Pommes Leibowitz | Argumente gegen „falsche Meinungen“? Argumente frei Haus, für und gegen alles? Das Internet macht's möglich!
Ich stieß mehr oder weniger durch Zufall darauf, als ich zum Begriff „Argumentation“ recherchierte. Schwups klappte die automatische Suchwort-Ergänzung auf und präsentierte ungefragt „argumente gegen afd“, „gegen fdp, tierversuche, impfen“ usw. Alles, was das denkbefreite Meinungsherz begehrt.
Wo liegt der Denkfehler dabei?
Hat man seine Meinung geerbt? Ist sie gar angeboren? Irgendwo gefunden? Gefühlsmäßig und nach Gutdünken ausgewählt? Alles, was sich gut anfühlt, muss auch wahr und richtig sein? - Und jetzt sucht man also nach Argumenten, um seine „Meinung“ zu verteidigen, denn die persönliche Meinung ist ja heilig?
Hat der Pommes gemacht!
Wie aber ist man zu seiner „Meinung“ gekommen, wenn man dann nach Argumenten dafür suchen muss? Und noch entscheidender: Warum behält man eine Meinung bei, für die man offenbar keine Argumente hat? Wäre nicht normal, zumindest nach „Pro und Contra Listen“ zu suchen, um seine Meinung zu überprüfen. Oder den Austausch mit anderen Menschen, Standpunkten, Blickwinkeln zu betreiben, statt nach Argumenten für oder gegen etwas zu recherchieren?
Mal ehrlich, normaler Weise sucht man doch Informationen über einen Sachverhalt, bildet sich daraus seine Meinung, und kann dann aus dieser, auf Fakten und logischen Schlüssen basierenden, Meinung heraus argumentieren. Wie funktionieren Menschen, die die Meinung schon vorher haben - scheiß auf die Fakten - und dann nach Argumenten für ihre gefühlte Wahrheit, ihre ideologische Vorgabe suchen?
Verwandt mit der Suche nach Argumenten für „die eigene Sache“ ist übrigens auch die selektive Suche nach Fakten, die die eigene Meinung bestätigen.
Man füttert gewissermaßen seine Meinung.
Einige Blogger wollen gar die ganze Welt damit füttern, mit ihren selektiv ausgesuchten Fakten, angelesenen Argumenten und last but not least: Ihrer persönlichen, heiligen, über Realität und lästigen Fakten erhabenen Meinung.
Man könnte das auch intellektuelle Inzucht nennen, geistiges Inseldasein. Man sucht nicht den Austausch mit anderen Sichtweisen, man versucht gar nicht erst, die Komplexität der Realität und ihre schier unendliche Faktenfülle zu erfassen, sondern man zieht sich in die Burg seiner heiligen Meinung zurück und verteidigt sie gegen die Angriffe, nicht nur anderer Sichtweisen und Meinungen, sondern schlicht gegen die Realität.
Hat der Pommes gemacht!
Welche Aussagekraft haben „Argumente“:
Dazu will ich kurz auf die Begrenztheit logischer Schlüsse eingehen. Eine Vielzahl von Argumenten basiert ja eher auf gefühlsmäßigen oder moralischen Kriterien, folgt gewissermaßen einem moralischen Imperativ und glaubt, damit über Vernunft und Fakten zu stehen. Mit anderen Worten, versucht gar nicht erst, logisch zu sein. Dazu später mehr. Aber auch die scheinbar logischen Argumente basieren fast immer auf selektiver Auswahl der Fakten oder auf dem Ignorieren der Tatsache, dass es verschiedene mögliche Schlussfolgerungen gibt. Dazu zwei Beispiele:
Die meisten Argumente bewegen sich auf monokausaler Ebene, zB. Steuererhöhung = mehr Steuereinnahmen. Oder Verzicht auf Fleisch = weniger Tierleid.
Das ist durchaus logisch, basiert aber auf Reduktion der Einfluss nehmenden Faktoren und führt damit zwangsläufig zu falschen Ergebnissen. Wie eine mathematische Gleichung, aus der man einzelne Faktoren entfernt. Tatsächlich löst eine Steuererhöhung ein ganzes Bündel von Folgen aus, die in ihrer Gesamtwirkung womöglich sogar zu niedrigeren Einnahmen führen. Ein paar (nicht erschöpfend aufgezählte) Gründe:
1. Die Steuererhöhung führt zu Kapitalflucht und Investitionsvermeidung. Der Umsatz der Wirtschaft schrumpft und damit auch die Steuereinnahmen, trotz höheren prozentualen Anteils am Umsatz.
