Ich bin Rassist! Ich bin davon überzeugt, dass die genetische Herkunft eines Menschen über dessen Charaktereigenschaften und Fähigkeiten bestimmt und dass damit eine Unter- bzw. Überlegenheit der verschiedenen Rassen einhergeht - kennen Sie einen einzigen Menschen, der ernsthaft eine solche These vertritt? Klar, da gibt es Randgruppenzusammenhänge die sich Namen geben wie „Hooligans, Nazis und Rassisten“. Aber es scheint doch, dass sich sogar in der extremen Rechten nur wenige selbst als Rassisten bezeichnen.
Wenn aber kaum einer sagt, er sei Rassist – wer sind dann die vielen Gegner im Kampf gegen Rassismus? Der Kampf wird ja immer lauter geführt. Ganze Nationalmannschaften fallen mittlerweile auf die Knie, weil man überzeugt ist, dass man es mit einem gigantischen Problem zu tun hätte. Gleichzeitig fällt es schwer, auch nur einen einzigen Menschen zu benennen, den man unwidersprochen Vertreter des Rassismus nennen könnte. Wo sind die ganzen Rassisten? Ist das Problem am Ende womöglich gar nicht so groß?
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Rassismus geschieht verdeckt
Natürlich folgt nun erstens der Einwand, dass Rassisten sich nur aus taktischen Gründen nicht zu erkennen geben. Rassisten geben sich menschenfreundlich und verklausulieren ihren Rassismus, weil der Begriff so verbrannt ist. Das trifft bestimmt in einigen Fällen zu. Aber in wie vielen und in welchen? Woran erkennt man denn einen Rassisten? Um das beantworten zu können, bräuchte man erst mal einen Konsens über eine Definition von Rassismus. Was genau ist eigentlich Rassismus, wogegen kämpfen wir ganz konkret?
Der zweite Einwand, der folgt, ist, Rassismus stecke in uns allen und geschehe meist unbewusst. Es gehe nicht nur um rechtsextreme Hardcore-Rassisten, sondern um die rassistische Prägung unseres Denkens und unserer gesellschaftlichen Strukturen. Wir seien in einer Gesellschaft sozialisiert, die über lange Zeit schon rassistisch ist und hätten die entsprechenden Stereotype und Haltungen internalisiert. Es gelte deshalb, die rassistischen Anteile in uns selbst aufzudecken.
Das macht es natürlich noch wichtiger, das Problem präzise zu fassen. Wenn man Anteile seiner eigenen Persönlichkeit reflektieren und überwinden soll, dann wäre es natürlich hilfreich zu wissen, um welche es denn geht. Wir bräuchten also einen klaren Rassismusbegriff.
Nötig wäre eine klare Definition von Rassismus
Tatsächlich aber gibt es zahlreiche unterschiedliche Erklärungsansätze, was Rassismus denn sei. Und statt dass man sich bemüht, den Begriff klarer einzugrenzen, geschieht das Gegenteil. Die Definition von Rassismus wird immer schwammiger, der Begriff immer weiter gedehnt und immer konturloser. Struktureller Rassismus, Alltagsrassismus, Rassismus ohne Rassen... Die Kritik an anderen Kulturen, das Indianerspiel kleiner Kinder, das Verwenden aussortierter Wörter – alles Rassismus. Die Übernahme von Inhalten und Ausdrucksformen anderer Kulturen, selbst wenn sie mit größter Bewunderung für die Kultur verbunden ist – Rassismus. Schon das bloße Benennen einer Hautfarbe kann als Rassismus verurteilt werden. Und mit Parolen wie „silence is violence“ wird nun sogar das bloße Nichtstun in die Nähe von Rassismus gerückt. Und nicht nur durch radikale Aktivisten - der Bundespräsident höchstselbst beteiligt sich daran, wenn er sagt, es reiche nicht mehr aus, nur kein Rassist zu sein, wir müssten nun alle Antirassisten werden!
Immer schneller, immer abstruser
Hinzu kommt die Dynamik, mit der immer neue Tatbestände zum Rassismus erklärt werden. Es scheint kaum noch möglich abzuschätzen, welche Äußerung, Handlung, Haltung heute noch unproblematisch, aber morgen schon als Rassismus gilt. Es reichen ja nun auch freundliche Verhaltensweisen für Rassismusvorwürfe – etwa die ehrlich interessierte Frage nach der Herkunft eines Menschen oder das Lob für gutes Deutschsprechen. Darf man morgen noch fragen, wie ein Name eigentlich korrekt ausgesprochen wird oder ihn falsch aussprechen obwohl man es hätte besser wissen müssen? Darf man noch öffentlich dazu stehen, blonde Haare zu mögen oder gar seine eigenen blond färben? Übertrieben? Hätte man vor ein paar Jahren auch den Rassismusvorwurf gegen Hippies mit Dreadlocks gehalten.
