Paris, Istanbul, Jakarta. Die Liste der Großstädte, die Ziel von terroristischen Anschlägen wurden wächst und wächst. Drahtzieher? Der Islamische Staat oder Gruppierungen, die sich dem IS ideologisch nahe fühlen.
Nach den Angriffen in Paris war ein Grund schnell gefunden; es sollte "unser" westlicher Lebensstil getroffen werden. Die westlichen Demokratien, die sich die liberalen Grundwerte auf ihre Fahnen geheftet haben, sollten in ihren Grundfesten erschüttert werden. Istanbul, Hauptstadt eines Landes, dass unter seinem jetzigen Präsidenten konservativer und islamischer wurde, fand sich ebenfalls auf der Liste der Angriffsziele. Grund dafür? Eventuell die Nato-Mitgliedschaft der Türkei und das offene intervenieren im syrischen Bürgerkrieg. Jakarta? Hauptstadt Indonesiens, des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Welt. Hier zeigt sich, in welch einer ideologischen Nische der IS operiert, wenn selbst Menschen des selben Glaubens Opfer dieser Gewalt werden. Es wird deutlich, dass der Islam an einer Identifikationskrise leidet, so wie es einst auch im Christentum der Fall war.
Wir haben in unserer Gesellschaft offensichtlich ein Problem, mit diesem Umstand umzugehen. Die liberalen Denker unserer Zeit haben sich zu sehr auf eine Einstellung des "wir dürfen ja keine anderen Menschen kritisieren oder ihnen gar vorschreiben wie sie zu leben haben, jeder soll tun und lassen was er will" verfahren, dass sie offenbar blind gegenüber tatsächlichen Missständen geworden sind. Und es gibt Missstände innerhalb des Islams, und das muss offen angesprochen werden. Das hat im übrigen nichts mit Xenophobie oder Islamophobie zu tun. Wenn ich den Islam kritisiere, kritisiere ich nicht die über 1 Milliarde Muslime weltweit, oder meinen muslimischen Nachbarn, oder meinen muslimischen Freund, sondern das Grundgerüst, die Idee, die hinter dieser Religion steht. Ich könnte auch stundenlang über die Fehler und Ungereihmtheiten der katholischen Kirche und deren Lehre sprechen, doch wir leben in Zeiten, wo in Form des Islams die dunkelsten Seiten der Religion offenbahrt werden. Hätte ich diese Zeilen in der Phase des 30-jährigen Krieges geschrieben, wäre die christliche Lehre das Ziel meiner Argumentation.
Vorab, ich bin kein studierter Theologe noch Islamwissenschaftler, ich bin nicht mal sonderlich gläubig. Religionen, ihre Geschichte und ihr Einfluss auf die Kulturen im Verlauf der Zeit haben mich jedoch schon immer interessiert. Der Koran ist, so wie alle anderen heiligen Schriften, Produkt einer Zeit, die mit der heutigen Welt nicht nur im Ansatz zu vergleichen ist. Daher sind die moralischen Implikationen, die in solchen Texten zu finden sind, für mich mehr als nur fragwürdig. Oft wird behauptet, Terroristen, die sich auf den Koran berufen, interpretieren dessen Inhalt falsch. Aber liegt hier nicht das eigentliche Problem? Der Koran ist gefüllt mit sich widersprechenden Aussagen, so wie es auch in der Bibel der Fall ist. Es gibt, und das entspringt nicht meiner Fantasie, Suren im Koran die dazu aufrufen, den Glauben zu verbreiten, mit allen Mitteln. Es gibt Textstellen, womit man das Töten von Andersgläubigen rechtfertigen kann. All das steht schwarz auf weiß, da gibt es nichts schön zu reden. Aber es gibt auch das Gegenteil, Passagen die zu Toleranz und Frieden aufrufen. Gute Dinge, die stärker hervorgehoben werden müssen.
Es ist wichtig, dass islamische Glaubensvertreter nach Anschlägen wie in Paris aufstehen und diese Taten verurteilen und kritisieren. Eine symbolische Geste, die helfen kann, die Wunden heilen zu lassen. Doch wenn im gleichen Atemzug davon gesprochen wird, dass diese Angreifer nichts mit dem Islam zu tun haben, kann ich nicht zustimmen. Ein Osama bin Laden legt den Glauben nicht "falsch" aus, wenn er sich entschließt Flugzeuge in Hochhäuser stürzen zu lassen. IS-Kämpfer legen den Glauben nicht "falsch" aus wenn Sie zum Mord an den Ungläubigen aufrufen. Sie legen ihn lediglich "anders" aus als der Großteil der Muslime weltweit. Doch, wie schon gesagt, die Grundlage für solch ein Verhalten ist durch die heiligen Schriften gegeben. Man kann ein friedliebender Mensch, oder ein Selbstmordattentäter werden, alles auf der Basis des selben Glaubens. So wie das Christentum und dessen Lehre die Kreuzzüge hervorgebracht hat, bringt der Islam in unserer Zeit Terrororganisationen wie den IS hervor.
Diesen Umstand muss man offen und ehrlich ansprechen. Aber die liberalen Sprachrohre im Westen verstummen und ziehen sich hinter den Deckmantel der "Religionsfreiheit" zurück. Wir preisen die Meinungsfreiheit, doch beim Thema Religion verstummen die meisten. Doch die Meinungsfreiheit hat über allem anderen zu stehen. Auch ich bin ein liberaler Geist, mit der festen Überzeugung, dass jeder Mensch sein Leben so gestalten soll wie er es für gut erachtet, solange dabei nicht die Freiheiten seiner Mitmenschen beeinträchtigt werden. Wenn diese Grundsätze mit Füßen getreten werden, muss man auch Kritik daran äußern dürfen, ohne Angst haben zu müssen, Ziel von religiösen Fanatikern zu werden. Und wenn in Indonesien religionskritische Blogger ermordet werden, darf man nicht schweigen.
Doch in Wahrheit sind es die Muslime selbst, die am meisten unter dieser Situation leiden, sei es durch direkte Angriffe oder durch Anfeindungen in anderen Gesellschaften. Daher muss es, vorallem im Interesse der Muslime, einen ernsthaften Dialog über die Ziele und Aussagen des Islams geben. Wofür soll ihr Glaube stehen? Islamische Glaubensvertreter müssen sich zusammensetzen und an einem reformierten Islam arbeiten, der zukunftstauglich und bereit für das 21. Jahrhundert ist. Deshalb ist die derzeitige Situation, nämlich dass es sozusagen Tabu ist, den Islam, oder generell jegliche Religion zu kritisieren, grundlegend falsch. Wenn man von sich selbst behauptet ein liberal denkender Mensch zu sein, dann muss man auch seine Stimme erheben, wenn eben jene Werte unterdrückt werden. Man muss die kritischen und reformorientierten Stimmen innerhalb der islamischen Welt stärken und ihnen eine größere Plattform geben. Nur so kann Wandel stattfinden und nur so wird es dauerhaften Frieden in einer Region geben, die seit Jahrtausenden von religiösen Konflikten gespalten ist.