Luxus des Leben-Wollens. Luxus der Emotion. Luxus der Armut.
Was ist eigentlich Luxus? Luxus war für mich immer, teuer Spitzenprodukte einzukaufen, das neueste iPad, das geilste Smartphone, den schnellsten Computer. Luxus war, mir das zu gönnen, was ich will, teuer verreisen, Freunden etwas schenken, sie auf etwas einladen. Luxus war für mich, einfach nicht aufs Konto zu schauen. Die negativen Folgen für einen Nicht-Lotto-Millionär waren damit von Anfang an klar. Luxus des Moments ist Panik und Depression des nächsten Moments. Luxus von heute ist das schlechte Gewissen von morgen, das heute schon die Freude trübt.
Ich habe kein Geld, bin fast pleite. Meine Probleme haben mich nahe an den Abgrund gebracht und stehen bereit, mich in diesem Abgrund zu versenken. Es ist nicht so, dass ich diesen materiellen Luxus nicht mit jeder Faser meines Lebens haben möchte. Es ist nicht so, dass ich nicht in Geld schwimmen und mit Geld um mich werfen möchte. Ich kann es nur einfach nicht.
Und so muss ich mir notgedrungen meinen eigenen, ganz persönlichen Luxus schaffen – und merke, wie anders der wirkt.
Was ist wirklich Luxus? Ist es ein Gefühl, eine Befriedigung, Reichtum? Oder muss ich Luxus ganz woanders suchen?
Und mehr und mehr komme ich darauf, dass Luxus nicht materiell ist – auch wenn materieller Reichtum ihn erzeugen kann. Luxus: Das ist für mich ein Gefühl. Das ist für mich Lebensfreude. Das ist für mich Wohlfühlen. Das ist für mich einfach die Möglichkeit, glücklich zu sein. Eine Möglichkeit, die ich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr verlernt habe. Reichtum kann Luxus vortäuschen. Reichtum kann Luxus aber auch verhindern. Denn was bringen mir 90% meiner ganzen Luxusartikel-Einkäufe? Schlechtes Gewissen. Panik. Depression. Das Gegenteil von Luxus.
Ich sitze am wunderschönen alten Schreibtisch meines Vaters (0€), nippe am wohlig-warmen Latte Macchiato aus meiner Kaffeemaschine (0,15€), genieße den sauer-erfrischenden Geschmack meines selbstgepressten Soda-Zitron (0,12€) rieche das wohltuend entspannende Aroma meiner Duftkerze (Verbrauch für heute 0,2€) und verleihe meinen Gefühlen am Computer (den ich ohnehin schon habe – also 0€) – das Ganze emotionell tief bewegt durch „Furious Angels“ von Rob Dougan aus Matrix auf Spotify (0,15€ für den halben Tag). Macht Luxus für ein paar Stunden um 0,62€.
Gut, da wäre dann noch das Argument mit dem Fuchs und den sauren Trauben. Und dieses Argument kann ich nicht vom Tisch wischen. Klar wäre es toll, viel Geld zu haben, ein Haus, ein Auto, eine Luxus-Heimkino-Anlage. Aber all das ist derzeit einfach nicht drin. Und Hand aufs Herz: Würde es mir damit bessergehen?
Gerade diese materielle Armut ist es, die Neues möglich macht. Joan K. Rowling, mein großes Vorbild, hat gezeigt, was in Armut möglich ist. Sie war teilweise in einer ähnlichen Situation: Die über alles geliebte Mutter viel zu früh verstorben, zu wenig Geld zum Leben, Depressionen, die drohten, das Leben abzuwürgen. Sie hat unheimlich viel davon in ihren Büchern verarbeitet. Am eindrucksvollsten davon bei den Dementoren – jenen Gestalten, die jede Lebensfreude, jede Lebenskraft aussaugen und in der Art ihrer Beschreibung Depressionen auf so unglaubliche Art darstellen – auch für Menschen, die keine Depressionen kennen, fühlbar machen. Rowling ist für mich eine Künstlerin, deren unglaubliche Kraft, deren unglaublichen Stil, deren Macht der Worte niemals vergehen werden.
Manchmal bin ich einfach dankbar, auch dieses unglaublich tiefe Tal durchschritten zu haben und ganz am tiefsten Punkt einen Schatz gefunden zu haben: den Schatz des Lebens, den ich beinahe so achtlos weggeworfen hätte.
Und jetzt ist alles so anders. Ich liebe das Leben. Ich zelebriere das Gefühl – egal, ob es ein ungekanntes Gefühl schierer Lebensfreude ist oder der Schmerz des Unerreichten, der unerfüllten Liebe, der nie gekannten Sehnsucht.
Es ist mehr als ein Moment des Luxus, es ist eine Welle von Emotionen, die mich bis ins Mark erbeben lässt – vom Gipfelpunkt der Lebensfreude ins Tal tiefen Weltschmerzes. Ich lasse mich auf der Welle treiben, gehe mit ihr mit, lerne ihre radikalen Extreme kennen, spüre mich tief in mir selbst, ungestört von materieller Begleitung. Das Leben ist Wahnsinn. Das Leben ist Gefühl. Das Leben ist nackt und frei.
Ihr könnt mir alles nehmen: meinen Job, mein Geld, mein luxuriösen Technik-Gadgets, ja sogar meine Wohnung. Aber meine Gefühle könnt ihr mir nicht nehmen. Den Augenblick des tiefsten, inneren Seins. Den Luxus der Emotion. Die Freude, wieder fühlen zu können. Auch wenn ich materiell am Boden bin, bin ich mir so nah wie nie zuvor.