Zum 100. Todestag von Debussy (25. März 1918)

Dieser Blog ist vor allem an jene gerichtet, für die moderne Klassik kein bedingungsloses Heiligtum ist, dessen Auswüchse man, selbst wenn sie für die Ohren noch so schmerzhaft sind, geduldig erträgt, sich im Wohlgefühl badend, zu einer kulturellen Elite zu zählen.

Speziell solch selbstbewussten „Feuilletonkultur-Verweigerern“ sollen - auch jenseits der Musik - die durchaus interessanten Seiten einer durchaus schillernden Persönlichkeit näher gebracht werden. Gleich zum Anfixen: Von Freunden und Zeitgenossen wurde Debussy als „Fürst der Finsternis“ bezeichnet. Fast könnte man in ihm einen Vorläufer der „Goths“ sehen, wenn auch (vermutlich) noch ohne Tätowierungen, Piercings und nächtliche Friedhofpartys.

Inzwischen haben ihn Bildungsbürgertum und Schulmeister als sogenannten „Impressionisten“ vereinnahmt, was Debussy selber zu Lebzeiten immer als Beleidigung empfand, da er dem gleichnamigen Malstil wohl nur bedingt zugetan war. Tatsächlich sind zwar gewisse Parallelen zwischen der impressionistischen Malerei und Debussys Musik nicht ganz von der Hand zu weisen, aber insgesamt war sein Werk doch viel zu vielschichtig, originell, innovativ und nicht zuletzt wegweisend für die Musik des 20. Jahrhunderts, als dass es sich in ein so enges Schema pressen ließe. Wie folgendes Stück belegt:

Golliwog's Cakewalk aus „Children's Corner“ (Ragtime)

Debussy war von der Jazz-Musik aus Amerika außerordentlich inspiriert. Speziell in der Harmonik gibt es erstaunliche Parallelen (neuartige Akkorde mit schwebenden Dissonanzen, erweitere Tonalität, Synkopen und Auflösung rhythmischer Schwerpunkte) wobei es da wohl eine gegenseitige Beeinflussung gab. Viele Big-Band-Leader und Arrangeure des Jazz hatten, im Rahmen ihrer meist klassischen Ausbildung, auch Berührung mit Debussy und dessen Harmonik und Instrumentationskunst, und dies in ihre Arrangements einfließen lassen.

Bei Colligwog's Cakewalk, im Prinzip ein Ragtime, versuchte Debussy aber auch, die neuen, swingenden Rhythmen des frühen Jazz zu übernehmen. „Golliwog“ meint übrigens – ganz politisch unkorrekt – eine „Negerpuppe“, was damals allerdings nicht negativ, sondern eher mit lustig und originell assoziiert wurde. Cakewalk schließlich ist ein auf Ragtime basierender Modetanz Anfang des 20. Jahrhunderts.

Aber auch auf die moderne Filmmusik hatte Debussy enormen Einfluss.

Bevor ich auf seine alles andere als bürgerliche Biographie und viele originelle Zitate eingehe, sei das kurz und ohne große Erläuterung durch das folgende Stück belegt, das vom Uploader auch mit eindrucksvollen Bildern unterlegt wurde. Das moderne Fantasy-Genre wäre ohne diese von Debussy erschlossenen Klangwelten kaum vorstellbar.

Die versunkene Kathedrale

Programmmusik im besten Sinne, bestimmt von eindringlichen Bildern und in diesem Falle einer alten Legende. Es heißt, dass man in gewissen Stunden die Glocken der vom Meer verschluckten Kathedrale hören könne. Bei Debussy steigt sie gar wieder auf, aus den tosenden Tiefen.

Obwohl Debussy relativ erfolgreich und gut bezahlt war, war er, ähnlich wie Mozart, ständig in finanziellen Nöten und musste seine Verleger um Übernahme von Heizkosten, Unterhaltszahlungen an seine Ex-Frauen, Gerichtsvollzieherforderungen etc. anbetteln. Umgekehrt erwies er sich als wenig dankbar, denn kaum einen Auftrag erfüllte er im Zeitrahmen. Die Oper "Pelléas et Mélisande" wurde erst 6 Jahre nach der Auftraggebung durch den deutschen Verleger Georges Hartmann uraufgeführt. Dieser war zwischenzeitlich verstorben, hatte aber bis zu seinem Tod Debussy immer wieder aus finanziellen Schwierigkeiten geholfen.

Neben zwei Ehen (und kostspieligen Scheidungen) hatte Debussy auch eine Affäre mit der selbst für heutige Verhältnisse sehr hübschen Bildhauerin Camille Claudel, die wiederum zeitgleich eine Beziehung mit Bildhauer Rodin unterhielt. Im Prinzip war es also damals nicht anders als heute auch, zumal in Künstlerkreisen.

Insgesamt hatte Debussy den Ruf eines Weiberhelden. Zumindest der junge Debussy hatte übrigens erstaunliche Ähnlichkeit mit Ashton Kutcher, während sich im Alter zunehmend die ungewöhnliche Schädelform bemerkbar machte, was man wohl damals wie heute seinem Geniestatus zurechnete.

Der alte und der junge Debussy

Um die Musik zwischenzeitlich nicht aus den Augen zu verlieren, jetzt wieder etwas sehr lyrisches, die klassische Tonalität genial umschiffend, aber doch immer wieder zu ihr zurückkehrend:

The Little Shepherd aus „Children's Corner“

Weiberheld, Vorliebe für schwarze Kleidung, mürrisches, unnahbares, meist melancholisches Wesen, berühmt-berüchtigt, ja gefürchtet war aber auch sein beißender Spott und Sarkasmus. Einer Sängerin attestierte er

"die Emotionalität einer Gefängnistür",

ein Klavierkonzert von Busoni fand er sumpfig, und in sein Urteil über den erfolgreichen Kollegen Gustave Charpentiers integrierte er Selbstironie:

"Wie ein widerlicher Rompreisträger macht er Kantilenen an den Mond (...) aber schleppt sie durch Lehrbuchharmonien!“

Der Rompreisträger war Debussy selber, die Kantilene an den Mond sein berühmtes Claire de Lune. Lehrbuchharmonien aber vermied er und entwickelte sie weiter. Wie auch Claire de Lune zeigt:

Auch die Oper an sich war seinem Spott ausgesetzt:

„Eine hübsche Unterhaltung, die noch besser wäre, wenn nicht dabei gesungen würde.“

Und selbst Publikumsbeschimpfung war ihm nicht fremd:

„Die Leute haben keinen Sinn für schöne Dinge, sind sie doch zu weit von ihren bösartigen kleinen Geistern entfernt.“

Mitunter sagte er aber auch schlicht Geistreiches zur Musik:

„Musik ist die Stille zwischen den Tönen.“

„Kunstwerke schaffen Regeln, nicht Regeln Kunstwerke.“

Jetzt aber soll ein Stück folgen, das tatsächlich starke Parallelen zur impressionistischen Malerei aufweist. Ebenfalls Programmmusik, die in schillernden und glitzernden Farben, gleich der impressionistischen Malerei, ein Naturphänomen beschreibt:

Reflets dans l'eau (Reflexionen im Wasser)

Und um den Kreis zur modernen Film- und Fantasy-Kultur zu schließen, eines seiner berühmtesten Werke. Die hier gestalteten Klangwelten prägten auch die moderne Film- und Popmusik. Es geht nicht mehr um Melodien, sondern umd Stimmungen, Atmosphäre, Bedrohliches ...

Sirènes (aus den Drei Nocturnes für Orchester)

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