Nach einigem Chaos im vergangenen Jahr geht das Land am Sonntag zu den Urnen. Ausgerechnet der Favorit darf aber kein Mandat annehmen.
In Prishtina bleibt es politisch spannend: Nach einigem Chaos im vergangenen Jahr wird - weniger als eineinhalb Jahre nach dem Urnengang vom Oktober 2019 - am Sonntag erneut gewählt. Der Grund dafür wirkt auf den ersten Blick technokratisch: Das Verfassungsgericht erklärte im Dezember 2020 die Wahl der Regierung im Juni für verfassungswidrig.
Die Wahl 2019 hatte bei den Stimmenanteilen keinen Erdrutsch gebracht, doch die Stimmung deutete klar auf eine Veränderung der Verhältnisse hin. Erstmals war die aus der Guerillaarmee UCK hervorgegangene, ursprünglich sozialdemokratische und nunmehrige Mitte-rechts-Partei PDK nicht mehr an der Regierung beteiligt - im Unterschied zur linksnationalen VV (Vetëvendosje - albanisch für Selbstbestimmung) des durchaus populären früheren Studentenpolitikers und ehemaligen politischen Häftlings Albin Kurti, die erstmals in eine nationale Koalition eintrat und mit Kurti auch den Premier stellte. Sie war eine Koalition mit der liberal-konservativen LDK und einer serbischen Liste eingegangen.
Lange hielt das Bündnis nicht: Weniger als zwei Monate nach der Angelobung stimmten 82 der 120 Parlamentarier einem Misstrauensantrag zu. Auslöser war die Entlassung von Innenminister Agim Veliu (LDK) durch Premier Kurti ohne Absprache mit seiner Partei, nachdem Veliu wegen der Corona-Pandemie öffentlich den Notstand ausgerufen hatte. Die LDK sprach von einem Koalitionsbruch.
Doch die Stimmung war schon zuvor sehr labil gewesen. Es gab ständige Reibereien zwischen Kurti und Staatspräsident Hashim Thaci über die Frage, wer ein Verhandlungsmandat auf internationaler Ebene haben solle, sowie mit dem US-Sondergesandten Richard Grenell, der im Auftrag von Präsident Donald Trump mit einigem Druck einen Deal zwischen Serbien und dem Kosovo erreichen sollte. Kurti stand dabei im Weg, da er - nach Ansicht zahlreicher Beobachter nicht ganz zu Unrecht - die Intransparenz des Prozesses bemängelte. Dass seine VV hin und wieder durchaus mit dem politisch hochsensiblen Thema einer Vereinigung des Kosovo mit Albanien liebäugelt, sorgte in der Debatte durchaus für Zündstoff.
Am 3. Juni schließlich wählte das Parlament den Ökonomen Avdulla Hoti (LDK) zum neuen Premier - mit 61 von 120 Stimmen denkbar knapp. Hier liegt auch der Hund begraben, denn einer der zustimmenden Abgeordneten war wegen einer gerichtlichen Verurteilung eigentlich gar nicht stimmberechtigt. Folgerichtig erklärte das Verfassungsgericht Hotis Wahl für ungültig und ordnete Neuwahlen zum Parlament an.
Erwartet wird nun ein erneuter, klarer Sieg der VV. Was das für die Zukunft des Landes bedeutet, ist unklar. Kurti selbst darf wegen einer rechtskräftigen Verurteilung aus dem Herbst 2018 nicht kandidieren. Seine Partei dürfte aber in die Lage kommen, eine Regierung zu bilden. Wie sehr die oft ungestüme Truppe den Weg der Diplomatie beschreiten wird, bleibt ebenso abzuwarten wie die Rolle Kurtis selbst, dessen Einfluss in seiner Partei ungebrochen ist. Auffällig ist die starke Rolle der Gerichte, deren Urteile auch umgesetzt werden. Eines ist also klar: Der junge Staat geht, unbeschadet aller politischer Turbulenzen, kompromisslos den Weg der Rechtsstaatlichkeit.
Dieser Kommentar erschien ursprünglich hier: https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2092739-Rechtsstaatlichkeit-trotz-Chaos-Kosovo-waehlt-erneut.html