Ich habe eine Führung durch St. Petersburg mit einem russischen Fremdenführer und einer französischen Reisegruppe mitgemacht. Der Fremdenführer ging somit nicht davon aus, dass ein Deutscher in der Gruppe ist. Und der Reiseleiter erklärte bei jedem Museumsbesuch, dass dieser oder jener Tisch, Stuhl oder Schrank in Sicherheit gebracht wurde. Wobei es oft nur möglich war einen Stuhl in Sicherheit zu bringen und die anderen rekonstruiert werden mussten. Was man halt so im real existierenden Sozialismus dachte, was Rekonstruktion ist. Neben jedem wichtigen Ausstellungsstück ein Bild, auf dem der Raum gezeigt wurde, wie er nach dem Bombardement der Deutschen ausgesehen hatte. Und der Hinweis dazu, dass auch dieses Bild nach dem großen Vaterländischen Krieg von 1941 bis 1945 dazu genutzt wurde, in Nürnberg die Kriegsverbrecher zu verurteilen. Jedes Mal und jeden Tag, während der ganzen Tour.
So wäre es zumindest gekommen, wenn dort nicht ein kleiner Preuße mitgelaufen wäre, der sich zufällig noch in Geschichte auskennt. Und am dritten Tag wurde klargestellt:
Der Vaterländische Krieg begann in Russland 1939, da ist Russland in Polen einmarschiert. Die letzte polnische Teilung in der Geschichte. Die Gebiete wurden bis heute nicht zurückgegeben, Russland sitzt immer noch darauf. Aus diesem Grunde musste Polen in den Westen erweitert werden, und die Gebiete des ehemaligen dt. Ordens, die nach der Auflösung an Preußen gefallen sind, wurden an Polen zurückgegeben. Genannt wird es die polnische Westverschiebung.
Auch dass die Russen sich noch während der Planung der Nürnberger Prozesse gegen diesen Gerichtshof gewehrt haben, weil man Angst hatte, dort selber wegen seiner Kriegsverbrechen zu stehen, wurde vom Führer ignoriert. 10 Minuten Faktenterror von meiner Seite, und danach konnte ich die weiteren Tage mit dem netten Herren in absoluter Ruhe verbringen.
Zu dieser Zeit gab es bereits Internet, jeder konnte sich eine Meinung bilden, abseits jeder Indoktrination von Schule und Umfeld, in der die Geschichte Russlands in rosaroten Bonbonfarben dargestellt wird. Das haben auch viele jugendliche gemacht, mit denen ich abends in Bars und Kaffees zusammen gesessen war. Nur einige haben lieber den Weg der Faulheit gewählt und sich in die Staatsmeinung gerettet.
Auch heute, die Annexion der Krim 2014 war völkerrechtswidrig. Trotzdem feiert Putin kurz nach dem Einmarsch in die Ukraine diesen Akt als Staatsfeier. Und tausende Russen kommen hin, um mitzufeiern. Von Journalisten gefragt sagen alle: tolle Feier und gerade schmeißen wir die Nazis aus der Ukraine. Ein verführtes Volk? Sicher, doch ist man nicht auch verantwortlich für seine Meinung? Gab es seit 2014 nicht die Möglichkeit zu prüfen, was genau passiert? Sieht man nicht heute die Menschen, die vom Roten Platz weggeführt werden, weil sie gegen den Krieg demonstrieren?
Ja, das russische Volk ist schuldig am Krieg. Sicherlich nicht jeder einzelne Russe, sicherlich nicht die Helden, die sich in Russland gegen den Krieg stellen und mit Strafen rechnen müssen. Doch kann man nicht von Putins Krieg reden, wenn soviele Russen bereit sind hinter diesem Menschen herzulaufen. Es ist der Krieg eines Volkes, das Putin stützt. Es ist ein Krieg eines Volkes, das die Feier zur Annexion der Krim nutzt, um sich zu seinem “gerechten” Krieg in der Ukraine zu feiern.
Die Informationen über diesen Krieg in der Ukraine sind trotz Nachrichtenspree auch in Russland verfügbar. Der Krieg wird von den Menschen in Russland gestützt!