2. Der Steuererhöhung führt zu höheren Preisen und höheren Abgaben (eben den Steuern). Dadurch ist der Konsum rückläufig und die Umsätze und damit die Steuereinnahmen sinken.
3. Die Steuererhöhung führt zu größerer Bereitschaft und größerem Energieaufwand, alle legalen und illegalen Mittel der Steuervermeidung auszuschöpfen. Eine legale Möglichkeit ist zB. statt zu versteuernden Gehältern absetzbare Vergünstigungen wie zB. Dienstwagen, Aktienbeteiligungen usw. anzubieten. Weitere Möglichkeiten sind, absetzbare Investitionen, die den Wert des Unternehmens steigern, ohne seine Gewinne zu steigern. Die also geschäftlich gesehen suboptimal sind, aber dennoch Gewinn bringen, weil sie legal an der Steuer vorbeigehen. So werden Reiche immer reicher, zahlen aber keine Steuern. Die Steuereinnahmen sinken.
Ich will diese Diskussion nicht zu Ende führen, sondern nur demonstrieren, dass die meisten Argumente, selbst wenn sie logische Schlüsse sind, nicht mal versuchen, die Realität in ihrer Komplexität zu erfassen.
Der zweite, vielen logischen Argumenten anhaftende Fehler ist, dass durchaus mehrere logische Schlussfolgerungen möglich sind. Dazu ein Beispiel (aus Wikipedia):
Vier Personen machen ein Picknick, zwei von ihnen werden krank.
Anne (krank) ist im Fluss geschwommen, hat Pudding gegessen, Bier getrunken und war die ganze Zeit in der Sonne. Bertie (krank) ist nicht geschwommen, hat keinen Pudding gegessen und war oft im Schatten, hat aber ebenfalls Bier getrunken. Cecil (gesund): hat sich wie Anne verhalten, hat aber kein Bier getrunken. Dennis (gesund): wie Bertie, hat aber kein Bier getrunken.
Der Analytiker fertigt sich eine kleine Übersicht an:
https://de.wikipedia.org/wiki/Induktion_(Philosophie)
Die zunächst naheliegende Schlussfolgerung wäre: 2 haben Bier getrunken und sind krank geworden, also war das Bier giftig/verunreinigt.
Tatsächlich erlaubt selbst diese modelhaft vereinfachte Datenlage aber mehrere Schlussfolgerungen:
1. Das Bier ist tatsächlich die Ursache der Erkrankung.
2. Die Krankheit der Beiden ist nur die Ursache für den Durst bzw. den Appetit auf Bier.
3. Das Bier ist Auslöser für den Ausbruch der Krankheit, aber nicht deren Ursache.
Politische und insbesondere ideologische Argumentation kommt aber meistens nur zur ersten Schlussfolgerung. Diese ist zwar logisch, aber eben nicht zwingend.
Kommen wir zurück zum moralischen Argument, dem moralischen Imperativ. Viele Leute glauben, weil sie moralisch empört sind, oder „höhere“ moralische Werte vertreten, über anderen Menschen zu stehen, ja – noch irrsinniger – über der Realität. Was aber nutzt Moral ohne den planenden und regulierenden Verstand? Moral ohne Plan und Vernunft ist wie Herz ohne Verstand. Sie richtet mehr Unheil als Nutzen an. Erst der Verstand sorgt dafür, dass moralische Ziele und Vorgaben auch erreicht werden können. Und nur der Verstand kann auch mal Fünfe gerade sein lassen und so Eiferei und Inquisition der Moralapostel, die nicht nur in Religionen sondern auch in politischen Ideologien immer wieder zu beobachten ist, vermeiden.
Bei den PI-News, die ja unter dem Veracht stehen, „rechtspopulistisch“ zu sein, wird übrigens ebenfalls (wie auch bei fast allen NGOs, Parteien, Ideologien) ein Argumente-Workshop angeboten, wie man "Jede Debatte gegen Linke gewinnt". Dort allerdings mit ironischer Kernaussage: Einfach bei den Fakten bleiben, damit kann man fast jedes „Argument“ widerlegen bzw. der per Internet geschulte Argumentierer beginnt früher oder später, sich selbst zu widersprechen. Eine Erfahrung, die man auch hier im Forum quasi täglich machen kann ...