So weit meine Erinnerungen zurück reichen, haben Tiere in meinem Leben eine besondere Rolle gespielt. Als Kind liebte ich die Hühner und Katzen meiner Großmutter väterlicherseits, die von einem Bauernhof stammte. Mein Bruder und ich verbrachten viele schöne Sommer bei ihr und die Tiere waren unsere natürlichen Spielgefährt*innen.

Oder die zwei Meerschweinchen, die mich Jahre meiner Kindheit und Jugend begleitet haben. Sie bewohnten mein Kinderzimmer mit mir – meistens in ihren kleinen Ställen, gerne auch herumlaufend (und sich manchmal irgendwo versteckend). Sie waren dabei, als ich nicht in die Schule gehen wollte, aus Angst vor schlechten Noten. Sie waren dabei, als ich deswegen familiäre Konflikte austragen musste. Sie waren wichtig für mich, als Zuhörer*innen und Trostspender*innen. In einer Zeit, in der ich mich, wie viele andere Kinder auch, manchmal allein fühlte. Und nicht zuletzt die häufigen, prägenden Besuche am Land in Kärnten. Wo ich lieber in Stallmontur mit den Kühen oder Hunden herumgealbert habe, als Mist wegzuräumen … ich erinnere mich an die seltsamen Blicke der Bäuer*innen: “Stadtkind eben”.

Wann immer ich mit Tieren in Berührung gekommen bin, bin ich auch mit einem Anteil von mir selbst in Kontakt getreten. Einem reinen, unbelasteten Anteil. Einem, im besten Sinne des Wortes, kindlichen Anteil. Dennoch habe ich immer Tiere gegessen, bin damit aufgewachsen und habe es auch lange nicht hinterfragt. Fleisch zu essen war bei uns selbstverständlich – vielleicht auch vor dem kulturellen Hintergrund meiner Mutter, meiner Tanten und Onkel, die in den 70er-Jahren als politisch Verfolgte aus Chile nach Österreich geflohen sind. In unserer lateinamerikanisch geprägten, großfamiliären Esskultur, dominierten Completos (übervolle Hotdogs), Chacareros (Sandwiches), Empanadas und Asados (Gegrilltes): Also alles mit viel Fleisch.

Erst vergleichsweise spät kam ich mit dem Tierrechtsgedanken in Kontakt. Nicht über Demonstrationen oder Flugblätter, sondern über meine Lebensgefährtin. Sie, die seit dem 14. Lebensjahr fleischlos lebt, hat mich sensibilisiert für diesen gelebten Widerspruch: Tiere lieben, aber Tiere essen? Nach einer Zeit des innerlichen Kampfes – es ist schwer in sich die Erkenntnis zuzulassen, dass man im Zwiespalt handelt – habe ich beschlossen mich damit näher zu beschäftigen. Ich habe Bücher gelesen, Dokumentationen gesehen, mit vielen Menschen Gespräche geführt. Und schließlich habe ich für mich erkannt: So wie bisher, kann ich nicht weitermachen.

Es ist jetzt 2,5 Jahre her, dass ich zuletzt Fleisch oder Fisch gegessen habe. Ich kann es ertragen, wenn andere Menschen um mich herum Tiere essen, weil ich nicht sehnsüchtig zurückblicke oder etwas vermisse. Mich schmerzt dabei zwar der Gedanke an die Tiere, aber ich finde es nicht sinnvoll Menschen missionarisch zu begegnen, da dies wohl grundsätzlich kein guter Zugang zu Wissens- und Erfahrungsvermittlung ist. Die Ersatzprodukte und die pflanzliche Ernährung im Allgemeinen sind mit der Zeit so köstlich geworden, dass in mir nie der Wunsch nach einem Zurück erwacht. Seit dieser Veränderung aber, beschäftigt mich stetig die Frage nach dem Zusammenleben von Tieren und Menschen.

Abgesehen von der steigenden industriellen Verwertung von Lebewesen – wie gestalten wir unser Miteinander mit jenen, die wir nicht zu Nahrungsmitteln degradieren? Was ist mit den Tieren hinter Gittern: In Zoos, zu unserer Belustigung oder in Labors, als Testobjekte? Welchen Raum geben wir Tieren in der Stadt? Sind Hundezonen wirklich geeignete Umgebungen für Rudeltiere mit ausgeprägtem Bewegungsdrang? Sind sogenannte Schädlinge, wie Ratten und Tauben, ein natürliches Übel das es auszurotten gilt, oder sind die “Probleme” damit nicht menschengemacht? Ist die Versiegelung von Böden aufgrund der Urbanisierung, und damit verbunden die Beschneidung des Lebensraums von Tieren, nicht nur klimatisch kurzsichtig – sondern auch ethisch bedenklich?

