"Wir müssen etwas tun". "Wir müssen der Gefahr entschlossen entgegentreten". "Wir müssen Maßnahmen ergreifen". Es gibt viele Varianten, die alle auf dasselbe hinauslaufen: Die Politik versucht nur allzu oft Entschlossenheit zu suggerieren, wo keine ist. Einen Plan, wo Ratlosigkeit vorherrscht. Sicherheit, wo Angst dominiert. Das kann im besten Fall ärgerlich sein, im schlimmsten aber hochgefährlich.
Das aktuelle Beispiel betrifft den Kampf gegen den "Islamischen Staat". Frankreich möchte maßgebliche Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention temporär aussetzen, der Präsident soll mehr Befugnisse bekommen und in Syrien und dem Irak werden Luftangriffe geflogen. "Wir tun was!" schallt es durch die Medien. Selbst das lange großteils pazifistische Deutschland wird "Solidarität zeigen", die Mission wird der größte gegenwärtige Auslandseinsatz.
Fraglich, ob hier in der ersten Überreaktion nicht Fehler gemacht werden, die sich langfristig rächen werden. Italien wird sich etwa nicht am Kampf gegen den "Islamischen Staat" beteiligen, weil es an einem Plan, an einer Strategie fehle. Das klingt vielleicht auf den ersten Blick weniger entschlossen, auf den zweiten jedoch vernünftig. In der Tat gibt es wenig Anzeichen für eine wirkliche Strategie, wie man gegen den "Islamischen Staat" vorgehen will. Was aber auch egal ist. Wir leben in Zeit der Symbolpolitik. Es geht nicht darum, wirklich effektive und wohlweislich überlegte Maßnahmen zu setzen. Entscheidend ist, so zu tun, als würde man etwas tun, als hätte man einen Plan. Das ist innenpolitisch manchmal mühsam (etwa, wenn eine Partei beziehungsweise die Regierung unnötige bis schädliche Vorschläge einbringt und oft auch durchsetzt, damit es ja nicht heißt, sie würde nichts tun).
Symbolische Bomben
Die Bomben gegen den "Islamischen Staat" sind jedoch nicht nur symbolisch, aber auch gefährlich. Für die Zivilbevölkerung und wegen der mittelbaren Auswirkungen auf andere. Es ist ja nicht so, als hätte der "Islamische Staat" nur klar als solche ausgewiesene und erkennbare militärische Einrichtungen, die sich obendrein fernab der Zivilbevölkerung befinden. Bomben gegen Gebilde wie den "Islamischen Staat" bedeuten letzten Endes auch Bomben gegen die betroffene Zivilbevölkerung. Das sind dann Bilder und Geschichten, die um die Welt gehen. Selbst wenn man in hiesigen, westlichen Medien wenig davon liest (warum eigentlich?), im muslimischen Raum werden mit Handykameras aufgenommene Fotos und Videos wohl eine entsprechende Verbreitung finden. Was den Hass zusätzlich schürt. Nicht nur bei den unmittelbar betroffenen, sondern auch bei europäischen Muslimen, die um ihre Glaubensbrüder und -schwestern trauern und dem Feind – allen voran die USA, Frankreich und in Hinkunft wohl auch Deutschland, ungeachtet dessen, dass Deutschland selbst keinen direkten Kampfauftrag hat, denn so genau sieht sich das niemand an – Vergeltung schwören könnten.
Was tun?
Kritik üben ist leicht. Das ist das angenehme für den Beobachter, er kann Vorschläge und Handlungen zerpflücken, irgendwas findet sich immer. Daher auch ein paar Gedanken, was man sonst tun könnte. Reine Gedankenspiele ohne Anspruch auf Erfolgsgarantie.
Hier scheint der bedeutendste Punkt darin zu liegen, dass der "Islamische Staat" ja nicht unabhängig von außen operiert. Er verkauft sein Öl und verbucht dadurch enorme Einnahmen. Hier gilt es anzusetzen; wer kauft das Öl; wie wird es transportiert? Wie kann man diesen Geldstrom trockenlegen? Das ist vielleicht medial gut zu verkaufen, aber von eminenter Bedeutung. Das Hauptproblem dabei besteht jedoch darin, dass der "Islamische Staat" Teil des regionalen Wirtschaftssystems ist, womit selbst seine Feinde von ihm abhängig sind.
Teilweise wird er auch durch einzelne Geldgeber aus der Golfregion finanziert; auch hier gilt es anzusetzen. Wobei es zu bedenken gilt, dass deren Beitrag in Summe eher gering zu sein scheint.
Zweitens gibt es Hinweise darauf, dass der "Islamische Staat" sich zu weiten Teilen durch Enteignungen, hohe Besteuerung und unzählige Strafen für Vergehen aller Art (wenn man drei Mal in Folge nicht zum Gebet erscheint etwa) finanziert. Daher versucht er auch ständig, neue Gebiete und damit neue Ressourcen zu erschließen. Er nährt sich aus den betroffenen. Das ist kurzfristig erfolgreich, langfristig jedoch so nicht durchzuhalten: Irgendwann gibt es bei der Bevölkerung nichts mehr zu holen. Es ist so gesehen gut möglich, dass es weniger darum geht, den "Islamischen Staat" schnellstmöglich militärisch zu besiegen, als ihn ausbluten zu lassen. Je länger er besteht und umso weniger es ihm gelingt, neue Gebiete zu erobern oder zu halten, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er an seinen inneren politischen und wirtschaftlichen Widersprüchen von selbst zugrunde geht. Wie man in einem lesenswerten Artikel auf "The Atlantic" lesen kann,richtet der "Islamische Staat" seine Vorgehensweise nach religiösen Vorstellungen. Wenn der weitere Verlauf nicht den apokalyptischen Vorhersehungen entspricht, verlieren er und seine Mitglieder jeglichen Anspruch darauf, ein Vehikel für die Erlösung dazurstellen. Der "Islamischen Staat" schreibt sich selbst eine Rolle im unausweichlichen Gang der Geschichte zu. Daher wartet er auch auf das Eintreffen der feindlichen "Armee von Rom", was die Apokalypse in Gang setzen würde. Daher wünscht sich der "Islamische Staat" nicht sehnlicher als die Entsendung von US-Bodentruppen: Es würde das eigene Welt- und Geschichtsbild zusätzlich bestätigen.
In Summe gilt es insofern weniger, den "Islamischen Staat" selbst zu zerstören – was mit den momentan eingesetzten Mitteln ohnehin nicht wirklich funktioniert beziehungsweise nur zu einem äußerst hohen Preis – als ihn in Schach zu halten. Gut möglich, dass er aufgrund seiner Struktur zum Überleben nicht nur auf die permanente Expansion mitsamt der Ausbeutung der betroffenen Bevölkerung, sondern auch auf eine gewisse Überreaktion seiner Feinde angewiesen ist. Fehlt es an beidem, wird er langfristig nicht überleben.