Sex und gewaltsamer Tod, darum geht es doch in der Landwirtschaft! Schottische Impressionen

Ein schottischer Farmer bringt vor mir und internationalen Journalistenkollegen auf den Punkt, womit er versucht beim so dringend benötigten wie schmerzlich ausbleibenden Nachwuchs Interesse für seinen Beruf zu wecken. Die meisten Kinder und Jugendlichen würden sich schließlich genau dafür interessieren: Sex und gewaltsamen Tod. Allgemeines Gelächter unsererseits als Reaktion. Eine gekonnt gesetzte Pointe, denk ich mir, tiefschwarzer Humor britischer Prägung. Sicher, aber nicht nur. Er, der Farmer, meint das schon so. Seine Erfahrung mit Schulklassen sei eben diese. Während Lehrer beinah in Ohnmacht fielen, wenn er etwa einen erlegten Hirsch aufbricht, würden die meisten Schüler großes Interesse für Leber, Nieren, Herz und Co zeigen...

Laird Jamie Williamson, unser Gastgeber und Herr über 5400 Hektar EU-subventionierter, benachteiligter Landwirtschaft

Ich bin zusammen mit 22 Kollegen aus 17 Ländern auf einer Pressereise mit agrarischem Schwerpunkt in den schottischen Highlands unterwegs. Wir sind zu Gast bei Jamie Williamson. Nach österreichischen Maßstäben zweifellos ein Großgrundbesitzer. Die schottische Bezeichnung lautet Laird, nicht Lord. Jamie ist kein Adeliger, auch wenn seine Familie ein stilechtes, feudales Anwesen in fünfter Generation ihr eigen nennt. 5400 Hektar immerhin. Zum Großteil Hügellandschaft und Moore inmitten des größten schottischen Nationalparks Cairgorm, die als extensive Schafweide und – weit einträglicher – für betuchte Jagdgesellschaften genutzt werden. Darüber hinaus Rindermast- und zucht, etwas bewirtschafteter Wald und zwei Steinbrüche. Arm ist Jamie gewiss nicht. Auch dank umfangreicher EU-Subventionen, die in Summe mehr als die Hälfte der Gesamteinnahmen ausmachen, wie er uns bereitwillig verrät. Geradezu reich aber erscheint er mir an typisch schottischem Unternehmergeist und Mutterwitz. So geraten seine trocken servierten, mit reichlich Sarkasmus gespickten Ausführungen für uns Journalisten ausgesprochen unterhaltsam.

Zu Gast auf einer "Real Estate" und natürlich Lamm aus eigener Zucht zum Dinner

Nachwuchssorgen hüben wie drüben

Womit ich zum Zitat zurückkomme, das diesem Blog sein Thema zuweist und als Überschrift dient. Es fällt im Umfeld allgemeiner Überlegungen zu den großen Zukunftsfragen (nicht nur) der schottischen Landwirtschaft. Neben dem allgegenwärtigen Thema Brexit und den damit einhergehenden Unsicherheiten vor allem hinsichtlich der Fortzahlung von Subventionen, ist es das fehlende Interesse der heranwachsenden Generation an der Landwirtschaft, das schottische Bauern schlecht schlafen lässt. Wer von den jungen will sich das alles noch antun, höre ich immer wieder die bange Frage. Wo es doch überall anders viel mehr zu verdienen gebe. Sei es in den Glasgower Schwerindustrien, auf den Bohrinseln in der Nordsee oder wo auch immer. Der Tourismus ist jetzt schon ein weitverbreiteter Nebenverdienst vieler Betriebe bzw. der Notnagel, der zusammen mit den Subventionen überhaupt noch so etwas wie Landwirtschaft hier vor dem endgültigen Aus bewahrt.

Auch Laird Jamie Williamson, unseren Gastgeber, beschäftigt diese zentrale Zukunftsfrage sehr, wie gesagt. Er betont die Notwendigkeit pädagogischer Anstrengungen in dieser Richtung. Er bemühe sich zusehends, Schulklassen auf sein Anwesen zu bringen. Die Jugend müsse nämlich zurückgewonnen werden. Nicht zuletzt, meint er, von fataler Beeinflussung vonseiten vieler Lehrer, welche oft genug hanebüchenen Blödsinn über die Landwirtschaft und speziell die Tierhaltung in die Köpfe der Kinder pflanzen würden. Überhaupt lebten die Stadt und die Städter in ihrer Wahrnehmung der Landwirtschaft ganz einfach in einem anderen Land: „It is a foreign land to them.“ Aber er hat nach seinen oben schon erwähnten Erfahrungen Hoffnung, was die Jugendlichen selbst anbelangt. Deren ursprüngliches Interesse an uralten landwirtschaftlichen Praktiken wie Tierzucht gehöre aber dringend „befreit“ von voreigenommenen Ideen, wie etwas zu sein habe und was überhaupt erlaubt und erwünscht sei nach dem (Vor)urteil vieler Städter. Diese hätten etwa absurderweise kein Problem damit, dass seine Schafe oder auch Wildtiere von Wölfen oder anderen Raubtieren gerissen würden, was einen langwierigen und nach menschlichen Maßstäben äußerst grausamen Todeskampf bedeute. Aber sie, die Kritiker der Tierhaltung, würden nicht wollen, dass er diese mit einem Schuss schnell und schmerzlos erlegt oder jene möglichst schonend schlachten lässt. Man müsse ihnen Bilder zeigen, wie lange es etwa dauere bis ein Schaf von einem Wolf zu Tode gebracht wird.