Wider die Scheinheiligkeit

Wann immer ich mich mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft unterhalte, entsteht in mir der Eindruck: Wir machen hier als Gemeinschaft viel zu wenig und es gibt nur ein sehr schwaches gemeinsames Bewusstsein dafür. Und wenn ich in weite Teile der Politik blicke, dann verfestigt sich diese Wahrnehmung. Tiere sind oftmals ein “Luxusthema”, sofern sie nicht gerade (Stichwort: Hundekot) zum Ärgernis stilisiert werden. Da kuscheln manche Politiker*innen zwar mit Welpen oder umarmen Bäume, treffen dann aber wiederum Entscheidungen, die das genaue Gegenteil von dem bedeuten, wofür sie angeblich stehen. Nicht, dass diese Scheinheiligkeit exklusiv im Bereich der Tiere zu verorten wäre. Aber besonders offensichtlich wird dieses Messen mit zweierlei Maß, wenn wir zwar liebevoll unseren Hund streicheln, während wir ein – dem Hund sehr ähnliches – Lebewesen gedankenlos verspeisen.

Zuvorderst sind Tiere, meinem Verständnis nach, fühlende Wesen und nicht Nahrungs- oder Produktionsmittel. Wir haben einen Wohlstand erreicht, in dem der Verzehr von Fleisch in keinem Fall der Überlebensnotwendigkeit dient – eher artet es bereits ins Gegenteil aus: Unser Fleischkonsum ist ein zentraler Faktor bei Zivilisationskrankheiten oder Umweltverschmutzung. Vielleicht wirkt aber die religiöse Erziehung zu stark nach, die uns mit ihrem Schöpfungsmythos kategorisch von den Tieren trennt. Seit Darwin wissen wir zwar, dass wir vom Affen abstammen, trotzdem pflegen wir als Menschen eine scharfe Abgrenzung zu den Tieren. Weil sie in einer Sprache sprechen, die wir nicht verstehen? Weil sie nicht dieselbe Intelligenz besitzen, wie wir? Weil sie ihre Emotionen nich so ausdrücken, dass wir sie immer erkennen können? Das sind wie es scheint unsere “guten Gründe”, um die Leidensfähigkeit von Lebewesen mit Füßen zu treten. Obwohl fast jede*r von uns fähig ist, eine emotionale Bindung zu Tieren aufzubauen. Und obwohl niemand von uns gezwungen ist, im Kampf um’s Überleben Lebewesen zu töten.

Ich denke wir stehen am Anfang eines gesellschaftlichen Umdenkens. Die Anzahl der vegetarisch und vegan lebenden Menschen steigt rasant an. Die Wirtschaft hat die Zeichen der Zeit längst erkannt und stellt ihre Produktion um – der Kapitalismus ist schließlich überaus wandlungsfähig. Auch in der öffentlichen Debatte ist es mehr und mehr salonfähig, sich zu den Rechten von Tieren zu bekennen – wenn auch nur zaghaft und mit viel Gegenwind. Nichts desto trotz bin ich davon überzeugt, dass sich diese unvermeidliche Wahrheit vollständig durchsetzen wird: Tiere sind keine Objekte. Behandeln wir sie aber im vollen Wissen um ihr Leid weiterhin so schlecht, verletzen wir uns auch immer ein bisschen selbst damit. Daher ist es nicht nur eine Erlösung der Tiere, wenn wir sie als das anerkennen, was sie sind. Sondern auch ein Stückchen mehr Authentizität gegenüber unseren eigenen Empfindungen.

Ich jedenfalls sehe und spüre: Tiere sind Lebewesen wie wir. Mit Gefühlen und Bedürfnissen, die unseren an vielen Stellen ähneln – daher mit der Notwendigkeit von Schutz und der daraus folgenden Unerlässlichkeit von Rechten, ähnlich den unseren. Je eher wir das in uns zulassen, umso eher werden wir einen wichtigen Anteil in uns befrieden. Und je eher wir mit uns selbst im Reinen sind, um so sichtbarer werden auch auf anderen Gebieten die gelebten Widersprüche. Und um so leichter wird es uns fallen, unser Verhalten entlang unserer Werte auszurichten – Werte wie Frieden, Rücksichtnahme und Empathie. Schließlich sind sie das, was uns im Kleinen wie im Großen am glücklichsten macht.

von Sebastián Bohrn Mena

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