Die Weitungen werden dabei naturgemäß immer willkürlicher. Der Gipfel der Beliebigkeit besteht nun wohl in dem Versuch, Rassismus zur rein subjektiven Erfahrung zu erklären. Damit wird der Begriff vollkommen jeder rationalen Debatte entzogen. Rassismus ist danach das, was irgendjemand mit dunkler Haut, aus welchem Grund auch immer, als Rassismus empfindet. Also potentiell alles. Damit wird aus dem Kampfbegriff Rassismus ein pures Machtinstrument. Nun steht es jedem Dunkelhäutigen frei, jeden Hellhäutigen allein mit dem Verweis auf ein Gefühl als Rassisten zu verurteilen. Und Hellhäutigen wird allein aufgrund ihrer genetischen Herkunft immer häufiger verwehrt, sich überhaupt zu dieser Thematik zu äußern. Weiße könnten nicht mitreden, weil sie die dazugehörigen Gefühle nicht kennen würden. Sowieso gelten sie ja aufgrund ihrer Hautfarbe und der damit verbundenen Privilegiertheit selbst alle als rassistisch sozialisiert und so praktisch qua genetischer Herkunft als Rassisten. Als Angehörige einer Rassistenrasse sozusagen, die zu diesem Thema gefälligst den Mund halten.
Die Schwierigkeit den Begriff enger zu fassen
So ist das ganze Themen- zu einem Minenfeld geworden. Jeder Versuch, den Begriff wieder einzufangen und enger zu definieren, läuft nun selbst Gefahr als Rassismus oder dessen Relativierung diffamiert zu werden. Und da eine öffentliche Stigmatisierung als Rassist potentiell existenzvernichtend ist, werden solche Versuche eher selten und wenig prominent unternommen. Kreative Vorschläge zur weiteren Ausdehnung dagegen werden schnell als progressiv gewürdigt. So setzen sich immer noch großzügigere Verständnisse des Begriffs durch. Natürlich ist es bei einer solch uferlosen Ausdehnung keine Überraschung, dass Rassismus als Mega-Problem betrachtet wird. Wenn man alles zu Rassismus erklärt, dann begegnet einem eben überall Rassismus.
Dabei könnte man dem Begriff selbstverständlich auch viel engere Grenzen setzen. Dann würde man selbstredend zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Und bei der Beliebigkeit des Begriffs klingt es auch nicht unvernünftig, sich erst mal wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen. Wahrscheinlich würde man sich dann schnell darauf einigen können, dass es auf jeden Fall Rassismus ist, zu glauben, es gäbe Rassen. Wenn man Menschen also aufgrund genetischer Herkunft kategorisiert und ihnen unterstellt, dass mit dieser Herkunft bestimmte Charaktereigenschaften und Fähigkeiten verbunden wären: die Gelben haben diese, die Schwarzen haben jene Eigenschaften. Bei dieser klassischen engen Eingrenzung des Begriffs Rassismus könnte man es durchaus belassen.
Was man nicht als Rassismus betrachten muss
Auf der Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner würde meist sicher noch die herkunftsbezogene Abwertung hinzugerechnet, auch wenn keine Eigenschaften unterstellt werden. Dort, wo eine Gruppe anderer Herkunft pauschal abgewertet wird, spricht man gewöhnlich ebenfalls von Rassismus. Aber es wäre auch vertretbar, die Abwertung als Kriterium zu vernachlässigen. Denn einerseits klingt es sinnvoll, auch von Rassismus zu sprechen, wenn jemandem allein aufgrund seiner genetischen Herkunft Eigenschaften wie Charakterzüge zugeschrieben werden und dabei keine Bewertung vorgenommen wird.
Und andererseits: wenn keine Zuschreibungen aufgrund der Genetik vorgenommen werden, was kann dann groß abgewertet werden? Wenn man weiß, dass es über die sichtbaren Äußerlichkeiten hinaus (von unbedeutenden weiteren wie Laktoseverträglichkeit etc. mal abgesehen) keine Unterschiede gibt, kann man auch nur die sichtbaren Äußerlichkeiten bewerten. Es erscheint unwahrscheinlich, dass jemand denkt: Die sind wie wir, sie haben die gleichen Potentiale, die gleichen Anlagen und Eigenschaften wie jede andere genetische Herkunftsgruppe auch, aber trotzdem hasse ich sie. Und wenn man ausschließlich Äußerlichkeiten bewertet, wäre es Unsinn, von Rassismus zu sprechen, nur weil man vielleicht krause Haare doof oder weiße Haut käsig findet.
