die heftige bis unappetitliche auseinandersetzung in der causa Ahed Tamimi ließ mich mal wieder ins archiv der kneipenwirtin gucken, weshalb ich nun eine ganz leicht aufbereitete konserve zur diskussion stelle:

Micha Brumliks beitrag in der Israel-debatte in der taz vom 2.7.2010 "eine komplizierte geschichte" ließ mich mit der frage zurück: ja was denn nun?

Denn da  las ich dieses:

„Zu fragen ist, ob sich für Israels Verstöße gegen Völker- und Menschenrecht gute moralische oder politische Gründe ins Feld führen lassen.“

Ich las da auch:

„Natürlich gibt es andere Staaten, die quantitativ und qualitativ sehr viel intensiver gegen Völker- und Menschenrecht verstoßen als Israel, darunter Länder wie Russland, China oder die Türkei. Doch kann es bei einer moralisch sensiblen Politik nicht um das Abarbeiten einer Negativliste gehen, an deren Ende irgendwann der Staat Israel steht.“

Und auch dieses las ich:

„Und: Wer nicht versteht, dass wir, wenn wir über Israel diskutieren, weniger einen Beitrag zur Lösung des Nahostproblems liefern als einen Beitrag zu unserem Verhältnis zur NS-Vergangenheit, sollte sich an der Debatte besser nicht mehr beteiligen.“

Wie ich auch etwas über *politische scham* versus *verantwortungsethik* las, nämlich dieses:

„Wird also dort politische Scham mit der Überzeugung verbunden, dass israelische Regierungen auf jeden Fall besser beurteilen können, was der Sicherheit ihres Staates dient, so wird hier Verantwortung mit der Vermutung verbunden, dass sich sogar israelische Regierungen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen irren können.“

Um am ende dieses zu lesen:

„Wenn deutsche Politik willens ist, sich der NS-Vergangenheit zu stellen und - anstatt nur zähneknirschend Haftungspflichten zu akzeptieren - dafür eine zukunftsgerichtete Verantwortung zu übernehmen, wird die Politik israelischer Regierungen sowie der vielstimmige, oft gegensätzliche Diskurs von Juden über diese Politik auch weiterhin eines ihrer zentralen Themen sein müssen. Freilich: Wie in allen anderen Politikfeldern wird auch die Frage, wie die Sicherheit dieses Staates und das Leben seiner Bürger am effektivsten garantiert werden können, umstritten sein. Aber das ist demokratische Normalität.“

Hm.

Das recht kennt - außer der durchsetzung des an recht und gesetz gebundenen staatlichen gewalt- und strafmonopols - durchaus die möglichkeit, dass ‚gute moralische’ gründe verstöße gegen das recht rechtfertigen oder entschuldigen können - das notwehr- und nothilferecht dürfte fast jeder mensch bekannt sein. Weniger bekannt könnte sein, dass sich aus einer sogenannten garantenstellung sogar die pflicht zu einem rechtsverstoß ergeben kann, wenn anders eine an einer dritten begangene rechtswidrige tat nicht abgewehrt werden kann.

So weit scheint alles klar - und schon so kompliziert. Denn zu notwehr und nothilfe stellt sich immer auch gleich die frage, wie weit diese in der abwehr eines rechtswidrigen angriffs gehen darf auf der einen seite, gehen muß auf der anderen.

Allerdings, und da wird es schon ein klein bißchen schwieriger: gilt dies auch für ‚gute politische’ gründe?

Denn: was sind ‚gute politische’ gründe im unterschied zu ‚schlechten’ – oder soll ich die lieber un-gut nennen oder gar böse oder einfach ‚weniger gut’ oder vielleicht auch ‚falsch’?

Noch komplizierter wird es, wenn die rede auf ‚gute moralische oder politische’ gründe kommt, die geeignet sind/sein sollen, verstöße gegen völker- und menschenrecht zu rechtfertigen, letztlich also zwingen sollen, diese mindestens hinzunehmen, wenn nicht gar mehr oder weniger aktiv zu ihnen beizutragen.

Da springe ich nun gleich zu dem fragenbündel, welches mich im weiteren beschäftigen wird, nämlich diesem: da mir als natürlicher person - im unterschied zum staat - erst mal wenig anderes übrigbleibt als letztlich verstöße gegen völker- und menschenrecht unter staaten und von staaten ausgehend hinzunehmen - darf ich sie dann wenigstens kritisieren? Und wenn ich sie kritisieren darf, wie, in welcher form darf ich sie kritisieren?

Gilt es dabei unterschiede zu beachten? Etwa den, welcher staat derartige verstöße begeht? Gegen welchen staat diese verstöße gerichtet sind?  Gegen welchen nicht-staat sie gerichtet sind?  Kann, darf oder soll es eine rolle spielen, ob diese verstöße sich gegen eigene staatsangehörige oder die angehörigen fremder staaten oder sogenannte staatenlose richten?  Und kann, darf oder soll es eine rolle spielen, welchen staates angehörige ich bin? Gar, welche beziehungen ‚mein’ staat zu dem/den jeweils anderen pflegt?  Gibt es darüberhinaus eine grenze, jenseits derer verstöße gegen völker- und menschenrecht unbeschadet aller guten moralischen und politischen gründe, welche sie hinnehmbar machen sollen, nicht mehr hinnehmbar sind? Gilt eine solche mögliche grenze absolut oder nur von fall zu fall?

