Wohnungen. Straßen. Kindergärten und Schulen. Krankenhäuser. Verkehr. Steuern: Politische Diskussionen drehen sich um so manches, aber eher selten um die Natur. Es scheint, als würde alles was auch nur in die Nähe von “Öko” kommt, von vielen entweder routinemäßig Außen vor gelassen oder skeptisch beäugt. Manchmal auch heftig bekämpft. Der lauteste Protest übersteigt meist nicht das Level des Konsum-Aufrufs: “Kauft heimisches Saisongemüse!”. Shopping gegen Umweltverschmutzung? Eine ziemlich aussichtslose Strategie. Nur ein Bruchteil der Umweltbelastungen geht auf Kosten der Haushalte. Industrie, Landwirtschaft und kommerzieller Verkehr sind hingegen ein echtes Problem. Daher muss eines klar sein: Ohne politische Forderungen in ihrer notwendigen Vehemenz, wird der Wunsch nach einer gesunden Umwelt von Tag zu Tag unrealistischer.
Das fatale Übergehen überlebenswichtiger Themen trifft als “blinder” Fleck unserer Gesellschaft am härtesten die Ärmsten dieser Welt. Die Missachtung gegenüber realen Naturverhältnissen hängt sogar unmittelbar mit jenen sterbenden Flüchtlingen zusammen, die wir im Augenblick gemeinsam beklagen. Wir akzeptieren beispielsweise, dass gigantische Fangtruppen westlicher Konzerne die Meere leerfischen. Also akzeptieren wir im selben Atemzug, dass vom Fischbestand abhängige Familien verarmen, verhungern und vor ihrer Not fliehen müssen. Ihr Tod im Mittelmeer ist dabei nur die Speerspitze einer Katastrophe, die viel früher begann. Ja, die Rufe nach Mare Nostrum & anderen Rettungsprogrammen sind unbestreitbar wichtig. Aber das allein ändert leider immer noch nichts an den Fluchtursachen der betroffenen Menschen.
Wir müssen uns auch vor Augen halten: Unser Handeln bedroht nicht nur im Süden Existenzen. Auch wir, der sogenannte Westen, wird früher oder später einen hohen Preis für die Raubzüge an der Natur zahlen müssen, wenn nicht endlich ein Einlenken stattfindet. Als Einzelne sowie alle gemeinsam, sind wir unmittelbar mit unserer Umwelt verbunden. Als uns umgebender Raum stellt sie gleichermaßen Lebensgrundlage und Ressourcenquelle dar, macht uns gesund oder aber sterbenskrank. Sie steht am Anfang und am Ende eines jeden Lebens. Dabei nimmt sie eben nicht nur einen funktionalen Stellenwert im Sinne unserer Überlebensfähigkeit ein, sondern trägt auch die Rolle einer Kraft- und (bitter benötigten) Ruhequelle inne. Sommerliche Zusammenkünfte in Parks, Wochenend-Ausflüge in Waldgebiete und steigende Ansiedlungen an den grüneren Stadtrand – sie zeigen ganz deutlich: Wir sehnen uns nach einer gesunden, natürlichen Umgebung. Erst kürzlich erschien dazu eine fast zwei Jahrzehnte andauernde britische Studie (↓), die den Eindruck bestätigt: Die Natur um uns herum stärkt die innere Balance und das persönliche Wohlgefühl, wohingegen ein Übermaß an Beton & Autos eher zu Unausgeglichenheit und Depressionen führt.
Tatsächlich ist unser Verhältnis zur Umwelt nichts desto trotz ein Ambivalentes. Es schwankt zwischen Genuss und Achtlosigkeit. Politik damit in Verbindung zu bringen, liegt einer Mehrheit angeblich eher fern. Ein genauerer Blick beweist jedoch das Gegenteil: Wenn es um unsere eigenen, direkten Lebensräume geht, wenn beispielsweise die Industrie vorherige Grünflächen ersetzen möchte oder ein riesiger Kreisverkehr direkt vor der Haustür gebaut werden soll, tritt plötzlich das geballte politische Potenzial aller Betroffenen zutage. Dann stehen sogar die vorgeblich Unpolitischen mit neu gegründeten Bürgerinitiativen vor den Parteibüros ihrer Bezirke. Was offenbart sich uns da? Es liegt auf der Hand – die Natur ist uns nicht wirklich “wurscht”.
