Riesiges Leintuch statt Bierdeckel

Es ist halt wieder einmal die größte Steuersenkung aller Zeiten.

Geschenkt. Vergessen wir die Inflation seit der letzten Steuerreform seit 2008, schreiben wir ab, dass sich seit damals das Lohnsteueraufkommen von rund  21 auf rund 26 Milliarden erhöht hat.

Fast 5 Milliarden Entlastung sind kein Bettel.

Die deutliche Senkung für den Einkommenssteuersatz von 36,5 auf 25 Prozent ist eine echte Entlastung für Kleinverdiener mit Jahreseinkommen zwischen 11.000 und 20.000 Euro.

Aber für Einkommen darüber, auch für die Durchschnittseinkommen von derzeit monatlich rund 2.000 Euro reduziert sich der Tarif nur minimal um etwas über 1 Prozent. Rund 70 Euro pro Monat Entlastung soll das dennoch insgesamt für Durchschnittsgehälter ab 1.1.2016 ergeben.

Pech für den Durchschnitts-Verdiener mit rund 26.000 Euro Jahreseinkommen ist nur, dass es bis dahin eine herbstliche Lohnrunde in der Gegend von 2 Prozent Lohnerhöhungen geben wird. Und dass er dann für rund 50 Euro höheres Bruttogehalt 18 Euro dem Finanzminister abliefern muss. Liegt der bedauernswerte Arbeitnehmer nur leicht über dem Durchschnittsgehalt, liefert er für seine 60 Euro rund 20 an den Staat.

Die Steuerreduktion ist also zu einem Teil schon weg, bevor sie noch wirkt.

Zwischenergebnis der Erstanalyse:

Das System der kalten Progression wird auch durch diese Reform nicht abgeschafft, sondern einmal mehr nur vorübergehend gemildert.

Kleiner Hinweis dazu: Die letzte „größte Steuerrefom“ 2008 brauchte gerade 2 Jahre, um das Lohnsteueraufkommen wieder über das Niveau davor zu erreichen.

Die kalte Progression, also die Nicht-Angleichung der Steuerstufen an die inflationsgetriebenen Einkommenssteigerungen, sorgt für Einnahmen des Staates aus der Lohnsteuer, die deutlich über den nominalen Einkommenssteigerungen der Steuerzahler liegen. Letzte valide Daten aus 2013: Bruttobezüge mit einem Plus von 2.9 %, Lohnsteuereinnahmen plus 4,8 %.

Kein Wunder, dass die Lohnsteuer damit erstmal zum größten Einkommensposten des Budgets wurde. Kein Wunder leider auch, dass damit die Netto-Realeinkommen seit Jahren sinken

Eine wirklich große Einkommenssteuerreform haben die Koalitionäre einmal mehr nicht geschafft.

Dazu hätten sie

-       die kalte Progression durch einen automatischen Anpassungsfaktor der Steuerstufen in Höhe zumindest eines Teils der Inflation mildern,

-       den aberwitzigen Wildwuchs von mehr als 500 Ausnahmebestimmungen weitgehend ausmisten müssen,

-       eine weitgehende Gegenfinanzierung durch vielfach mögliche Einsparungen mit kurzfristiger Wirkung wagen, und

-       den Rest der nötigen Gegenfinanzierung durch die gesellschaftspolitisch gerechtfertigte Besteuerung von allen Formen des Vermögenszuwachses nach internationalen Standards organisieren müssen.

Das haben beide Parteien nicht einmal im Ansatz versucht.

Vom Kanzler Werner Faymann konnte man sich nicht mehr erwarten als den Versuch, es seiner Partei einigermaßen und seinen Millionärs-Freunden auf dem Medien-Boulevard gänzlich recht zu machen.

Das hoch bewertete Reformer-Duo Mitterlehner & Schelling hat eine große Chance verspielt.

Auf einem Bierdeckel wollte ein deutscher CDU-Parteifreund der beiden vor Jahren ein neues Einkommenssteuerrecht unterbringen. Bei uns bleibt es weiter bei einem riesigen und teuren Leintuch.

Fazit: Die Koalition wird mit diesem als Steuerreform bezeichneten Kompromiss ihrer jeweiligen Klientelinteressen ihr Überleben sichern.

Den Beleg für ihre Existenzberechtigung ist sie einmal mehr schuldig geblieben.

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Herbert Erregger

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