Als Weißer kommt man in Europa auf die Welt und neigt nicht dazu, sich früh im Leben mit seinem Weißsein auseinanderzusetzen. Auch Weiße gehören einer gesellschaftlichen Gruppe an, die in der Regel unsichtbar bleibt. Diese Gruppe macht sich selbst nicht zum Thema. Dass auch diese Gruppe Teil des gesellschaftlichen Machtkampfs ist, merken alle, die zu einer Gruppe gehören, die von Weißen benannt und tituliert wird. Weist eine andere Gruppe darauf hin, dass sie so nicht benannt werden möchte, sind oft wortgewaltige und zum Glück immer seltenere handfeste Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Weiße verstehen nicht vollständig, wie es sich anfühlt, von Fremden definiert und bestimmt zu werden. Kein Mensch kann es lange tolerieren, fremdbestimmt zu werden. Sie als Leser auch nicht. Fremdbestimmung ist keine Freiheit light. Es ist die Unfreiheit sich selbstbestimmt artikulieren zu können. Viele Weiße können das nicht einmal ansatzweise nachempfinden. Im Folgenden soll erklärt werden, warum das so ist.
An diesem Punkt meldet sich schon innerhalb der kritischen Leser eine Fraktion, die sich mal mehr oder weniger emotional aufs Äußerte dagegen wehrt, als Weißer bezeichnet zu werden. Von Aktivisten wird dieses Phänomen als weiße Fragilität bezeichnet, weil diese teils heftigen Reaktionen von Weißen auf ihre Identifikation mit dem Weißsein für viele das erste Mal ist ihre eigene körperliche Beschaffenheit zu hören und kurz zu hinterfragen. Normalerweise ist es für sie eine liebe Gewohnheit die Norm darzustellen, deswegen fühlt sich für viele Weiße der Hinweis darauf, dass sie Weiße sind eher wie ein Angriff, als eine Feststellung an.
Für uns Weiße ist es eine Gewohnheit als Individuen wahrgenommen zu werden und daher für manche nur schwer erträglich in eine Gruppe gesteckt zu werden. Denken Sie mal daran, wenn sie jemand anderes in eine Gruppe stecken, zu der er oder sie sich gar nicht zuordnet und von anderen zuordnen lassen will.
Eine andere kritische Leserfraktion wendet ein, dass die Verwendung der Hautfarbe als Bezeichnung schon rassistisch sei und es besser wäre, nur den Menschen dahinter zu sehen. Diese, ironisch zur echten Farbenblindheit, genannte colour blindness, bezeichnet also den Drang Kategorien wie weiß, person of color (für eine nicht-weiße Person) und people of color (Plural) deshalb abzulehnen, weil sie für das gesellschaftliche Zusammenleben vermeintlich keine Rolle spielen. Leider spielen diese Kategorien, wie wir nicht nur in den USA in den letzten Jahren und Jahrzehnten, sondern auch bei uns, miterleben konnten, sehr wohl eine Rolle. Solche Kategorien zu ignorieren oder gar abzulehnen ist die Verweigerung über gesellschaftliche Realitäten nachzudenken (wie auch immer diese im Detail aussehen mögen, darüber kann man immer diskutieren). Die Amerikaner sind uns in der Verwendung solcher Begriffe und in dem führen solcher Diskussionen doch um einiges voraus.
Deswegen lohnt es sich einem Menschen, einer person of color, erst einmal zuzuhören, wenn sie sagt: „Begriffe wie Capuccino, Schocki oder das N-Wort verletzen mich. Nenn mich bitte bei meinem Namen, aber lass diese exotisierenden und degradierenden Namen, die mit meinem Leben und mir als Person nichts zu tun haben.“ Kein Weißer möchte permanent mit komischen Namen betitelt werden und wir sprechen noch nicht über die makabren Assoziationen, die mit manchen Begriffen verbunden sind. Sind ja nicht alle Weißen pädophile Holocaustleugner, gell!? Auch wenn es den einen oder anderen Einzelfall geben mag in dem das so sein mag. Es wird keine person of color beim nächsten öffentlich gemachten Missbrauchsfall daherkommen wird und sagen: „So sind sie die Weißen. Kennste einen, kennste alle!“
Niemand streitet ab, dass Sie als Weißer ein Individuum sind und sie werden auch so behandelt. Wenn Sie wissen wollen, wie es denen ergeht, die nicht-weiß sind, müssen sie einen Perspektivwechsel vornehmen, bis sie zu der Erkenntnis gelangen mit vielen Privilegien Sie ausgestattet sind, die Sie für das Selbstverständlichste von der Welt halten. Glauben sie people of color, dass diese Privilegien nicht für alle selbstverständlich sind. Damit das hier kein Traktat der weißen Privilegien wird, beschränken wir uns auf drei Privilegien. Es gibt noch viel mehr.
1. Es wurde bereits angedeutet: Sie halten es für selbstverständlich, dass sie als Individuum als Teil der Bevölkerung betrachtet werden. Niemand hinterfragt das.
2. Sie dürfen alle Menschen die nicht-weiß sind, in selbstgewählte Kategorien zuordnen, ob diese Menschen das wollen oder nicht, spielt für sie keine Rolle. „Die sollen sich nicht so anstellen“ ist dabei eine beliebte Begründung, die alles legitimiert, auch das N-Wort.
3. Und das scheint mir für Weiße essenziell zu sein: Sie müssen auf Rassismus gar nicht oder nur selten reagieren. Wann haben sie das letzte Mal unter Weißen über den Rassismus gesprochen, der ihre nicht-weißen Mitbürger betrifft!? Ist uns Weißen das wirklich so dermaßen egal?
Und nein, Rassismus ist kein besonderes Privileg einer Gruppe. Jeder kann rassistisch sein, sich rassistischen Strukturen hingeben und sich einer Gruppe rassistisch gegenüber verhalten. Es stimmt auch, dass dieses Begriffspaar weiß und people of color die Gefahr birgt, zu einer vereinfachenden Dichotomie zu verkommen (die bösen Weißen und die nicht-weißen sind die Guten). Deswegen ist die Analyse der Machtverhältnisse das A und O in der Frage: Wer bestimmt eigentlich über wen? Und in Europa sind die Weißen in der Mehrheit.
Bezeichnungen wie people of color sind ein Sprachangebot (keine Pflicht! Keine Verordnung!), damit man nicht auf etwas hilflose Bezeichnungen zurückgreifen muss, die entweder aus der Kolonialzeit (N-Wort, Mohr) stammen oder aus Menschengruppen Gegenstände (Capuccino, Schocki) machen. Beides scheint kontraproduktiv zu sein, wie man an den deutlichen Reaktionen erkennen kann, wenn man zuhört. Es geht darum einander respektvoll gegenüber zu treten. Denn am Ende des Tages wollen wir alle respektiert werden.
Und wenn sie sich über die empörte Reaktion einer nicht-weißen Person wegen eines einfachen Wortes empören. Schalten Sie einen Gang runter, auch wenn es schwer ist und überlegen kurz, wie oft ihr Gegenüber schon von Fremden rassifiziert wurde und wie oft ihnen das widerfahren ist. Wenn Sie diesen Gedankengang einmal zur Sprache bringen, sollten sich die Wogen glätten. Und wie Sie an diesem Text gemerkt haben, kann man sich über das Thema auch unterhalten ohne Weiße pauschal als Rassisten abzustempeln.
Offenbarung: Der Autor des Textes identifiziert sich als weiß.