Der Denkfehler
Warum wagt es dennoch nur eine Minderheit, sich zum Thema zu “outen”? Womöglich weil es fragwürdige Reaktionen im Umfeld hervorruft. Man möchte ja nicht den Eindruck erwecken, Bäume, Katzen oder Hühner wären wichtiger, als die großen sozialen Themen … Mehr als “süße Tierfotos” oder rosarote Politiker, die zwar kaum was für die Umwelt tun, aber gerne Bäume umarmen, erträgt “die Masse” nicht. Vielleicht erträgt sie es aber gerade deshalb nicht, weil sie so selten gefordert wird. Die Natur permanent von der Politik zu trennen ist nämlich vor allem eins: Ein gewaltiger Denkfehler. Mitunter sogar ein tödlicher Schachzug. Denn die Naturverhältnisse werden nicht nur maßgeblich durch uns Menschen geprägt, sondern wirken ebenso maßgeblich auf uns Menschen zurück. Klimawandel, Hochwasser, Feinstaub & Co sollten wir in diesem Zusammenhang auch als mahnende Zeugnisse einer turbokapitalistischen Produktionsweise betrachten.
Die ökologische Gestaltung unseres Raumes wird schon jetzt nicht isoliert von sozialen und demokratischen Fragen behandelt. Doch solange wir uns nicht gehörig einmischen, ist es unsozial und undemokratisch. Auf diese Weise geben wir die Macht, die wir real haben, einfach ab und überlassen es Anderen, über unsere eigene Gegenwart und Zukunft zu entscheiden. Politiker*innen machen dabei nicht ausschließlich ihr “eigenes Ding”, wie die Meisten zu beschweren belieben, sondern richten sich sehr stark nach der gesellschaftlichen Stimmung. Und wer sonst könnte für diese Stimmung verantwortlich sein, wenn nicht wir selbst? Dass die repräsentative Demokratie wahrlich nicht viele Einflussmöglichkeiten bietet, ist das eine. Demgegenüber steht aber die historische Tatsache, dass sich die Regierenden einem andauernden Druck von Unten über kurz oder lang niemals entziehen konnten.
Dazu müssen auch die großen linken Bewegungen im Sinne ihrer Mobilisierungskraft eines ernster nehmen: Kapitalismus ist Verwertungslogik ist Ausbeutung – auch die Ausbeutung der Natur. Und das zu Verstehen erfordert weder Mitgefühl, noch eine besonders ausgeprägte Verbundenheit zur Natur, sondern ausschließlich einen gesunden Überlebensinstinkt. Wenn die Profitmaximierung so wichtig geworden ist, dass sowohl Menschen als auch Tiere als auch Umwelt zu bloßen Produktionsfaktoren verkommen sind, geht es nur noch bergab. Das Ergebnis daraus gefällt niemandem: Krankhaft überforderte Menschen, essen hemmungslos gequälte Tiere und gentechnisch verändertes Gemüse aus vergifteten Böden – womit sie wiederum ein System am Leben erhalten, dass sie weiter krank macht, Tiere quält und die Natur zerstört. Und dies zu kritisieren, vermeiden wir aus Image-Gründen?
Wir sollten selbstbewusster sein, als solch irrem “Stolz” zu fröhnen. Auch weil in der zu Tode rationalisierten Logik des Kapitals immer jene am nützlichsten sind, die sich am wenigsten zu Wort melden. Glücklicherweise können wir aber Lesen und Schreiben, uns Vernetzen, Darauf Bestehen und Aktiv Sein. Eignen wir uns also jetzt dieses Thema an. Bewahren und vor allem erweitern wir dabei die Orte, in denen wir uns in satter Natur frei vom Konsumzwang erleben können. In denen wir die Abwesenheit des Profit-Wahns dadurch spüren, dass wir Menschen und keine Funktionsträger*innen sind. Ziehen wir die Politik in die Verantwortung und die Unternehmen zur Rechenschaft. Stärken wir das gesellschaftliche Gewissen für die individuellen und globalen Auswirkungen unseres ökonomischen Systems. Das bedeutet auch jene Ideen zu forcieren, die es schon gibt und die uns Perspektiven bieten. Dazu aber müssen wir die Barriere unseres Tiefschlafs in diesen Belangen überwinden – denn nichts wird sich jemals in unserem Sinne bewegen, wenn wir uns selber nicht bewegen.
von Elisa Ludwig und Sebastián Bohrn Mena
Dieser Beitrag erschien zuerst auf "Políticas - Die linke Perspektive" unter www.politicas.at und www.facebook.com/politicasblog
↓ Siehe hierzu ein Video zur Studie der University of Exeter
↓ Foto von Harald Weber
* Europäischer Ländervergleich: Wer verursacht die meiste Umweltverschmutzung?
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