Milchwirtschaft ist nichts für Milchbuben und überhaupt für allzu zart Besaitete. Kühe sind wunderbare Tiere, ebenso hart im Nehmen wie großzügig im Geben. Ich habe wiederholt Kühe beim Kalben beobachten können und das eine oder andere Mal auch Hilfe leisten müssen. Und ich war bei den Geburten meiner Kinder dabei. Deshalb weiß ich, dass ein Vergleich völlig daneben ist. Kühe leisten – nicht nur! – während des Kalbens Unglaubliches bei dieser gewiss auch für sie sehr schmerzhaften Prozedur. Aber ihr Schmerz kann nicht mit dem Schmerz einer auf natürlichem Wege gebärenden Frau verglichen werden. Ich weiß, dass ich mich hier gehörig weit aus dem Fenster lehne, wenn ich als Mann über den Geburtsschmerz von Kühen und Frauen schreibe, ohne weitere „Expertise“ außer der, bei Geburten und Kalbungen dabei gewesen zu sein. Warum tue ich es trotzdem? Weil mir der Vergleich von Kühen und Kälbern mit Müttern und Babys unzulässig und irreführend erscheint. Und zwar in jeder Hinsicht und mit fatalen Folgen.
Kälbertransporte als nationaler Stein des Anstoßes
Bilder eines österreichischen Kalbes, das stundenlang nach Spanien transportiert, dort gemästet und letztlich im Libanon auf barbarische Weise ohne Betäubung geschlachtet wurde, rufen aktuell eine nationale Welle der Empörung hervor. Die Rede ist von „wenige Tage alten Babys“, die „schon am ersten Tag ihren Müttern entrissen“ diese „qualvolle Reise“ antreten müssen. „Die Angst und der Schrecken“ stünden ihnen „ins Gesicht“ geschrieben. Ganz ähnlich ließ sich vor wenigen Wochen bei der Oscar-Preisverleihung der bekennende Veganer Joaquin Phoenix vernehmen in seiner Preisträger-Ansprache: „Wir fühlen uns berechtigt, eine Kuh künstlich zu besamen und ihr Baby zu stehlen, obwohl ihre Angstschreie unverkennbar sind. Dann nehmen wir ihre Milch, die für ihr Kalb bestimmt ist, und geben sie in unseren Kaffee und unser Müsli.“ Ich möchte dazu ein paar Gedanken aus meiner Erfahrung mitteilen.
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Vorneweg, die Kälbertransporte nach Spanien und Italien halte auch ich für ein aus der Welt zu schaffendes Übel. Kein einziges Kalb müssten wir in Italien oder Spanien mästen lassen, würden wir hier in Österreich heimisches statt holländisches Kalb essen. Dieses ist wesentlich billiger. Das ist der banale Grund. Damit sich das ändert, hilft aber keine breite Welle der Empörung, die nolens volens auch über die heimischen Milchbauern zusammenschlägt und diese in ihrer wahrlich schwierigen finanziellen Situation noch zusätzlich moralisch entmutigt. Sondern es braucht ein Umdenken über die rein ökonomisch gesteuerten „Zwänge“, die österreichische Kälber auf diese an sich unnötigen Reisen schicken. Wir von Land schafft Leben haben die dahinterstehenden Zusammenhänge hier in leicht verständliche Worte und Grafiken gekleidet.
Gefordert ist hier zum einen die heimische Gastronomie, die ihren Gästen reinen Wein über die bis dato vor allem holländische Herkunft ihres Original Wiener Kalbsschnitzels einschenken sollte. Dazu würde natürlich eine durchgängige Herkunftskennzeichnung, wie sie die Politik zukünftig wünscht, entscheidend beitragen. Natürlich nur, wenn diese auch die Gastronomie beträfe, was aber vom Wirtschaftsflügel der ÖVP vehement abgelehnt wird. Oder aber die sich ihrer Verantwortung bewusst werdende Gastronomie und Hotellerie fragt zukünftig aus freien Stücken mehr und mehr heimisches Kalb nach und macht dieses etwas teurere und meist auch dunklere Fleisch ihren Gästen schmackhaft. So „einfach“ wäre das. Und weil es eben alles andere als einfach ist, ist es doch viel einfacher sich kurzfristig zu empören. Diese Empörung hilft keinem einzigen Kalb!
