Jetzt sind sie also da, die Obergrenzen und mit ihnen unzählige Diskussionen hinsichtlich der Durchführbarkeit, der Rechtslage, den außenpolitischen Folgen und letztlich auch der innenpolitischen Auswirkungen.
Zahlreiche Kommentatoren kritisieren die Regierungsparteien hier für ihre Anbiederung an den rechten Rand. Letztlich, so heißt es, würden sie damit der FPÖ in die Hände spielen beziehungsweise dieser Zugeständnisse machen. Man könnte gar so weit gehen zu sagen, dass sich vor allem die SPÖ damit ein Eigentor schießt – gemäß dem Motto "geh' gleich zum Schmied, nicht zum Schmiedl": Wer FPÖ-Politik will, wählt die FPÖ und nicht eine der beiden Regierungsparteien. Gleichzeitig wird vor allem die SPÖ damit für viele immer mehr unwählbar.
Diese These ist durchaus berechtigt, sie muss aber nicht unbedingt gelten. Die beiden Regierungsparteien sehen sich seit geraumer Zeit mit einer Krise konfrontiert, für die es keine nationalstaatliche, also "österreichische" Lösung zu geben scheint. Auch auf EU-Ebene passiert wenig bis gar nichts. Daher ist es einmal mehr Zeit für Symbolpolitik (um nichts anderes handelt es sich bei den Obergrenzen, jedenfalls im Moment, also solange die anderen EU-Mitglieder nicht entsprechend nachziehen). So gesehen sollte der Obergrenze-Beschluss als taktisches Manöver verstanden werden.
Die FPÖ leidet schließlich seit der Haider-Ära unter dem Problem der gläsernen Decke. Sie kommt einfach nicht über einen gewissen Prozentsatz hinaus. Es gibt einen signifikanten Bevölkerungsanteil der aller Unzufriedenheit und aller Kritik an den Großparteien zum Trotz niemals blau wählen würde. Aufgrund der Zuspitzung der Flüchtlingskrise und den bisherigen Fehlleistungen in dieser Frage besteht bei der Regierung eventuell Bedenken, dass der Anteil dieser Leute jedoch absinken könnte. Also selbst vehemente FPÖ-Kritiker sie aus wahltaktischen oder aus simplen Protestgründen doch wählen könnten. Die Flüchtlingskrise und die weit verbreiteten Sorgen in der Bevölkerung die FPÖ weg vom rechten Eck immer mehr in die Mitte der Gesellschaft manövrieren – wo sie ja auch schon seit geraumer Zeit hinmöchte (letztes Beispiel dafür ist die Annäherung an die Alternative für Deutschland).
Die Obergrenzen sind im Lichte eines derartigen Szenarios zu sehen. Die beiden Großparteien wollen damit der FPÖ Wind aus den Segeln nehmen. Ein Signal an jene Wähler aussenden, die der FPÖ grundsätzlich äußerst negativ gegenüberstehen aber aufgrund des bisherigen Umgangs mit der Flüchtlingskrise ernsthaft mit dem Gedanken spielen, über ihren Schatten zu springen. Es wird sich weisen, ob diese Taktik aufgeht oder man damit unterm Strich mehr Leute vergrault.