Die wahre Herausforderung kommt erst

Die wahrhaft beschämende Gegenwart der Flüchtlingskrise in Traiskirchen und im halben Land wird der neue Flüchtlingskoordinator Christian Konrad wohl in den Griff kriegen. Dieser durchschlagskräftige Machtmensch und meisterliche Netzwerker hat seine - weniger bekannte - ungewöhnlich dicke soziale Ader über Jahrzehnte an vielen Stellen bewiesen.

Aber die wahre Herausforderung kommt erst auf uns zu. Der bislang peinlichst überforderten Politik ist dringend geraten, sich und die Bürger darauf vorzubereiten.

Was wir bisher an Flüchtlingszahlen verbucht haben, ist nur ein sanftes Präludium für die kommenden Monate, wenn nicht Jahre. Gut 5 Millionen Kriegsflüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens und des Irak realisieren, dass eine baldige Rückkehr in die Heimat illusorisch ist. Gleichzeitig sind die Gastländer begreiflicher Weise zunehmend von den Massenlagern überfordert, und in schandbarer Weise verweigern reiche Staaten wie die USA, die EU-Länder und vor allem die in Petrodollars schwimmenden Araber den internationalen Flüchtlingsorganisationen vor Ort eine ausreichende Finanzierung für Ernährung und sonstige Versorgung. Die Flucht nach Europa bleibt als einzige Antwort auf die Hoffnungslosigkeit.

Einige wenige Zahlen aus der Asylstatistik des Innenministeriums zeigen den anschwellenden Flüchtlingsstrom: Im Monat Juni 2014 suchten 1.200 Menschen um Asyl an, im heurigen Juni mit 7.350 mehr als sechs Mal so viele. Im Juni des Vorjahres kamen noch rund 50 Prozent der Asylsuchenden aus den Haupt-Kriegsgebieten Syrien, Irak und Afghanistan, heuer sind es bereits 77 Prozent. Das bedeutet nach der üblichen Praxis der Asylgewährung, dass jetzt die große Mehrheit der Flüchtlinge tatsächlich beste Aussichten auf Asylgewährung haben, während noch vor zwei Jahren nur jeder Fünfte anerkannt wurde.

Von den für heuer eher vorsichtig geschätzten 80.000 Flüchtlingen haben demnach mehr als 50.000 eindeutig legalen Anspruch auf Asyl. Wer als Asylberechtigter anerkannt ist, hat dann das Anrecht, seine engere Familie nachkommen lassen. Rund 80 Prozent der Kriegsflüchtlinge sind Männer. Wenn auch nur jeder Vierte von ihnen legitimer Weise seine Frau und ein oder zwei Kinder ins Land holt, kommen wir allein für heuer auf eine Gesamtzahl der Asylberechtigten von rund 75.000.

So viel einmal zu den nackten aktuellen Zahlen. Wer wie ich nicht an die Lösungskompetenz der EU und schon gar nicht an die Wirkung von moralisch höchst fragwürdigen Grenzzäunen und –fahndern glaubt, muss für das nächste Jahr mit noch deutlich höheren Zahlen rechnen.

„60.000 bis 70.000 Menschen pro Jahr aufzunehmen muss für Österreich machbar sein“, plauderte kürzlich locker der Sozialminister im „Standard“.

Fragt sich bloß, was dann faktisch „machbar“ sein muss.

75.000 Asylberechtigte, das entspricht in etwa der Bevölkerung von Villach und Klosterneuburg, brauchen Wohnraum.

Mindestens 10.000 Kinder brauchen Plätze in Kindergärten und Schulen, brauchen spezielle Betreuung und Unterricht.

Alle Asylberechtigten haben wie jeder Österreicher Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung BMS (pro Einzelperson mindestens 828 Euro 12 Mal im Jahr, für Ehepaare 1.242 und pro Kind weitere 149 Euro), Familienbeihilfe und Krankenversicherung.

Arbeitsfähige Asylberechtigte haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt, als BMS-Bezieher sogar die Pflicht zur Arbeitssuche. Teilweise gut gebildete und ausgebildete Syrer und Iraker werden in einigen Branchen gebraucht, wobei es auch teilweise zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt kommen kann. Für viele weniger gebildete Flüchtlinge gibt es kaum Chancen auf Jobs. Schon jetzt meldet der Arbeitsmarktservice 17.000 arbeitssuchende Asylberechtigte.

Viele Tausende von den Kriegsflüchtlingen sind von ihren Erlebnissen schwer traumatisiert und brauchen psychologische Betreuung, damit sie sich integrieren können.

Im Gegensatz zu früheren Flüchtlingswellen kommen diese Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen und sind zumeist Moslems, was die Integration nicht leichter macht.

Angesichts der katastrophalen Entwicklung in den Herkunftsländern ist es völlig illusorisch, dass Asylberechtigte in absehbarer Zukunft in ihre Heimat zurückkehren können und wollen.

Wie gesagt, das sind nur die riesigen Herausforderungen für die Flüchtlinge des Jahres 2015.

Das wird Österreich und den Österreichern weit mehr abverlangen, als je zu leisten war. Das geht über Spenden und private Hilfsbereitschaft weit hinaus. Je früher die Politik diese Realitäten und Entwicklungen und andererseits mögliche Lösungen den Bürgern offen kommuniziert, desto eher lassen sich weitere politische Erfolge von Hetzern und soziale Konflikte vermeiden.

Dazu braucht es mehr als einen tüchtigen Koordinator. Dazu braucht es endlich koordinierte politische Leadership.

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Daniela Noitz

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