"Game of Thrones" goes Landwirtschaft?

Vor allem aber setze er, wie schon erwähnt, auf das jugendliche Interesse an den „bäuerlichen Kernthemen Sex und gewaltsamer Tod“. Das, denk ich mir, ist natürlich eine provokante Aussage in ihrer äußersten Zuspitzung. Aber ist sie so weit hergeholt? Worauf beruht denn der Erfolg von Serien wie „Game of Thrones“ bei Jugendlichen, diesen opulent in Szene gesetzten Orgien aus Sex und gewaltsamem Tod? Ich weiß, man wird in keinem offiziellen Wording Werbung für Landwirtschaft und Tierhaltung machen können, in dem die Worte „Sex“ und „Gewalt“ vorkommen.

Die schottische Whiskyindustrie setzt bereits auf die Zugkraft von "Game of Thrones"

Es bleibt schwarzem, britischem Humor überlassen, der sich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen hat, die darin steckende Wahrheit unverblümt auszusprechen. Aber im Wissen darum, dass Kinder und Jugendliche hier ein ganz „natürliches“ Interesse von sich aus mitbringen, ließen sich vielleicht subtilere Wege finden, an eben dieses Interesse anzudocken, wenn es darum geht, junge Menschen für die Landwirtschaft zu(rück) zu gewinnen? Und darum geht es, in Österreich nicht weniger als in Schottland oder in anderen hoch industrialisierten Ländern: das Interesse für die Landwirtschaft in den kommenden Generationen zu sichern! Ich erinnere mich sehr gut an meine Kindheit und die Faszination, die vom benachbarten Bauernhof ausging, welche nicht zuletzt auf „Sex“ und „Gewaltsamem Tod“ beruhte, wenn ich etwa Zeuge eines Natursprunges war oder beim Hühnerschlachten zusehen durfte.

Schottisch-österreichische Ähnlichkeiten und Unterschiede

Nachwuchssorgen drücken die schottischen Bauern also nicht weniger als hierzulande. Überhaupt finde ich jede Menge Parallelen zwischen der heimischen Landwirtschaft und dieser hier am Rande Europas. Dass die Highlands und die ihnen im Westen vorgelagerte Inselgruppe der Hebriden gewisse Ähnlichkeiten mit unseren Alpen aufweisen würden, war mir schon im Vorfeld meiner Reise klar. Jede Menge hügeliges bis bergiges Terrain, wo außer extensiver Tierhaltung sich landwirtschaftlich nicht viel abspielt. Eine Tierhaltung, die sich ohne Subventionen nicht rechnet, deren ökologischer Wert vom ökonomischen nicht widergespiegelt wird, weil deren Umwegrentabilität in andere Kassen (Tourismus, Jagd) einzahlt. So veranschaulicht etwa auch Jamie Williamson, dass seine Blackface-Schafe auf den Höhen trotz minimalstem Personalaufwand bei extensivst möglicher Haltung ein Minusgeschäft sind. Da sie aber erst die einträgliche Auerhahnjagd ermöglichen, indem sie die Hänge vorm Zuwachsen bewahren, sind sie unersetzlich und schlagen so indirekt doch wieder positiv in der gesamten Wertschöpfung zu buche. Umgelegt auf Tiroler Verhältnisse beispielsweise, wäre das einzelbetriebswirtschaftlich betrachtet immer nur dann der Fall, wenn tierhaltende Bauern zugleich auch Touristiker/Jagdbesitzer/Betreiber von Liftanlagen sind.

Schafe halten die Jagdgründe zugänglich und sind nur deshalb ökonomisch zuträglich

Auch Ackerbau im hohen Norden

Dass es selbst nördlich von Inverness in den an die Nordsee landeinwärts anschließenden Lowlands zum Teil sogar recht ertragreichen Ackerbau gibt, überraschte mich eher. Hier wachsen neben Sommergerste für die alles beherrschende Whiskyindustrie, Weizen, Roggen und Raps auch ganz bedeutende Mengen an Saatkartoffeln, die den britischen Markt ebenso bedienen, wie sie ihren Weg bis nach Ägypten und Israel finden!

Sogar Gemüse und Obst (vor allem Erd- und Himbeeren) wirft der hohe Norden ab. In den weniger bergigen Regionen des Hochlandes fühle ich mich immer wieder ans Waldviertel erinnert, wo schließlich ebenfalls viele (Saat)kartoffeln, Gerste, Roggen, Raps und Erdbeeren wachsen. Weiter oben dann, wo richtige Berge in den stets pittoresk bewölkten schottischen Himmel ragen, gemahnt mich (fast) alles an unsere Almen. Freilich mit dem einen Unterschied, dass hier statt Kühen und Jungvieh ausschließlich Schafe das Landschaftsbild prägen. Ein wunderschönes Bild übrigens, an dem ich mich nicht und nicht sattsehen kann. Meinen Kollegen geht es offensichtlich ebenso, werden sie doch nicht müde, dem Motiv „Schafe auf grünem Grund“ nachzujagen.

Mit dem heraufbeschworenen Idyll friedlich weidender Schafe auf frischem Grün will ich zum Schluss einen markanten Kontrapunkt zum Hauptthema dieses Blogs setzen. Auch dieses Bild will Werbung machen für die älteste Kulturleistung der Menschheit – die Agrikultur.

Abschließend, eingehüllt von Dudelsackklängen, die Pressetour im Schnelldurchlauf in ein paar bunt zusammen gewürfelten Videosequenzen:

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