Integration und Islam: Wir haben ein Diskursproblem

Rund um die Flüchtlingskrise und ihre Cousins, den Umgang mit dem Islam im Allgemeinen und die Frage der richtige Integrationspolitik, werden die drei vermutlich kaputtesten gegenwärtigen Diskurse geführt. Kommt man da wieder raus?

Österreich hat seit mehreren Monaten nicht nur über 8 Millionen Teamchefs, sondern auch über 8 Millionen Experten zu Islam und Integration. Themen, die kaum jemanden kalt lassen, selbst die Apolitischsten haben hier eine Meinung. Was nur allzu nachvollziehbar ist – viele sehen in den momentanen Herausforderungen eine fundamentale Bedrohung für Europa. Es wäre seit der Zweiten Wiener Türkenbelagerung die erste, die die auf den alten Kontinent von außen hereinbricht.

Über Islam und Integration zu sprechen bereitet Bauchweh. Entweder Brechstange oder verhalten-vorsichtig bis nichtssagend. Viele Worte um nichts oder das große Aneinander-Vorbei-Reden. Zumal wir immer noch nicht einmal wissen, wer oder was "der Islam" eigentlich ist und ab wann Integration als geglückt gelten kann.

Der desaströse Zustand der hiesigen Debattenkultur hat jedenfalls zwei Gründe. Zum einen bietet eine auf knackige Schlagzeilen und provokante – clickbringende – Thesen ausgerichtete Medienlandschaft nur wenig Platz für differenzierte Meinungen. Das gilt in Zeiten einer auf Sparsamkeit ausgerichteten Aufmerksamkeitsökonomie umso mehr, wenn sie eine gewisse Zeichenanzahl, eine anstrengend zu lesende Studie oder ein ganzes Buch brauchen.

Zweitens stehen die Diskussionen unter dem Schatten der Angst, als naiv zu gelten oder – umgekehrt – ins berühmt-berüchtigte rechte Eck gestellt werden. Weil man selbst etwas schreibt oder sagt, das unbegründet als rassistisch eingestuft werden könnte. Dabei spielt auch die Sorge vor zu starken Berührungspunkten zu einschlägigen Gruppen und Parteien ungeachtet des Inhalts (man spricht von „guilt by association“). Vereinfacht gesagt: Wenn Gruppe A als hochproblematisch gilt und etwas sagt, muss es falsch sein, egal, was sie sagt.

Die österreichischen und deutschen Meinungsmärkte sind in Sachen Rassismus aus offensichtlichen Gründen besonders sensibilisiert. Ähnlich vermint sind auch die Diskurse in anderen westlichen Staaten wie Großbritannien (seit Enoch Powells berüchtigter "Rivers of Blood"-Rede) oder den USA (das Erbe von Sklaverei und Rassentrennung).

Keine Frage, erhöhte Wachsamkeit in Sachen Rassismus ist (nanona) dringend geboten. Das ist so selbstverständlich, dass man es eigentlich nicht eigens betonen muss.

Bisweilen schießt sie angesichts der aktuellen Überhitzung aber übers Ziel hinaus. Vielen fehlt entweder das Leseverständnis oder emotionsbedingt die Bereitschaft, Argumenten, Meinungen und Sorgen sachlich-ruhig zu begegnen. Empathie für das Gegenüber und eine Auseinandersetzung mit seiner Situation und die daraus folgenden Standpunkte wird durch Projektion ersetzt. Kein "principle of charity", nirgends, nicht bei solchen Themen. Krieg der Worte, von Twitter über Facebook bis hin zu den Kommentarspalten von Online-Medien. Aufgeladene Signal- und Reizwörter gehen vor Inhalt. Ein Artikel, eine Aussage, ein Satz alleine steht dann stellvertretend für viel mehr. Man diskutiert nicht mehr mit dem Einzelnen, sondern überträgt ihm vorschnell ein ganzes Konvolut an Meinungen, denen der Adressat mitunter ferner nicht stehen könnte, ja vielleicht nicht einmal kennt. Wer etwas falsches sagt, steht sogleich repräsentativ für eine ganze unliebsame Bewegung. So werden mit wenig stichhaltigen Rassismusvorwürfen und Unterstellungen aller Art notwendige Diskussionen entweder von vornherein verunmöglicht oder ab einem gewissen Punkt abgewürgt. Peter Sloterdijk schrieb in der Zeit von "absichtlich schlechtem Lesen" als "die praktische Ausübung des Nuancen-Mords", und einer "Reflex-Polemik."

Bei so viel Unkraut wird das Feld den Lauten und Undifferenzierten überlassen. Im Meinungswirrwarr geht das Sachliche unter. Es regiert das Diktat der Marktschreier, Polterer und Beschwichtiger. Missstände werden von den einen ignoriert oder kleingeredet und von den anderen entsprechend instrumentalisiert. Keine gute Grundlage für Lösungen. Wer bestehende Probleme identifizieren und konstruktiv angehen will, wird politisch alleine gelassen. Selbiges gilt für viele Wähler, die in diesen zentralen Fragen vor einer Wahl stehen, die eigentlich keine ist: Zwischen denjenigen, die nichts oder weiter das Falsche tun oder denjenigen, die die es nicht besser, wohl sogar noch schlimmer machen würden.

Irgendwie muss man aus dieser argumentativen Schlammsuppe wieder raus. Die momentanen Entwicklungen sind zu bedeutsam, um weiter in der elenden Pattstellung des status quo zu verharren. Wie das gelingen soll, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Lange dachte ich, dass immer erst etwas passieren muss, bis etwas passiert. Aber es ist eigentlich schon viel passiert. Weswegen ich mittlerweile glaube, dass auch dann nichts passiert, wenn noch mehr passiert. Ich hoffe aber, mich zu irren.

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