Ein brennendes Thema, von Schweigen umhüllt. Elisa Ludwig von Políticas hat drei Menschen aus der Szene zu ihrer Haltung, ihren Motiven und ihren Erfahrungen mit Pornographie interviewt: die  Pornodarstellerin Liandra Dahl, die Pornographin Erika Lust und den Autor Patrick Catuz.

Fast jeder und jede hat schon einmal einen gesehen – dennoch spricht kaum eine*r offen darüber: die Rede ist von Pornofilmen. Pornographie hat ein anrüchiges Image, Pornos werden meist heimlich konsumiert und in der öffentlichen Debatte seit Jahrzehnten von den Verbotsforderungen Alice Schwarzers heimgesucht. Die Stimme hinter „EMMA“ mag laut sein, aber sie ist bei Weitem nicht die einzige – und die Anderen werden zahlreicher.

„PorNO“, eine Kampagne die Schwarzer in den späten 70ern gegen Pornographie lancierte, erfährt alle Jahre wieder eine recht wirkungslose Wiederbelebung. „An den Arbeitsbedingungen der Darstellerinnen, an ihren Machtspielräumen bei den Produktionen und generell am sexistischen Mainstream ändert sich dadurch gar nichts“, meint der Autor Patrick Catuz. „Feminismus fickt!“ lautet der Titel seines Buches und damit wolle er zum Ausdruck bringen, dass Feminismus als politische Bewegung insgesamt genauso vielfältig sei, wie die Pornographie selbst: Es gebe sehr viele Frauenrechtler*innen, die (gefilmte) Sexualität durchaus genießen und kein Problem mit erotischem Entertainment hätten. Catuz weiß wovon er spricht. Als engagierter Feminist arbeitete er selbst ein Jahr lang in Barcelona bei den Produktionen der schwedischen Pornographin Erika Lust mit.

Das breite Spektrum des erotischen Films

Sie ist Politikwissenschaftlerin, Feministin und Mutter von zwei Kindern. Internationale Bekanntheit erlangte Erika Lust jedoch beim Drehen von Pornofilmen. Nach einigen enttäuschenden Erkenntnissen als Zuschauerin von Pornos, neben einem 40-Stunden-Job und ohne Geld, entschied sie sich vor 15 Jahren dazu, selbst zur Kamera zu greifen. Heute hat sie ihre eigene Produktionsfirma, zig Angestellte und ist eine prominente Vertreterin des Genres. „Pornographie muss sich verändern, sich hin zu einem geschlechtsbewussteren Medium entwickeln.“, so Lust. Die Verbotsdebatte hält Lust für „einen großen Schritt in die falsche Richtung. Er bedroht die freie Meinungsäußerung. Auch wenn wir Pornos illegalisieren, sie würden niemals von der Bildfläche verschwinden. Erotische Filme sind ein Mittel, um unseren körperlichen Leidenschaften Ausdruck zu verleihen“.

Expert*innen sind sich einig wenn es darum geht, dass Pornographie nicht bloß Szenen zum schnellen Triebabbau bereit stellt, sondern währenddessen immer auch Inhalte vermittelt. Rollenvorstellungen, Bilder von Machtverhältnissen, Unterwerfung, Ausbeutung oder sogar Gewalt – sie dringen direkt in unser Unbewusstes und formen unsere Sicht auf die Welt. In einer groß angelegten Untersuchung von 46 Studien fanden britische Wissenschaftler*innen heraus, dass der Konsum von Mainstream-Pornographie eher zu sexueller Gewalt, einer negativen Haltung gegenüber Intimbeziehungen und zu einer Abwertung von Frauen führt (1). Aber es gibt im filmischen Erotik-Metier auch ganz andere Bilder, solche von Zuneigung, ob zwischen zwei oder mehr Menschen, und von ihrer Freude an der echten Lust, die sie miteinander ausleben.

Catuz ist nicht allein, wenn er konstatiert, dass Amateur-Pornographie aus einem ganz bestimmten Grund boomt: „Das Publikum – ob männlich oder weiblich – ist zunehmend gelangweilt von den immer gleichen, unrealistischen Darstellungen, die kaum etwas mit ihrem eigenen Begehren zu tun haben.“ Deshalb steht die konventionelle Pornobranche unter Druck. Es würden fast nur noch Filme gedreht, die den Anschein von „Amateur“ erwecken sollen, aber in Wahrheit aus der Mainstream-Produktion stammen. Was aber ist der Unterschied zwischen Mainstream- und feministischer Pornographie?

