Es wird mal wieder zurückgetreten. Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner "wechselt" nach Niederösterreich. Und der isländische Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugsson (copy paste, eh klar) ist jetzt nach einem etwas absurden Hin- und Her dann doch abgetreten, worin viele einen ersten großen Erfolg der #panamapapers sehen. Was aus der Nähe weltbewegend wirkt, ist aus Meta-Perspektive jedoch herzlich egal.
Für all jene, die die Politwelt ihr zu Hause nennen, sind Rücktritte natürlich ein großes Ereignis. Dann hat man was zu reden, es wird kommentiert, analysiert, kritisiert, über die Nachfolge gerätselt (sofern sie nicht vorab feststeht), ein paar letzte Witze, ein "ich werde sie/ihn vermissen" oder ein "na endlich" zum Abschluss. Zumeist personenbezogen, was ja auch in unserem Naturell liegt.
Das größere Ganze ist jedoch wesentlich. Die Bedeutung eines Rücktritts bemisst sich am jeweils auszulotenden Verhältnis zwischen der jeweiligen Person und der von ihr bekleideteten Position. Oder, juristisch ausgedrückt, zwischen Organ und Organwalter. Wie groß ist der faktische Gestaltungsspielraum, wie sehr wurde davon Gebrauch gemacht, wurde er ausgereizt oder gar erweitert?
Im Zusammenspiel von Partei, Interessenverbänden, Medien, einflussreichen Konzernen, Wahlvolk und – last but not least – der EU sind die Möglichkeiten des einzelnen zwangsläufig begrenzt. Menschen werden in ihrem Handeln schließlich "durch die Struktur, in der sie stecken, und durch die Position, in der sie diese Struktur innehaben" definiert, der einzelne tritt in seiner Bedeutung zurück, ist "nur eine Art Epiphänomen einer Struktur, Ausdruck eines Feldes, ganz wie ein Elektron", wie es Pierre Bourdieu ausdrückte.[1]
Die wenigsten Politiker sprengen dieses enge Korsett. Entweder weil sie nicht können, oder weil sie nicht wollen. Sie agieren vielmehr als Verwalter. Oft beschränkt sich ihre Funktion im Ankündigungen von Entscheidungen, die sie kaum beeinflussen konnte. "Alternativlos" ist mehr als nur ein Schlagwort. Die wenigen, die wirklich bewegen – unabhängig davon, in welche Richtung oder ob man die Richtung gut findet – bleiben in Erinnerung.
Rücktritte sind insofern zumeist bedeutungslos. Sie haben allenfalls graduelle Auswirkungen. Die Struktur bleibt unverändert, zumal sie sich zu weiten Teilen von den konkreten Akteuren emanzipiert hat. Das erklärt auch die ewige Abfolge von „frischem Schwung“ (sofern es einen solchen überhaupt gibt) und Ernüchterung („es kommt nichts Besseres nach“) bei politischen Personalwechseln.
Ganz allgemein haben Politiker-Rücktritte, Skandale, innerparteiliche Streitigkeiten oder personenbezogene Informationen aller Art damit eher Entertainment- Charakter (man spricht von Politainment). Tagespolitik als eine Art soap opera, Intrigen und Dramen aller Art bieten den Zusehern auf Twitter und Co. ein real-life House of Cards: Mit dem fahlen Beigeschmack, das es eigentlich um ernste Belange geht.