Soldaten schicken Kriegsbeute in die Heimat. Sie stehlen also Dinge in der Ukraine, die Ukrainern gehören. Alles mit Wissen und Unterstützung ihrer Familien. Es gibt sogar Soldaten, die telefonieren mit der Familie, sprechen über Plünderungen und kriegen von der Frau noch eine Shopping-Liste. Der Krieg und die Gräultaten sind in Russland bekannt, sie müssen bekannt sein, denn die Menschen profitieren von den Plünderungen.
Aber auch sonst müssen diese Soldaten mit Angehörigen kommunizieren. Auch hier muss ein Kommunikationskanal da sein, der den Menschen in der Heimat die Lage in der Ukraine mitteilt. Man kann einen solchen Feldzug nicht abgeschirmt von allem in der Heimat stattfinden lassen. Das ging nicht mal im zweiten Weltkrieg, das geht in unserer Kommunikationsgesellschaft erst recht nicht!
Währenddessen ruft eine russische Zeitung zum Genozid gegen die Ukraine auf. Einen Tag, nachdem die Verbrechen der Russen um Kiew bekannt werden. Das alles während man friedlich in Moskau die Annexion der Krim feiert, von Plünderungen profitiert und sie ein schönes Leben macht. Und keiner schreit auf!
Es gibt sie noch, die Aufrechten, die in Russland gegen den Krieg demonstrieren. Jelena Ossipova, eine russische Aktivistin, eine Überlebende der Nazis in Russland, wird auf offener Straße wegen Protesten verhaftet. Aber auch andere Aktivisten werden verhaftet.
Auf dem Roten Platz steht eine Frau, sie hält ein Schild hoch auf dem “Zwei Worte” steht, mehr nicht. Sie wird verhaftet, weil sie mit Journalisten spricht. Eine andere Frau möchte für den Sondereinsatz sprechen und wird auch verhaftet. Sie merkt sicher nicht einmal jetzt, was in Russland geschieht.
Diese Menschen, die gegen den Krieg demonstrieren, sind Helden. Sie riskieren Leben, Gesundheit und Freiheit für ihre Überzeugungen. Doch wenn diese Menschen sich Informationen beschaffen können, um gegen den Krieg zu demonstrieren, um zu wissen, was in der Ukraine los ist, dann kann es jeder. Doch nicht jeder möchte es. Nicht jeder ist bereit, seinen Nationalstolz gegen Gerechtigkeit, Informationen und Meinungsfreiheit einzutauschen.
Viele folgen Putin aus Bequemlichkeit. Viele stehen aber auch hinter Putin. Sportler, die in der ganzen Welt die Möglichkeit haben sich Informationen zu beschaffen, spielen weiter für das System Putin.
Das sind keine Opfer, die als unwissendes Volk in diesen Krieg mit reingezogen wurden, es ist auch ihr Krieg, es ist auch Blut an ihren Händen, es ist auch ihre Schuld.
Wer sagte, von den ganzen Gräueltaten gegen die Juden hätte er in Nazideutschland nichts mitbekommen, der lügt. Sicher, nicht jeder einzelne Deutsche wusste über die ganzen Vernichtungslager bescheid. Aber alle wussten, dass Juden in Deutschland verfolgt und eingesperrt wurden. Jeder hatte diese Informationen offen erhalten können. Viele hatten Angst, gegen Hitler aufzustehen, als es noch möglich war. Viele taten es aber aus Desinteresse, aus Bequemlichkeit oder aus Sympathie zu den Nazis nicht! Deutschland war ein Tätervolk!
Wer sagt, in Russland kann man sich nicht informieren, wer das russische Volk frei spricht von diesem Verbrechen gegen die Ukraine, gegen die Menschheit, der spricht auch Nazis in Deutschland frei von der Mittäterschaft an den Verbrechen von Hitlerdeutschland. Es ist Russlands Krieg!
geralt/pixabay https://pixabay.com/de/illustrations/fahne-ukraine-flagge-krieg-politik-7031868/