Welcome Mr. President!
Kommt ein gewählter US-Präsident ins Weiße Haus und alle verlieren daraufhin die Fassung. Am Tag der Vereidigung von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten demonstrierten zahlreiche Gegner Trumps auf den Straßen Washingtons, bevor sie dann von der Polizei vertrieben wurden. Einen Tag danach demonstrierten weltweit Hundertausende, vielleicht sogar Millionen gegen den neuen Präsidenten insbesondere wegen seiner Haltung gegenüber Frauen. Alle Protestaufrufe können im Netz unter dem #pussygrabsback nachvollzogen werden.
Ich saß daheim und schaute mir die Vereidigung Trumps im Livestream sowie die vorhergehenden und darauffolgenden Proteste an und wunderte mich. Ich wunderte mich, wieso nicht vor der Wahl zum Präsidenten so große Menschenmassen auf die Straßen in den amerikanischen Großstädte gegangen sind, um gegen Donald Trump zu demonstrieren. Warum musste jemand wie Donald Trump erst gewählt werden, damit sich Widerstand regt? Mit etwas Abstand zu dem Wahlabend und der endgültigen Gewissheit, dass der jetzige US-Präsident Donald Trump heißt, hatte ich etwas Zeit darüber nachzudenken, was da eigentlich passiert ist.
Am Wahlabend, dem 9. November 2016, hatte ich mir keine großen Sorgen darüber gemacht, dass ich schlafen gehen werde und am nächsten Morgen Hillary Clinton als Siegerin aus der Wahlnacht hervorgehen würde. Ich war mir so sicher, dass so eine unsympathische Person wie Donald Trump es nicht wert sei, US-Präsident zu werden. Er, der während des Wahlkampfes jede Gelegenheit nutzte, so ziemlich alles und jeden zu beleidigen, dem er über den Weg gelaufen ist. SO EINER konnte es doch niemals schaffen, dachte ich zumindest. Das Endergebnis kennen wir und ich kann nur allen, die mit derselben Sorgenlosigkeit ins Bett gegangen sind sagen, dass sie sich geirrt haben. Wir haben uns offensichtlich alle geirrt. Auch ein Widerling kann es schaffen US-Präsident zu werden. Nicht, weil er durch sein Außenseiterdasein und seine menschenverachtende Wahlkampfsprache aufgefallen ist, sondern, weil sich mehrere Gründe dahinter verbergen, die zu Trumps Sieg geführt haben.
(1)Donald Trumps Kontrahentin war ebenfalls keine sympathische Kandidatin für viele Amerikaner. Überhaupt haben die Wahlen zum US-Präsidenten bisher immer etwas von einer Erb-Demokratie. Es gibt die Dynastien Bush und Clinton, die schon einmal die Präsidenten gestellt haben und manchmal versuchen Verwandte sich auch am mächtigsten Amt der Welt. Deswegen kann ich alle derzeitigen Forderungen danach, Michelle Obama möge doch bitte 2020 für die Demokraten in den Wahlkampf gehen, nicht gutheißen. Vielleicht ist es auch für die Demokraten an der Zeit, ein paar neue Gesichter für das höchste Amt der USA in den Wahlkampf zu schicken.
Ein anderer Faktor, der erheblich dazu beigetragen hat, dass Donald Trump gewonnen hat, war das amerikanische Wahlsystem (2). Der Präsident der USA wird nämlich nicht direkt gewählt, sondern über einen Umweg: Am Wahltag stimmen die Wähler zwar für ihren Kandidaten in ihrem jeweiligen Bundesstaat, doch in Wirklichkeit muss jeder Kandidat in jedem Bundesstaat die Wahlmänner erringen. Alle Wahlmänner (natürlich auch Frauen) zusammen ergeben dann das Electoral College, das Wahlkollegium. Dieses Kollegium wählt dann später den Präsidenten. Bei so einer indirekten Wahl ist es möglich, dass sich auch unpopuläre Kandidaten durchsetzen, wenn sie genügend Wahlmänner in den bevölkerungsreichsten Bundesstaaten erinngen, weil diese mehr Wahlmänner haben, als kleinere.
Mir persönlich ist es in den Vorwahlen (3) schon sauer aufgestoßen, dass Bernie Sanders seine Kandidatur gegenüber seiner Kontrahentin Hillary Clinton aufgegeben hat. Während der Vorwahlen war ich der Ansicht, dass die Demokraten mit Sanders einen besseren Kandidaten gehabt hätten, der vielleicht dafür gesorgt hätte, dass dieser Wahlkampf nicht zu der Schlammschlacht geworden wäre, zu der er nun mal wurde. Das ist für mich die größte Niederlage für die Demokratie überhaupt: das Niveau der politischen Kommunikation. Ich konnte mich gegen Ende des Wahlkampfes eigentlich kaum noch an die politischen Ziele beider Kandidaten erinnern, weil alle Beteiligten lautstark damit beschäftigt waren sich gegenseitig mit Schmutz zu beschmeißen. In dieser Schlammschlacht wirkte Donald Trump lange Zeit unterlegen, doch am Tag nach der Wahl hatte ich und sicher viele andere, ihr Erweckungserlebnis.
Zur Zeit ist Weltuntergangsstimmung in deutschen Zeitungen, weil Trump, wie von ihm angekündigt, nicht nur eine andere, sondern wahrscheinlich eine komplett entgegengesetzte politische Agenda im Vergleich zu Obama hat. Dass sich jetzt alle aufregen, dass der Präsident viele seiner während des Wahlkampfes angedeuteten Ideen durchsetzen möchte, ist obskur. Vielleicht atmen wir kurz durch und lassen den Mann im Amt ankommen. Ich habe zurzeit einfach nur das Bedürfnis, ihn zu beobachten und zu sehen was er macht. Das mediale Geschrei vor dem, was er machen könnte, übertönt zurzeit alles. Wir müssen jetzt darauf achten, dass unser Aufjaulen nicht zu laut wird, weil uns vielleicht dabei entgehen könnte, was Präsident Trump wirklich tut.