Therapiemaßnahme für ein krankes System

„Unser Gesundheitssystem ist krank“, lautete einer der Slogans bei der großen Wiener Ärzte-Demonstration.

Eine seit Jahrzehnten richtige Diagnose für das extrem teure und bei weitem nicht entsprechend effiziente Gesundheitswesen.

Therapie-Versuche gibt es auch seit Jahrzehnten. Der große Wurf ist nie gelungen. Dazu ist dieses System von zu vielen Partikular-Interessen blockiert: Von Ländern und Gemeinden, von Sozialversicherungen, von der Pharmaindustrie, von Gewerkschaften der Gesundheitsberufe, von Ärzten und ihren Funktionären.

Kaum ein wichtiger Politik-Bereich, in dem so viel und so erfolgreich zugunsten eigener Interessen lobbyiert wird.

Dabei sind in der Regel die Ärzte mit Abstand am erfolgreichsten. Sie können nicht nur ihr hohes Sozialprestige und gute Argumente einsetzen. Sie können auch ihre hunderttausenden Patienten mobilisieren – kaum ein Wartezimmer ohne Werbematerial für die Standesinteressen, gelegentlich auch für blanke ökonomische Vorteile der Ärzte.

Dass in gesellschaftlich einflussreichen Familien häufig mit dem Alter und nach jeder erfolgreichen Behandlung der Anteil von Ärzten im privaten Freundeskreis steigt, schlägt bis in politische und mediale Meinungsbildung spürbar zusätzlich durch.

Stärkstes Argument der Mediziner im Kampf um Eigeninteressen ist in aller Regel die Sorge um ihre Patienten. Die Grenzen zur gezielten Panikmache sind dabei gelegentlich schwimmend.

„Verlängerte Wartezeiten in den Ambulanzen und lange Wartelisten für Operationen“, bekommt der Wiener Ärztekammer-Präsident angeblich „schon täglich“, seit der Streit um die neuen Dienstzeiten für Ärzte in den Wiener Spitälern ausgebrochen ist.

Als ob überfüllte Ambulanzen, Wartezeiten und Betten am Gang ein gänzlich neues Problem in den Krankenanstalten wären.

In Wahrheit geht es im zunehmend hitzigen Konflikt zwischen der Gesundheits-Stadträtin Sonya Wehsely und den Wiener Spitalsärzten um die Folgen einer längst überfälligen Reform der ärztlichen Dienste in den Spitälern.

Es war offensichtlich ein taktischer Fehler der couragierten Politikerin, vorzeitig die Einsparung von 382 Dienstposten anzukündigen. Das hätte man wohl besser am Ende in aller Ruhe umgesetzt, wenn die Auswirkungen der neuen Dienstzeiten konkret überprüfbar sind.

Aber im Prinzip hat Wehsely mit ihrer Reform so recht, dass es unabhängige Gesundheitsexperten für eine entscheidende Kraftprobe zugunsten eines dringend nötigen Umbaus des verkorksten Systems halten.

Die bisherigen Dienstzeitenregelungen waren ganz offensichtlich ein gewachsener fauler Kompromiss zulasten von Patienten und vielen jungen Ärzten mit teilweise unverantwortbaren und im Extremfall lebensgefährdenden Diensten bis zu 36 Stunden.

Der faule Kompromiss bedeutete im Prinzip: Die Gemeinde zahlte ihren Ärzten relativ geringe Gehälter, die sich die jüngere Generation über lange Nachtdienstzeiten verbessern konnte. Etablierten Fachärzten erlaubt das offizielle Dienstende um 13 Uhr – danach beginnt der Nachtdienst und endet die Behandlung der Patienten außer in Akutfällen  – die lukrative Nebenbeschäftigung in der Privatordination und/oder einer der vielen Privatkliniken.

Die Neuregelung einer Dienstzeit von 7 bis 19 Uhr macht solche Nebenbeschäftigungen logischer Weise deutlich schwieriger. Deutlich erhöhte Gehälter ersetzen zwar den Jüngeren die Reduktion der Nachtdienst-Einkommen. Drohende Einbußen bei den lukrativen Nebenbeschäftigungen in privaten Ordinationen und Spitälern gleichen die höheren Gehälter aber sicher nicht aus.

Davon reden die protestierenden Ärzte natürlich nicht. Für ihre Patienten werde das nur negative Folgen haben, schalten sie statt dessen in bewährter Weise auf ziemlich zynischen Alarmismus.

Dabei sind gerade für sie die Vorteile der neuen Dienstzeiten offensichtlich: Kompetente behandelnde Ärzte statt unerfahrener Turnusärzte stehen für ihre Patienten den ganzen Tag über zur Verfügung , Untersuchungen und Behandlungen werden nicht mehr in Vormittagsstunden konzentriert sondern über den Tag verteilt (und nebenbei damit sündteure Geräte länger genutzt), der teilweise durchaus belastend hektische Spitalstag wird entschleunigt.

Faktum ist, dass vergleichbar große und leistungsfähige Klinik-Abteilungen in Deutschland mit deutlich weniger Ärzten auskommen. Von irgendwelchen nachteiligen Folgen für die deutschen Patienten ist nichts bekannt.

Bekannt ist dagegen, dass zunehmend Jungärzte nicht nur wegen besserer Gagen in deutsche Spitäler auswandern, sondern weil man sich dort viel intensiver um ihre Aus- und Weiterbildung kümmert.

Gesund ist das herrschende System in den Wiener Spitälern offenbar nicht. Entsprechende Reformen wären auch ohne Druck von EU-Regelungen längst fällig gewesen.

Sonja Wehsely wäre nun gewiss gut beraten, manche Kanten der Reform noch in Verhandlungen abzuschleifen.

Im Grundsatz muss sie die Reform aber durchsetzen. Auch weil das angesichts des Gesamtproblems eine relativ kleine, aber als Signal wichtige therapeutische Maßnahme wäre zur Gesundung des großen kranken Systems.

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fischundfleisch

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