Kritik will niemand hören! Freunde kritisiert man nicht! Minderheiten kritisiert man nicht! Mehrheiten erst recht nicht! Solidarität und positives Denken sind wichtiger!

Zwar hat jeder verinnerlicht, dass Kritik und Kritikfähigkeit irgendwie wichtige Dinge sind. Allein, an der Umsetzung hapert es meist.

Kritik wird oft als Nestbeschmutzung empfunden. Man kritisiert nicht die Gruppe, zu der man gehört. Man beißt nicht in die Hand, die einen nährt. Man mag es nicht, wenn Freunde, oder gar man selber, kritisiert werden. Gibt doch genug andere, die man kritisieren kann.

Warum Merkel, Schulz, Kurz und Kern kritisieren, wir haben doch Trump. Warum die eigenen Reihen kritisieren, wir haben doch die andere „Himmelsrichtung“. Links gegen Rechts, je nach Standpunkt und Blickwinkel. So herrscht immer Ordnung, und man weiß, wo Gut und Böse verortet sind und wo man selber verortet ist.

Aber kann Kritik überhaupt „Nestbeschmutzung" sein? Ist sie nicht im Gegenteil das tägliche Putzen und Aufräumen? Angefangen von der Selbstkritik, bis hin zum persönlichen Umfeld, dem Arbeitplatz, dem Sportverein oder der Social Community, in der man sich bewegt? Wenn ich z. B. einen Krümel vom Boden aufhebe, ist das dann Kritik an der Hausherrin/Gastgeberin, oder will ich nur vermeiden, dass er breitgetreten wird? Okay, das ist jetzt einer dieser Grenzfälle. Das ist ja, als wenn man jemandem ein Deo schenkt. Und Kritik darf natürlich auch nicht kleinlich sein. Aber ich denke, jeder versteht, was ich meine: Kritik ist nicht Netzbeschmutzung, sondern notwendige tägliche Reinigung.

Nur wenn man täglich die „Bananenschalen“ vom Fußboden aufhebt, kann man vermeiden, dass sich dort irgendwann ein autonomes Biotop bildet. Und schon viel früher kann man vermeiden, dass jemand darauf ausrutscht. Oder sich jemand von außerhalb darüber beschwert. Konstruktive Kritik ist wie das tägliche (oder wöchentliche, Hauptsache überhaupt irgendwann) Putzen. Unterbleibt sie, versinkt ein System irgendwann im Unrat, egal ob es eine Firma ist (da fällt mir gerade VW ein), oder ein Staat (da fallen mir z. B. die Ex-DDR, oder China und Türkei ein, wo Kritik unerwünscht ist, ja als feindlicher Akt gewertet wird).

Wie sagte einst Coco Chanel: „Jeder sollte einen guten Freund haben, der ihm sagt, wenn er stinkt.“

Kann Kritik diskriminierend sein? Eigentlich nicht. Kritik fasst im Idealfall Tatsachen, im schlimmsten Fall „Fake-News“ zusammen und macht darauf aufmerksam. Da liegt eine Bananenschale auf dem Fußboden. Schon seit 1 Woche. Habe ich den Adressaten jetzt als Bananenschalenwegwerfer und Niemals-nicht-Aufheber diskriminiert? Nicht einfach nur zutreffender oder irrtümlicher Weise auf eine Verunreinigung des Fußbodens hingewiesen?

In der Tat hat sich aber in den Köpfen vieler Menschen die Vorstellung festgesetzt, dass man bestimmte Leute nicht kritisieren dürfe. Neben der eigenen Gruppe/Zugehörigkeit (Nestbeschmutzer) sind das vor allem auch sogenannte Minderheiten (Behinderte, Homosexuelle, Farbige, Ausländer). Und dann gibt es natürlich noch die heimliche, alles dominierende Mehrheit, die sich aber dennoch als unterdrückte Minderheit empfindet: Die Frauen. Die darf man natürlich auch nicht kritisieren. Sonst gibt es Haue gar fürchterlich, im privaten wie im öffentlichen Umfeld:

Minderheiten genießen Schutz. Viele betrachten das als unverzichtbaren Bestandteil der Demokratie, damit nicht Mehrheiten Minderheiten unterdrücken können. Aber oft läuft es doch gerade andersherum: Die Minderheiten nehmen sich Sonderrechte heraus und beginnen, durch Lobbies, öffentliche/mediale Aufmerksamkeit, schlicht lautes Krakeelen, die schweigende Mehrheit zu dominieren.

Kritik, gerade auch an Minderheiten, ist deshalb unverzichtbar in einer Demokratie und wird oft zu Unrecht und von emotionaler und ideologischer Basis aus als „Diskriminierung“ empfunden. Ein paar Beispiele:

- Natürlich darf man z. B. den Islam kritisieren. So wie jede andere Religion auch. So, wie es dem Christentum täglich ergeht, seit Jahrhunderten. Es war überhaupt nur die ständige Kritik, die aus dem Christentum inzwischen eine halbwegs moderne Religion gemacht hat.

Und natürlich darf man politische Entscheidungen kritisieren, auch wenn sie Minderheiten betreffen. Das ist nicht Kritik an den Minderheiten, sondern an der politischen Entscheidung:

- Man darf die Quotenregelung kritisieren. Ist nicht Kritik an den Frauen, sondern an einer umstrittenen und von unerwünschten Nebenwirkungen behafteten Verfahrensweise.

- Man darf die „Homoehe“ kritisieren (ist Kritik an einem Gesetz, an der Auffassung von der Institution Ehe, nicht an Homosexuellen - Ich selber befürworte übrigens die "Homoehe". Lebenspartner sind eine rein persönliche, keine staatliche Angelegenheit.)