Pornos von Frauen stellen sich die meisten als ödes Strand-Szenario mit hausbackenen Plots für Blümchen-Liebhaber*innen vor. Vorurteile gibt es überall: „Dreckiger Sex, saubere Werte!“, ist demgegenüber das Motto von Erika Lust. Es ginge ihr nicht um Zensur von angeblich erniedrigenden Praktiken, sondern um „die Porträtierung von modernen Frauen, durch das Zeigen ihrer wahren Sexualität und ihres wahren Begehrens. Mainstream-Pornos hingegen sind phantasielos, männlich dominiert und voll von Klischees. Sie wiederholen eine unendliche Routine von aufeinander hämmernden Genitalien ohne Narrativ. Wenn dieser Mainstream nicht dermaßen chauvinistisch, sondern wertschätzend in der Abbildung von Frauen wäre, hätte er ein breiteres Publikum.“

Menschen vor und hinter der Kamera

Liandra Dahl ist Akademikerin und hat Alte Geschichte und Literatur studiert, als sie sich zum ersten Mal beim Sex filmen ließ: „Schon als Jugendliche war ich frustriert aufgrund der herrschenden Scheinheiligkeit. Wenn Männer ein abwechslungsreiches Sexualleben haben, werden sie gefeiert – doch Frauen sollen sich dafür schämen?“ Psychoanalytiker*innen sprechen hier vom „Madonna-Hure-Komplex“, einer Wahrnehmungsstörung gegenüber Frauen. Es sei ein männlicher Blick, der sich gesamtgesellschaftlich durchgesetzt habe und Frauen in diese total widersprüchlichen Kategorien einteile. Die „Heiligen“, die Mütter und die Ehefrauen würden als Versorgerinnen nicht bedrohlich wirken, als Besitz betrachtet und damit recht wenig sexuellen Reiz ausüben. Die angeblich Anderen, die Verruchten und „Prostituierten“, wären zwar sexuell kurzfristig erreichbar, man(n) könne aber nie über sie verfügen und eben diese Unabhängigkeit begründe ihre Anziehungskraft. Genau dafür müsse man sie wiederum „bestrafen“, womit sich die soziale Herabsetzung von Frauen erklären ließe, die man mit einer unbändigen (bzw. ungebändigten) Sexualität in Verbindung bringt.

Die Porno-Darstellerin Dahl will sich dieser Scham- und Schuldkultur jedoch nicht beugen und kritisiert trotzdem die problematischen Darstellungen in den herkömmlichen Porno-Filmen: „Ich bin eine höchst sexuelle Frau und liebe das performen. Die Arbeit innerhalb der ethischen Pornographie hat mir geholfen diese antrainierte Scham los zu werden. In Mainstream-Filmen würde ich jedoch nie mitspielen, weil ich gegen die Geschlechter-Stereotype bin, die sie aufrecht erhalten und verstärken.“ Ein bisschen erinnern sie an Karikaturen, diese Frauen & Männer in den üblichen Streifen, es handle sich nun mal um die nötige Inszenierung im Rahmen eines profitablen Jobs. Als Insiderin und Freundin vieler anderer Performerinnen glaubt Dahl, dass es ökonomische Gründe hätte, wenn Frauen im sexistischen Genre mitarbeiteten.

Sexualkunde 2.0

Patrick Catuz sieht die wirtschaftliche Ermächtigung als ein Merkmal feministischer Pornos, denn „weiter als bis zur Visagistin schaffen sie es hinter der Mainstream-Kamera meist nicht. Erika Lust und andere feministischen Pornographinnen zeichnen sich eben auch dadurch aus, dass sie Frauen mitgestalten lassen, dass Frauen was zu sagen haben, dass sie eine bislang sehr dicke gläserne Decke durchbrochen und sich den erotischen Film angeeignet haben.“ Frauen haben Spaß an Körperlichkeit und Sexualität, sie begehren genauso leidenschaftlich wie Männer und sie können täglich die engen Grenzen gesellschaftlicher Rollenvorstellungen überwinden, ohne dabei an Intellekt, Würde oder Bedeutung verlieren zu müssen.

Pornographie ist dabei populärer denn je zuvor und verbreitet in der typischen Variante immer noch Urzeitmodelle von Männlichkeit und Weiblichkeit. Die kinderleichte Verfügbarkeit verlieh dem Porno Autorität im Sinne einer Sexualerziehung, insbesondere weil fast alle Jugendliche mit ihm in Berührung kommen.

Die allgemeine Tabuisierung von lustvoller Sexualität einerseits und die Zugänglichkeit von diskriminierenden, aber mit sexueller Lust konnotierten, Pornos andererseits, könnte man als gesellschaftlichen Leichtsinn bewerten. Die Erotikfilm-Landschaft durch neue und angemessenere Formate aufzuwerten, halten in diesem Zusammenhang viele für eine gute Idee. Das äußert sich nicht zuletzt in steigenden Zugriffsraten. Das, was Menschen immer stärker in vorgeblichen Amateur-Filmen suchen, bietet FemPorn tatsächlich an: Eine authentischere Illustration von Sexualität. Dem feministischen Anspruch einer gerechten Welt stünde das absolut nicht im Wege, ist Erika Lust überzeugt, denn „wenn wir die Bilder von Frauen im ‘Erwachsenenfilm’ verändern, wird sich ihre Darbietung auch in allen anderen Medienformaten zum Besseren entwickeln.“ Lust fordert uns schließlich auf, nicht zu vergessen: „Der Porno zählt zu den wichtigsten Instrumenten der Sexualkunde, die wir haben. Lasst uns einen guten Unterricht daraus machen!“

von Elisa Ludwig von Políticas // www.facebook.com/politicasblog

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Bernhard Juranek

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