Programmparteitag der ÖVP, ein Hochfest für Funktionäre, Politologen und Journalisten. Ein neues Parteiprogramm als Erneuerungssignal mit beschränkter Wirkung auf die breite Wählerschaft, Wahlen gewinnt man damit nicht. Gewiss, die alte Tante Volkspartei schneidet so manchen gesellschaftspolitischen Zopf endlich ab und begradigt damit ein paar Fronten im gesellschaftspolitischen Elitendiskurs. Etwas weniger konservativ, etwas mehr politisch mittig, das kann gewiss nicht schaden.
Viel entscheidender für die Zukunft der ÖVP und des Landes wird sein, wie weit sich das pragmatische Führungsduo Mitterlehner-Schelling mit seinem Reformkurs durchsetzen kann. Eine zarte Erinnerung an das historische Kanzler-Finanzminister-Duo Raab-Kamitz und seinen sprichwörtlichen „Kurs“ in den 50er Jahren ist durchaus angemessen.
Die Zukunft hängt an der Durchsetzungsfähigkeit des Parteiobmannes und des wichtigsten Ministers, erst einmal gegen die eigenen Landeshauptleute und Systembetonierer, und dann gegen einen abgeschlafften Koalitionspartner. Leadership ist gefragt, also die Fähigkeit, langfristig richtige Problemlösungen zu finden und sie im Parlament und in der Wählerschaft mehrheitsfähig zu machen. Das wäre dann wirklich jene „andere Politik“, die einst der glücklose Langzeitobmann Mock immer bloß ankündigte.
Parteichef Mitterlehner, über Jahrzehnte im ständestaatlichen System sozialisiert, zeigt als Insider deutliches Unbehagen mit dem allgemeinen Zustand der Republik. Dass er einen in der Privatwirtschaft und auf dem freien Markt Erfolgreichen ins Finanzministerium und damit in das entscheidende politische Stellwerk holte, war nicht nur eine Personal-, es war eine Richtungsentscheidung. Schelling tickt auch als Politiker prinzipiell unternehmerisch, problemorientiert, lösungskompetent und zielorientiert über den nächsten Wahltag hinaus.
Das ist für die etablierte Politik spürbar gelegentlich ein Kulturschock und provoziert Abwehrreflexe bis zu dümmlichen Aggressionen wie „Bei Philippi sehen wir uns wieder“. Und es bleibt die große Frage, ob sich der Rundum-Reformer Schelling nicht persönlich überhebt oder irgendwann angesichts der Widerstände der Systembewahrer resigniert.
Man muss den Finanzminister bei aller Anerkennung für seine grundsätzliche Politik nicht zum Wunderwuzzi hochstilisieren. Aber es gilt: Jedes „Weiter so“ verbietet sich angesichts der kritischen Lage des Landes. Der überfällige Versuch, das klebrige Beharrungsvermögen der Politik zu überwinden, lässt freilich Sisyphos wie einen Freizeitsportler aussehen.
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