„Vergewaltigte Kühe?“
Aber, mit Joaquin Phoenix „argumentiert“, muss man sich nicht schon viel früher empören? Die Kritik nicht ganz fundamental ansetzen? Würden wir die Kühe in Ruhe lassen, sie nicht alljährlich künstlich besamen, manche sagen „vergewaltigen“, müssten wir ihnen auch nicht die „Babys stehlen“ und die ganze Transportproblematik wär mit einem Schlag erledigt. Freilich, dann gebe es keine Milch und keinen Butter und keinen Käse und kein Kalb- und Rindfleisch. Der vegane Weg eben, für den nicht wenige Celebrities sich vehement aussprechen. Ich will meinen Kommentar zur Kälbertransport-Problematik nicht in eine Auseinandersetzung mit der veganen Philosophie münden oder gar in eine Tierrechtsdebatte ausufern lassen. Ich will nur den paar Aussagen von Joaquin Phoenix mit meinen Erfahrungen aus der Praxis auf den Zahn fühlen. Und damit auch dem jetzt in der aktuellen österreichischen Debatte aufpoppenden Wording von „den Müttern, denen ihre Babys entrissen werden“ den faktisch nicht vorhandenen Boden entziehen.
Phoenix kritisiert die gängige Praxis der künstlichen Besamung. Als würde der Kuh dadurch allein schon Unrecht widerfahren, dass wir Menschen uns das Recht dazu nehmen. Und es stimmt: Ohne Kalb keine Milch. Jeder Bauer sieht zu, dass seine Kühe möglichst alljährlich ein Kalb bringen. Was der Oscar-Preisträger offenbar nicht weiß ist, dass die Kuh das auch „will“! Das ist in ihrem biologischen Programm so angelegt und das wäre in der freien Natur nicht anders. Alle 21 Tage zwingt ihre innere Uhr die Kuh dazu. Dann ist sie – und nur für einen Tag – in der Hitze, oder brünstig, wie der Bauer sagt. Und dann und nur dann wird sie es sich gefallen lassen, entweder von einem Stier bestiegen oder einem Tierarzt oder Bauern künstlich besamt zu werden. Ich habe beide Praktiken oft genug gesehen und ich glaube erkannt zu haben, welche der beiden für die Kuh angenehmer ist.
Ein 1200 Kilo Stier, noch dazu, wenn er sich tollpatschig anstellt, ist nicht jeder Kuhs Sache. Aber vielleicht täusche ich mich auch und die Kuh genießt es unter dieser Last in die Knie zu gehen? Auch habe ich gesehen wie ein Stier eine Kuh, die „verworfen“, also ein totes Kalb gebracht hatte, schon wenige Tage später wieder besteigen wollte, weil die Kuh vermutlich verdächtige Duftstoffe produzierte. Ich musste den freilaufenden Stier in seinem Tatendrang hemmen und vorübergehend an die Kette legen. Bauern hingegen „gönnen“ ihren Kühen einen zwei- bis dreimonatigen „Mutterschutz“ bevor sie diese erneut besamen. Wie man sieht, versagen für menschlichen Zwecke nützliche Begriffe und überhaupt menschliches „Einfühlen“ recht schnell, wenn es um unsere Nutztiere geht. Dieses vorgeblich so empathische Mitfühlen stiftet meist nur heillose Verwirrung und als Folge Unverständnis gegenüber jenen, die tagtäglich mit Nutztieren zu tun haben und diese bei weitem besser kennen. Im Grunde verbietet sich jeder Vergleich des „Sexuallebens“ einer Kuh mit jenem einer Frau. Was Vergewaltigung und Herabwürdigung zur Gebärmaschine nach menschlichen Begriffen wäre, ist eben etwas nach wie vor weitestgehend Natürliches, von ihrer inneren Natur einer Kuh auferlegtes Verhalten, das vom Menschen für seine Zwecke genutzt wird.