Ob im ganz praktischen leben solche fragen auch eine rolle spielen?  In meinem anwältinlichen schon.

Da fragte ich nicht nur danach, ob ich es mit einer verletzung von menschenrechten (eines oder mehrerer) zu tun habe und mit einer verletzungshandlung, die letztlich als politisch motivierte verfolgung einem staat zurechenbar ist, sondern ich fragte auch danach, ob das gebilde, welchem die handlung letztlich zurechenbar sein soll, ein staat ist oder eher nicht. Und wenn ich es mit einem staat zu tun hatte, dann fragte ich natürlich danach, wie der heißt. Täte ich das nicht, hätte ich schon mal ganz schlecht gearbeitet, denn es könnte ja sein, dass nicht-ausreichendes fragen zu einem falschen rechtsrat führt.

Sagt mir wer rechtsuchende, es handle sich um den Iran, dann darf ich eine zurechenbare verfolgung für sehr gut möglich/wahrscheinlich halten - die verfolgte muß dann nur noch glaubhaft machen, also vortragen, dass sie die behauptete verfolgung auch wirklich erlitten hat/diese für die zukunft zu erwarten hat und dass es sich bei dieser auch wirklich um eine politisch motivierte handelt. Dass manche irrigerweise annehmen, dass auch das, wofür mensch solche verfolgung erfahren hat oder mit solcher verfolgung für die zukunft rechnen muß, eine ebenfalls politische tat gewesen sein muß, will ich  jetzt nicht weiter vertiefen. Es reicht, anzudeuten, dass das alles manchmal garnicht so einfach ist … ansonsten gilt: prinzipiell darf ich dem Iran nicht nur der mullah-kratie wegen sondern vielleicht auch aufgrund dessen „wahnsinnige(r), atomare(r) Rüstungspolitik der Islamofaschisten“ allerhand an üblem umgang mit seinen eigenen staatsangehörigen zutrauen.

Sagt mir wer, es handle sich um Gaza, dann wird es schon etwas schwieriger, denn ich darf der Hamas (wahlweise der PLO) natürlich genauso viel übles wie dem Iran zutrauen, aber: ist Gaza ein staat? gut, da gäbe es zwar die krücke der gebietsgewalt – aber einfach ist es nicht, das alles so zusammenzufummeln, asylrechtlich, dass am ende für die schutzsuchende mensch was gutes bei rauskommt. Im falle von Gaza als herkunftsregion vielleicht zumindest ein schutz vor abschiebung ebendorthin.

Wenn mir nun allerdings wer erzählt, die verletzung ihrer menschenrechte sei in und durch Israel erfolgt – dann sitze ich zwischen baum und borke. Einerseits ist auch eine menschenrechtsverletzung in und durch Israel eine solche und ein staat ist Israel ganz ohne frage auch, aber andererseits könnte es gut sein, dass mein rechtsuchende mensch statt brot steine erhält, denn die menschenrechtsverletzung könnte ja „durch gute moralische oder politische Gründe“ gedeckt sein. So dass auf einmal ein und dieselbe staatliche handlung, die zuvor im falle des Iran noch glatt unter politisch motivierte staatliche verfolgung gefallen wäre und im falle von Gaza zumindest einen abschiebungsschutz gezeitigt hätte, im falle Israels weder zu einer anerkennung als asylberechtigt=politisch verfolgt führt noch zu einem abschiebungsschutz sondern zu einem platz im flieger nach Ben-Gurion-airport - und damit zurück in ein land, das ich, hieße es Iran, mit fug und recht einen verfolgerstaat nennen dürfte.

Vielleicht verhält es sich sogar so, wenn die prüfung dieser und aller damit zusammenhängender fragen in deutschland vorgenommen wird, dass aus gründen der staatsräson (was vielleicht ein anderes wort für die freundschaft zwischen staaten sein könnte) die schutzsuche nicht zu einer anerkennung als asylberechtigt und auch zu keinem abschiebungsschutz führen darf, sondern zwingend zu einem platz im flieger nach Ben-Gurion-airport führen muß?

Wie erkläre ich das eigentlich meiner mandantin, meinem mandanten aus Israel und/oder den besetzten gebieten?

Reicht es, der mensch zu der erklärung, sie sei da leider in eine gerechtigkeitslücke gefallen, tröstend übers haupt zu streichen? Hilft es, für das nächste mal zu raten, nicht gerade in deutschland sondern besser in einem anderen land asyl zu suchen? Vielleicht auch, falls dies noch möglich wäre, klammheimlich weiterzuwandern und sich erst ganz woanders, wo die staatsräson eine etwas andere ist, als asylsuchende zu erkennen zu geben?

Als nachschlagsfrage: wie erkläre ich das eigentlich meinen kindern?

shavua tov!

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