- Man darf auch die allgegenwärtige Doktrin der Barrierefreiheit kritisieren. Ist nicht Kritik an Behinderten, sondern die Frage, ob da der Aufwand immer im Verhältnis zum Nutzen steht und ob es nicht wichtigere und dringendere Probleme und Defizite in der Gesellschaft gibt.

- Und man darf natürlich auch die Flüchtlingspolitik kritisieren (ist keine Kritik an Flüchtlingen, sondern schlicht Erörterung der Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und Finanzierbarkeit politischer Entscheidungen).

Entscheidend ist doch, wie man es begründet, und nicht, ob man womöglich irgendwelche Empfindlichkeiten der ewig Empörten, Kritik- und Diskussionsunfähigen berührt. Politische Entscheidungen dürfen, ja müssen kritisiert und diskutiert werden. Das ist die Basis jeder Demokratie, noch vor den Wahlen, der Verfassung und der Gewaltenteilung.

Keine Kritik + keine Diskussion => keine Demokratie.

Ein vermeintlicher Konsens einer selbsternannten Elite, ein politisch korrekter oder moralisch begründeter Imperativ, sind nur eines: Ein Imperator. Noch dazu ein Imperator, der Reflexion vermeidet. Ein Luxus, den sich nicht mal Diktatoren leisten können, wenn sie langfristig überleben wollen.

Muss ein Kritiker zwangsläufig eigene (egoistische) Ziele verfolgen? Will er sich nur selber profilieren? Kritisiert er nur, weil er sich persönlich übergangen fühlt? Der Gedanke ist naheliegend aber nicht zwingend. Im Grunde ist es aber auch egal, denn worauf es ankommt, ist doch, ob die Kritik sachlich begründet und berechtigt ist. Dann kann sie zur Grundlage des täglichen Reinemachens werden.

Ein Beispiel: Ich hatte hier bei FuF in einigen Kommentaren Kritik an der Auswahl von „Top-Themen“ geübt. Sofort wurde mir (zumindest von 1 Dame) unterstellt, dass ich mich bei den Top-Themen übergangen fühlen würde. So ein Quatsch. Es gibt hier unzählige hervorragende Autoren, die alle verdienen würden, einmal hervorgehoben zu werden. Ich empfand es einfach als problematisch, dass bestimmte Autoren offenbar gezielt gepusht werden und weiterhin, dass immer wieder gerne mit dem Rechts-Links-Schema gespielt wird, immer brav im Wechsel, um der Ausgewogenheit willen. Warum nicht auch mal ein kluger Beitrag aus der Mitte? Von einem Autoren, den man bislang noch nicht kannte (bewusst wahrnahm)?

Diesen Standpunkt werde ich auch weiterhin vertreten, nicht als "Nestbeschmutzer", sondern weil ich mithelfen möchte, eine großartige Plattform (Fisch und Fleisch) noch besser zu machen.

Natürlich ist Kritik oft unangenehm. Aber immer noch besser als gar keine Reaktion. Wieviele Blogs gibt es, auch hier bei FuF, die sang- und klanglos in der Vielzahl der Veröffentlichungen untergehen. Kein Kommentar, keine Kritik, keine Bewertung. Man fühlt sich unsichtbar. Jeder war schon mal in so einer Situation, irgendwie, irgendwo, irgendwann in seinem Leben. Die wenigsten bekommen vermutlich die Aufmerksamkeit, die sie gerne hätten oder sogar verdienen würden. Nicht mal der Komponist Bach oder der Maler van Gogh bekamen sie zu Lebzeiten.

Und umgekehrt gibt es natürlich auch jene Blogger, die hier regelmäßig verrissen werden, aber dennoch ihre treuen Follower haben und unzählige Likes und beeindruckende Aufrufzahlen generieren. Die halten es vermutlich wie der Las Vegas Pianist Liberace:

„Wenn ich meine Kritiken lese, muss ich immer weinen. Aber wenn ich dann meine Bankauszüge lese, geht’s mir wieder gut.“

Und nur einhelliges Lob, auf dem man wie im Traum dahingleitet, getragen von Fans, Freunden und schlicht netten Menschen, wird schnell fade. Wer sich dem ergibt, würde nicht nur schöpferisch schlechter werden, kontinuierlich, sondern auch charakterlich Schaden nehmen. Kritik ist die notwendige Resonanz, um langfristig über die Runden zu kommen.

Dazu braucht es gar keine Kritiker. Wenn ein steinzeitlicher Jäger beim Anschleichen nicht vorsichtig genug ist und die Beute aufscheucht, ist das Leben selber der Kritiker. Und auch, wenn er seine Beute dann mit dem Bogen verfehlt. Der Hunger ist härtere Kritik als jede schnippische Bemerkung. Leben heißt, ständiger Reflexion bzw. Kritik ausgesetzt zu sein, damals wie heute, mit und ohne Kritiker. Kritiker sind die sanftere, womöglich vorbeugende Version der Rückmeldung.

Manche Leute verfügen gar über Selbstkritik. Das ist oft die härtere Keule, weil sie mit größerer Wahrscheinlichkeit zutrifft als diverse Fremdurteile. Und man kann sie nicht abstellen, so wenig, wie man Sensibilität und Reflexionsvermögen, Basis für jede gute, schöpferische Arbeit, abstellen kann. Und so bleibt es ein Wunschtraum, wenn man wie u. a. der Maler Dali sagt:

„Ich wäre lieber dumm und glücklich als klug und ungücklich.“

Eines aber sollte man immer beherzigen: Kritik hin oder her, intern oder extern, wie man in den Wald hineinruft ...

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