„Gestohlene Babys?“
Ok, aber das „Stehlen der Babys“ ist doch eine grausame Praxis und die „Angstschreie“ von Mutter und Baby dabei „unverkennbar“? Hier wird das Terrain für mich schon etwas heikler, auch wenn ich gerade bei diesem hoch emotionalen Thema die Rede von „gestohlenen Babys“ und von „Angstschreien“ aus den bereits genannten Gründen als nicht zielführend erachte. Zuzugeben ist, dass sich hier das menschliche Eingreifen wesentlich weiter von der Natur entfernt als beim künstlichen Besamen. Das Trennen von Kuh und Kalb, meist innerhalb von 24 Stunden, ist gängige Praxis und wird einerseits mit hygienischen Gründen und dann aber auch ganz klaren praktisch-ökonomischen Gesichtspunkten erklärt. Einschlägige Versuche aus der Nutztierforschung zeigen allerdings auch, dass eine spätere Trennung bei Kuh und Kalb stärkere Symptome von Stress, also menschlich gesprochen „Trennungsschmerz“ hervorrufen, als es bei der üblichen Praxis der schnellen Trennung der Fall ist. Meine persönlichen Erfahrungen hier sind sehr unterschiedlicher Natur. Ich habe Kühe gesehen mit stark ausgeprägtem Muttertierinstinkt und ich habe Kühe gesehen, die ihr „Baby“ glatt verhungern hätten lassen, die es nicht annehmen wollten. Letzteres ist freilich die Ausnahme. Kühe kümmern sich zumeist „rührend“ und eifrig um ihr neues Kalb, schlecken es ab, schützen es vor potentiellen Feinden. Unglaublich auch wie fit eine Kuh unmittelbar nach einer normal verlaufenen Kalbung ist.
Es ist in der Tat schwer zu sagen, wie sehr die Tiere an der Trennung leiden. Die weiter oben erwähnte Kuh, die ihr Kalb verworfen hatte, brüllte tatsächlich zwei Tage nach ihrem toten Kalb und suchte den Ort, wo dieses im Stall gelegen hatte, bevor ich es von dort entfernte, immer wieder auf. Dieses Brüllen nach dem Kalb und ein etwaiges Antworten desselben ist allerdings bei weitem nicht die übliche Reaktion auf die Trennung. „Angstschreie“ halte ich persönlich für einen wiederum viel zu menschlichen Ausdruck, der Tieren ein ebenso reiches und tiefes Seelenleben unterstellt, wie es den Menschen auszeichnet. Es gibt Ansätze, auch in der Milchkuhhaltung, bei der Muttertier und Kalb nicht oder zumindest nicht die ganze Zeit getrennt werden. Dies ist allerdings eine Nische, die in der Praxis noch kaum erprobt ist. Vielleicht bietet die sogenannte „muttergebundene Kälberaufzucht“ einen praktikablen Ausweg für dieses zugegebene Dilemma der Milchkuhhaltung. Die bekannte Mutterkuhhaltung, die als artgerechtes Musterbeispiel jene Bilder liefert, die dem Laien besonders gut gefallen, darf damit allerdings nicht verwechselt werden. Mutterkuhhaltung dient ausschließlich der extensiven Fleischproduktion und hat mit der Milchwirtschaft nichts zu tun.
Hier ein sehr gutes, wissenschaftlich fundiertes Video zur Problematik der Trennung von Kuh und Kalb.