Kulturalismus und gruppenbezogener Hass
Natürlich kann es trotzdem auch ohne Zuschreibungen zu massiven und gefährlichen Abwertungen kommen, etwa wenn sich unterschiedliche Gruppen als Gegner gegenüberstehen – in Krisen und Konflikten, aber auch beispielsweise bei emotionalen Fußballspielen. Dann kann es auch zu hässlichen Verunglimpfungen mit Bezug auf äußere Merkmale wie Hautfarben kommen. Aber wenn es sich hierauf beschränkt und die Anhänger einer Fußballmannschaft ihre Gegner genauso als „Scheiß Türken“ beschimpfen wie sie im anderen Zusammenhang die Gegner als „Scheiß Dortmunder“ beschimpfen würden, dann geht es im Kern nicht um Rasse, Zuschreibung oder Unterstellung, sondern um ein Lagerdenken aus irgendwelchen anderen Motiven bzw. um das Heranziehen eines beliebigen Merkmals um den Gegner zu verunglimpfen. Wenn Gene und Zuschreibungen und das Konzept Rasse hier keine Rolle spielen, klingt es konsequent, auf den Begriff Rassismus zu verzichten.
Genauso wenn es um den Aspekt der Kultur geht. Menschengruppen werden auch aufgrund kultureller Herkunft häufig pauschalisierend abgewertet. Aber dafür gibt es Begriffe wie Kulturalismus. Hier von Rassismus zu sprechen, könnte man ebenfalls als unsachgemäß ablehnen. Wer Menschen allein wegen ihres kulturellen Hintergrunds abwertet, der ist kein Rassist. Natürlich ist die pauschale Unterstellung von Eigenschaften aufgrund kultureller Herkunft ebenfalls dumpf und die Problematik der Abwertung muss keineswegs kleiner oder weniger gefährlich sein als beim Rassismus. Zudem deckt sich Kultur noch immer relativ weitgehend mit genetischer Nähe und es dürfte schnell zu Vermischung von Kulturalismus und Rassismus kommen. Aber wenn es allein um Kultur geht, geht es eben nicht um „Rasse“. Zudem beinhaltet Kultur Einstellungen, Werte, Traditionen usw., deren Ablehnung (unterhalb einer pauschalisierenden Zuschreibung gegenüber jedem Träger der Kultur) völlig legitim ist. Rasse hingegen ist, auf den Menschen angewendet, ein Konzept ohne jede reale Substanz.
Bei engerer Definition sieht es besser aus!
Es erscheint also mehr als legitim, den Begriff Rassismus deutlich enger zu fassen und sich auf das klassische Konzept von Rassismus zu beschränken. Es überrascht nicht, dass man bei einer schlankeren Definition zu einer ganz anderen als der herrschenden Einschätzung kommt. Wahrscheinlich könnte man dann sogar gegen allen Alarmismus postulieren: Der Kampf ist gewonnen! Rassismus ist praktisch überwunden! Über eine Handvoll Spinner hinaus gibt es keine Rassisten mehr! Die Menschen haben sich längst an Frauen „of color“ im Dirndl auf dem Oktoberfest oder an Teamleiter mit mehreren Ös und Üs im Namen gewöhnt! Das ist vielleicht noch etwas selten und man guckt noch einen Moment länger hin, aber es regt sich keiner mehr darüber auf! Niemand halbwegs Ernstzunehmendes würde einem Dunkelhäutigen aufgrund seiner Gene die Fähigkeit absprechen, ein Unternehmen zu leiten!
Gut, ein wenig optimistisch mag das noch klingen. Bestimmt gibt es auch noch bis in die Mitte der Gesellschaft Ausläufer echten Rassismus'. Manche denken vielleicht noch, Asiaten könnten automatisch besser rechnen und Schwarze besser Basketball oder Trompete spielen, dafür seien sie von Natur aus etwas fauler. Aber wir sind auch noch in der Gewöhnungsphase. Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Gesellschaft in Deutschland noch vergleichsweise homogen, Schwarze etwa waren bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts in Deutschland noch eine absolute Seltenheit. Es besteht doch Grund zur Hoffnung, dass mit der Gewöhnung immer mehr zur Erkenntnis wird, dass Hautfarben letztlich genauso unbedeutend sind wie Augenfarben. Und solange die Gewöhnung noch nicht abgeschlossen ist, reagiert eben mancher noch überrascht, wenn Dunkelhäutige fließend deutsch sprechen. Kein Grund zur Aufregung.
Jaja, weißer Mann, du hast gut reden. Hast eben noch nie Rassismus erlebt! - Vielleicht, aber dafür kenne ich die Wirkung leichtfertiger Rassismusvorwürfe. Und die Angst, das demokratische Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu nutzen, wenn es um Zuwanderung, Integration und dergleichen geht. Wenn das Ziel ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft ist - unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe - dann sollten wir den hypersensiblen Alarmismus und die spalterische Überbetonung von genetischer Herkunft überwinden, uns alle ein bisschen entspannen und nicht mehr inflationär alles Rassismus nennen was uns nicht in den Kram passt. So relativieren wir nur echten Rassismus.
(Zuerst erschienen auf querstrebe.com)