Gerade bei Anti-Establishment-Parteien gilt es, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden
Die deutsche Medien- und Politwelt ist nach den gestrigen Wahlen wie erwartet aus dem Häuschen. Von einem Schock für die etablierten Parteien ist vielfach die Rede, die Bild titelte gar mit „Albtraum für Deutschland ist wahr geworden.“
Der Aufstieg der FPÖ
Von Österreich aus sieht man die Sache freilich mit anderen Augen. Einige fühlen sich an den Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider und die damalige Ablehnung von Seiten der übrigen Parteien erinnert. Insbesondere die SPÖ unter Franz Vranitzky hat hart daran gearbeitet, die FPÖ so weit wie möglich zu isolieren. Bis heute hat sich daran nichts geändert, anlässlich der rotblauen Koalition im Burgenland sprach er etwa von einem „Tabubruch.“
Ungeachtet dessen, wie man zu dieser Haltung steht, dürfte sie entscheidenden Anteil am Aufstieg der FPÖ gehabt haben. Die einhellige Ablehnung der übrigen politischen Mitbewerber, von denen es obendrein nicht sehr viele gab, passte perfekt zum Image der Anti-Establishment-Partei. Sie konnte sich in der Opposition zurücklehnen, um über das allseits bekannte Ausländerthema hinaus Missstände aller Art – allen voran das rotschwarze Proporzsystem – anzuprangern. Bis heute ruht ihr Erfolg darauf, dass sie sich in ihrer Selbstdarstellung und ihrem Auftreten gerade bei emotional besetzten Themen wie Integration, Sicherheit oder der Flüchtlingskrise maßgeblich vom Rest unterscheidet.
Eine deutsche Einheitspartei?
Der Erfolg der AfD weist klare Parallelen zum Aufstieg der FPÖ auf. Exemplarisch seien die Ausladung von einem TV-Duell, das (später wieder aufgehobene) Hausverbot im Augsburger Rathaus oder die von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi an Parteien, Gewerkschaften und Verbänden gerichtete Forderung zur Errichtung eines Anti-AfD-Bündnisses als Zeugnisse der Isolationsbestrebungen angeführt. Hier die AfD, dort der Rest, oder, wie man in der Frankfurter Allgemeinen lesen darf, „Deutschlands neue Einheitspartei.“ Die Selbstzuschreibung der „Alternative“ kommt folglich nicht von ungefähr. Bezeichnend die bizarre Argumentation von Ursula von der Leyen bei Anne Will, wonach immer noch gute 80% der abgegebenen Stimmen für die „europäische Lösung“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestimmt hätten und der Erfolg von Politikern der Grünen und der SPD Merkels Unterstützung geschuldet wäre. Mit doch ungewöhnlich scharfen Worten konstatiert die TV-Kritik der Frankfurter Allgemeinen im Lichte derartiger Interpretationen der Realität eine Entfremdung zwischen weiten Teilen der Politik und Wahlvolk:
„Die etablierten Parteien bilden offensichtlich nicht mehr den Wählerwillen in Deutschland ab. Daran konnten die rhetorischen Übungen ihrer Vertreter bei Frau Will nichts mehr ändern. Was wir gestern Abend erlebten, war deshalb nicht die Krise der repräsentativen Demokratie, sondern der sie bisher tragenden Parteien.“
Das trifft die Sache auf den Punkt. Denn Parteien wie die AfD oder die FPÖ verdanken ihren Erfolg weniger ihrer eigenen Lösungskompetenz – hinter der bei Oppositionsparteien unweigerlich ein Fragezeichen steht – denn der Schwäche ihrer Gegner. Je weniger die übrigen Parteien sich in den großen Fragen unserer Zeit voneinander unterscheiden, je weniger viele Bürger sich adäquat vertreten oder in ihren Anliegen und Sorgen ernstgenommen fühlen, desto größer der Stimmenmarkt für Kräfte, die den wohlig-warmen Bereich des parteienübergreifenden Konsenses verlassen. Gerade bei der AfD und der Debatte zum vielfach befürchteten Verfall der deutschen Demokratie sollte man das Symptom nicht mit der Krankheit verwechseln – zumal der gegenwärtige Umgang mit ihr sie nur stärker macht und das Bild von der Alternative weiter fördert.