Und mit den Überlegungen zu Alternativen zur industriellen Fleischproduktion verbinden, wie sie in Österreich gang und gäbe sind.