Widerstand gegen TTIP-Gerichte als Akt demokratischer Emanzipation

Sehr peinlich, wenn sich einer über jemanden lustig macht und dabei selbst lächerlich wird. So geschehen einem Kommentator der „Presse“ am Dienstag zum großen Streitthema TTIP. Dass sich Kanzler Werner Faymann spät aber doch gegen die Einführung privater Schiedsgerichte wehrt und auf das Primat des nationalen Rechtsstaates pocht, fand der Kollege wunderlich: „Dass der nationale Rechtsstaat freilich keine unabhängige Instanz ist, wenn es um Streitigkeiten zwischen eben jenem Staat und Investition geht, lässt der Bundeskanzler unter den Tisch fallen.“

Unter den Tisch fallen lässt der gute Mann freilich den Unterschied zwischen dem System Rechtsstaat und der unabhängigen Justiz. Und wird im Wirtschaftsteil der gleichen Ausgabe peinlich falsifiziert. Da berichtet die „Presse“ vom Urteil eines unabhängigen österreichischen Richters, wonach der österreichische Staat für einen hunderte Millionen schweren Schaden haftet, weil Aufsichtsorgane die kriminellen Geschäfte einer Finanzgruppe nicht stoppten. Prozessgegner waren private Anleger und die Republik. Die Republik verlor den Prozess, wie schon viele davor.

„Bei TTIP sticht nur das Vorurteil“, hatte der „Presse“-Mann seinen Kommentar betitelt. Unfreiwillige Selbstkritik.

Zurecht wehren sich europäische und im Speziellen  österreichische Bürger und NGOs gegen die Einführung von Schiedsgerichten zum Schutz von Investoren gegen staatliche Eingriffe zu ihren Lasten.

Schiedsgerichte sind ein durchaus vernünftiges und dafür erfundenes Instrument, wenn es um Investitionen in Staaten ohne funktionierenden Rechtsstaat geht. Gedacht war das als Schutz vor rechtswidriger direkter Enteignung. Genutzt werden die Sondergerichte inzwischen aber auch für behauptete „indirekte Enteignung“ durch staatliche Gesetze, die Gewinne von Investoren gefährden. Jüngstes Beispiel: Der schwedische Energiekonzern und AKW-Betreiber Vattenfahl klagt bei einem Schiedsgericht auf 3,5 Milliarden Schadenersatz, weil der deutsche Bundestag den Atomausstieg beschlossen hat.

Der UNO-Sonderberichterstatter für die demokratische internationale Ordnung und US-Anwalt Alfred de Zayas nennt die im transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP vorgesehenen - und im vergleichbaren Abkommen der EU mit Kanada fahrlässiger Weise schon vereinbarten - Sondergerichte schlicht menschenrechtswidrig. Funktionierende Rechtsstaaten hätten die Verpflichtung sicherzustellen, dass juristische Streitigkeiten ausschließlich vor unabhängigen Richtern, öffentlich und mit der Möglichkeit der Berufung gegen Urteile geklärt werden, das muss auch und besonders für Rechtsstreitigkeiten mit dem Staat gelten (Ausnahme sind privatrechtliche Vereinbarungen, Streitfragen zwischen Vertragspartnern von einem gemeinsam eingerichteten Schiedsgericht entscheiden zu lassen).

Die privaten und geheimen, von interessensgebundenen Anwälten statt unabhängigen Richtern gebildeten Schiedsgerichte zum Investorenschutz gegen staatliche Maßnahmen sind in hoch entwickelten Rechtsstaaten ein Stück mehr marktgerechte Demokratie zulasten der Bürger und ihrer legimitierten Politiker.

Widerstand dagegen, selbst wenn wie im Falle Faymann ein kräftiger Schuss Populismus dabei sein mag, ist ein überfälliger Akt der Emanzipation demokratischer Politik von der Übermacht der kapitalistischen Märkte.

Inzwischen dämmert es auch bisherigen Befürwortern von TTIP, dass die Sondergerichte denn ganzen Vertrag gefährden. Der deutsche Wirtschaftsminister und Faymann-Genosse Gabriel spricht plötzlich von einem internationalen Investitionsgerichtshof mit unabhängigen Richtern als Alternative. Auch die zuständige EU-Handelskommissärin Malmström schlägt in einem Bericht jetzt Ähnliches vor. Das wäre immerhin eine erträgliche zweitbeste Lösung anstelle der ordentlichen staatlichen Gerichte. Wobei erst die Haltung der USA zu Idee und Praxis eines solchen neuen internationalen Gerichtshofes zu klären wäre. Dem internationalen Strafgerichtshof verweigern die US ja jede Kompetenz für die Verfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht, die Amerikaner veranlasst oder begangen haben.

Aber selbst wenn diese Lösung gelingt, ist immer noch der schlüssige Beweis für die Vorteile des gesamten TTIP-Abkommens ausständig. Was ein weithin unbekanntes Brüsseler Wirtschaftsinstitut (mit ausschließlich US-amerikanische besetztem Board) und die Stiftung des am US-Geschäft massiv interessierte Bertelsmann-Konzerns der EU-Kommission und anderen TTIP-Fans an Argumenten lieferten, hielt einer näheren Prüfung peinlichst nicht stand: Durchgerechnet würde demnach der Vertrag im ersten Jahrzehnt in der ganzen EU jährlich 0,05 Prozent zusätzliches Wachstum und 0,03 Prozent mehr Arbeitsplätze bringen.

Angesichts der minimalen Halbwertszeit ökonomischer Prognosen schon für das nächste Jahr bedeutet das schlicht eine Lächerlichkeit und kein Argument.

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