„Milch, die wir den Kälbern wegnehmen?“
Bleibt der von Joaquin Phoenix erhobene Vorwurf, wir würden der Kuh die Milch wegnehmen, die eigentlich für das Kalb gedacht ist. Diese Fakenews sind am schnellsten widerlegt. Jedes Kalb erhält Milch. Jedes Kalb wird mit Milch und noch anderem Futter großgezogen. Die folgende Grafik zeigt die möglichen „Karrieren“ von Kälbern aus der Milchproduktion in Österreich.
Jedenfalls geben Milchkühe wesentlich mehr Milch als ihre Kälber trinken können. Selbstverständlich ist dieses mehr auf menschliche Züchtung zurückzuführen. Irgendwann vor vielen Tausend Jahren hat der Mensch begonnen, Kühe für seine Zwecke in Gewahrsam zu nehmen. Der Deal dabei: Kost und Logis für die Kuh, Schutz und Sicherheit für sie und ihre Kälber vor anderen Fressfeinden als dem Vertragspartner Mensch. Und die Leistung auf der anderen Seite. Milch und Kälber zu Lebzeiten und am Ende ihr Leben selbst. Diese „Leistungen“, die der Mensch der Kuh als Gegenleistung dafür abverlangt, dass er sie vor Hunger und Durst und vor den Nachstellungen von Wolf und Co. schützt, wurden mit den Jahrhunderten und Jahrtausenden mehr und mehr. Sie nennen sich Zuchtfortschritt. Selbstverständlich kann und soll man dieses „Mehr“ problematisieren. Die Züchtung hat mitunter über ein vernünftiges, auch ökonomisch langfristig vernünftiges, mit Tierwohl und -gesundheit vereinbares Ziel hinausgeschossen. Die „Turbokuh“ vergangener Jahrzehnte, so beteuern führende Veterinäre und Nutztierforscher, gilt seit Jahren schon nicht mehr als nationales Zuchtziel. Verminderte Gesundheits- und Fruchtbarkeitswerte hätten einer einseitigen Zucht auf Hochleistung längst deren Grenzen aufgezeigt. Das habe sich allerdings noch nicht bis zu jedem Bauernhof herumgesprochen. Hier darf man allerdings auf eine neue, besser ausgebildete und auch für diese Themen sensibilisierte Generation von Hofübernehmern hoffen. Freilich nur dann, wenn diese nicht das Handtuch werfen. Das Handtuch werfen, weil sie wirtschaftlich immer mehr in Schieflage geraten und zusätzlich vom zeitgeistigen Gerede demoralisiert werden, vom Gerede von den „Müttern“, denen sie angeblich „ihre Babys stehlen.“
Was wollen wir?
Milchwirtschaft ist nichts für Milchbuben. Kühe sind wunderbare Tiere, ebenso hart im Nehmen wie großzügig im Geben. Sie geben uns ihr Wertvollstes. Ihre Milch, ihre Kälber, ihr Leben. Kühe sind global und national die mit Abstand wichtigsten Nutztiere. Weltweit sind über zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Grünland. Ohne Kühe und andere Wiederkäuer bliebe dieses Land für uns Menschen wertlos bzw. gar nicht in seiner Form erhalten, sondern würde verbuschen, versteppen, verwalden. Wie wollen wir Kühen und anderen Wiederkäuern begegnen in Zukunft? Brauchen wir sie? Dürfen wir sie nutzen? Zur Lebensmittelproduktion, zum Erhalt von Grünland und damit auch zur Landschaftspflege? Wenn wir diese Fragen bejahen, dann sagen wir auch ein grundsätzliches ja zu unseren Milchbauern und ihrer Arbeit, bei aller punktuell durchaus notwendigen und berechtigten Kritik. Und wenn wir konsequent sind, sagen wir gleichzeitig nein zu allem Un- und Halbwissen, zu haltlosen Vergleichen und einem hoch problematischen Wording, das sich im Versuch diesen großartigen Tieren mit Empathie und Einfühlung zu begegnen, doch nur an ihrer Natur vergehen kann.